Sounds now!
Lust, Lust, Lust, Brace, Brace, "Hey Hey Hey"? The Friends EP, die EP Friend und - mit Verlaub - gleich zweimal The Black And White Album? Was soll uns das alles sagen?
1 The Hives – „You Dress Up For Armageddon“
Ein Highlight vom aktuellen Album, exemplarisch für den neuen, lockereren Sound der schwedischen Punkrocker.
The Hives sind Perfektionisten: Über das peitschenähnliche Geräusch, das immer wieder in diesem Song (und zum ersten Mal nach zwölf Sekunden) auftaucht, wurde in einer Nacht im Studio in Mississippi geschlagene drei Stunden lang diskutiert. Als es schließlich von Produzent Dennis Herring in den finalen Mix eingebaut wurde, erhielt es von Pelle – der den Sound ausgesucht und unter den kritischen Augen von Schlagzeuger Chris Dangerous den Drumcomputer bedient hatte – die Note „7 von 10“. „Das Geräusch ist sehr gut. Aber für eine 10 hätte es das beste Element in diesem Song sein müssen“, erklärte er, „7 ist schon sehr gut. Wir sind sehr streng. Wir werfen nicht mit guten Noten um uns.“
2 Grizzly Bear – „Shift (Alternate Version)“
Brooklyns gefeierte Indiefolk-Band kehrt mit neuen alten Klängen zurück.
Ausgerechnet Grizzly Bear, die mit Horn Of Plenty und Yellow House zwei wunderbar schlüssige Alben veröffentlicht haben, gießen mit ihrer neuen EP Öl in das Feuer derer, die die Kunstform Album als vom Aussterben bedroht sehen. Die aktuelle Veröffentlichung Friend ist eine Compilation, die so divers ist, dass sie wie ein Songpool wirkt, aus dem man-je nach Vorliebe – einzelne Songs herauspicken kann: Die EP hat zehn Tracks, die nicht nur Neubearbeitungen und unveröffentlichte Takes älterer Titel enthält (zum Beispiel die hier vorgestellte „Alternate Version“ von „Shift“. das im Original auf dem Debüt zu finden war), sondern auch Interpretationen ihrer eigenen Songs von Band Of Horses, CSS und Atlas Sound. Einen roten Faden gibt es trotzdem: Die Qualität der Musik ist über die gesamte Länge von gut 43 Minuten gleichbleibend hoch.
3 The Raveonettes – „Dead Sound“
„Düsterer“ und „persönlicher“: neuer fesselnder Art-Pop von dem dänischen Duo (das inzwischen in den USA beheimatet ist).
The Raveonettes gehen unbeirrt ihren Weg-Schritt für Schritt im Spannungsfeld zwischen Pop und Kunst. Das Sounddesign, das ähnlich elegant und radikal wie das von The Velvet Underground ist, macht den Zugang bisweilen schwer, doch hinter der Wand aus Delay finden sich nicht selten ausgezeichnete Songs. „Dead Sound“ stammt aus ihrem dritten Album Lust Lust Lust. „Die neuen Sachen sind viel persönlicher geworden. In den Songs geht es um Begierde und um die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Sie sind viel düsterer als alles, was wir bisher gemacht haben“, sagt Songschreiber, Sänger und Gitarrist Sune Rose Wagner.
4 Alec Empire feat. Gary Burger – „Monk Time“
Die Monks siehe „Zeitlupe“ in der November-Ausgabe – sind immer aktuell.
Das Schöne an vielen der Coverversionen und Neubarbeitungen auf Silver Monktime – A Tribute To The Monks ist, dass die brachiale Kraft, das Revolutionäre und Wegweisende, das die Originalaufnahmen der bemerkenswerten Band kennzeichnet, erhalten geblieben sind. Für den renommierten Berliner Produzenten, Musiker und DJ Alec Empire war die Produktion von „Monk Time“ eine Rückkehr zu seinen Wurzeln: „Ich habe die Monks zum ersten Mal in den 80ern in John Peels Radioshow gehört. […] Ihr Konzept von Rhythmik und Lärm hat mich sofort fasziniert – ich könnte sogar behaupten, dass es einen enorm wichtigen Einfluss auf meine Herangehensweise an Musik hatte und bis heute hat.“ Die Doppel-CD Silver Monktime ist Soundtrack zu dem aktuellen und höchst sehenswerten Dokumentarfilm „Monks – The Transatlantic Feedback“.
5 Ween – „Light Me Up“
Lateinamerikanischer Zwischenstopp auf einer bizarren musikalischen Welt- (und Zeit)reise.
Wer hatte gedacht, dass sich Ween eines Tages der Tarantino-Methode bedienen würden? Mit dem Ziel, zu jedem erdenklichen Genre einen eigenen – keineswegs klischeefreien, dennoch aber eleganten und gehaltvollen – Beitrag zu leisten, hat die Band aus Pennsylvania ersteine EP (The Friends EP)und dann ein ganzes Album (La Cucaracha) veröffentlicht. „Light Me Up“ stammt von der EP, ist ein Rumba (und damit „ein erotischer Werbetanz aus Kuba afrokubanischer Herkunft“, wie wir bei Wikipedia lernen) und quasi Weens Beitrag zum Buena Vista Social Club.
6 Imani Coppola „Raindrops From The Sun (Hey Hey Hey)“
Die vergleichsweise zugängliche Seite einer komplexen Künstler-Persönlichkeit aus New York.
„Mein Denken ist sehr männlich“, sagt Imani Coppola. „Leute wollen nicht meine Titten sehen, sondern hören, was ich zu sagen habe. Meine Brainpower ist erotischer als mein Körper.“ Die Songschreiberin, Sängerin und Produzentin aus Brooklyn in New York ist eine der ungewöhnlichsten Künstlerinnen ihrer Generation. Die gelernte Violinistin, die mit Jazz, „Seinem Pop, keinem Rock und ganz sicher keinem HipHop“ aufgewachsen ist, hat sich über acht Alben zu einer so vielseitigen Künstlerin entwickelt, dass sie von Mike Patton letztes Jahr in dessen Experimental-Band Peeping Tom aufgenommen wurde. Ihr achtes Album ist ein mächtiges und eigenständiges Statement, auch wenn es musikalisch in seiner Gesamtheit keinem Genre zuzuordnen ist: The Black And White Album – das aber auch gar nichts mit dem gleichnamigen Werk von The Hives zu tun hat- ist eine bunt schillernde Mischung aus India.Arie-artigem Soul, cleverem HipHop à la OutKast, Avantgarde- und Noisepop sowie, wie „Raindrops From The Sun (Hey Hey Hey)“ zeigt, anspruchsvollem Pop.
7 Jens Lekman – „A Postcard To Nina“
Zauberhafter Song aus dem womöglich letzten Album, das der Schwede in seiner Heimat aufgenommen hat (die keine Heimat für ihn war).
„A Postcard To Nina“ ist, wie zahlreiche der neuen Songs auf Night Falls Over Kortedala, ein vage romantischer Song über komplizierte zwischenmenschliche Angelegenheiten. „Ich hob keine Freundin, ich hob seit Jahren keine Beziehung mehr gehabt“, stellte Lekman kürzlich in einem Interview klar. „Ich muss zuerst ein Zuhause finden. Ich hab mich oft sehr heimatlos gefühlt. Ich war nie wirklich zu Hause in Kortedala.“ Die Suche wird ihn – nach einer ausgiebigen Tour zum neuen Album-vermutlich auf die Südhalbkugel führen: Lekman hat bereits ein Arbeitsvisum für Australien beantragt. Der Grund, den Lekman für seinen geplanten Umzug nach Melbourne nennt, ist ganz und gar nachvollziehbar. „Das Echo bei Telefongesprächen nach Australien macht eine normale Unterhaltung völlig unmöglich. Du machst einen Witz, und es dauert fünf Sekunden, bis du den anderen lachen hörst…“
8 OhNoOno – „Practical Money Skills For Life“
Kunstvoller 80s-Pop für das 21. Jahrhundert.
Kaum eine Band hat das 80s-Revival so weit getrieben wie OhNoOno. Die Dänen aus dem kleinen Städtchen Aalborg haben sich voll und ganz dem Pop des schrillen Jahrzehnts verschrieben. Ihre in Sachen Arrangement und Komposition oft hochwertigen Synthpop-Stücke bestechen durch die liebevolle Rekonstruktion der damals populären Soundästhetik. Ob man dieses Genre mag oder nicht- dem Mut, sich mit so viel Leidenschaft in dieses umstrittene Terrain zu wagen, gebührt Respekt.
9 Chikinki – „Thrill“
Die Briten haben sich auf die Suche nach dem perfekten Popsong begeben.
„Wir haben eine Menge Motown-Kram und diese Drei-Minuten-Popsongs gehört“, sagt Sänger Rupert Browne. Mit dem letzten Album lickyour ticket wollte die Band aus Bristol noch „etwas tun. was vorher noch nie da war“ man wollte „einen Schritt in die Zukunft“ wagen. Drei Jahre später nun haben Chikinki ein etwas klassischeres Gitarrenalbum aufgenommen, um sich aus der (inzwischen etwas modrigen) „Fashion-Dance-Schubtade“ zu befreien. „Wir sind keine Dance-Crossouer-Band – wir sind eine Gitarrenband mit Synthies, die mit Rockmusik experimentiert“, so Browne. „Thrill“ stammt aus dem neuen Album Brace, Brace, das Bruno Ellingham (Real World Studios) produziert hat.
10 Britta Persson – „Winter Tour“
Für den Winter: Von Linus Larsson (Moneybrother, Anna Ternheim)produzierte Klänge einer Singer/ Songwriterin aus Uppsala.
Britta Persson ist eine wunderbare Künstlerin aus Uppsala in Schweden, über die man fünf Seiten schreiben oder einfach schweigen und ihre Musik sprechen lassen könnte. Da wir uns für den Augenblick für Letzteres entschieden haben, soll hier nur das Wichtigste gesagt werden: Persson hat ein zauberhaft melancholisches Album namens Top Quality Bones And A Little Terrorist aufgenommen, große Teile davon entstanden im Studio von Kristofer Aström. Und nun empfehlen wir, die Augen zu schließen und Frau Persson in ihre Welt zu folgen. Es ist schön dort, wie wir finden.