Nachruf

Shane MacGowan: Das Paradebeispiel für den Rock-Mythos


Der Sänger und Songwriter der Pogues ist nach einem selbstzerstörerischen Leben mit 65 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Wie er da sitzt auf seinem Hocker vor einem Glitzervorhang, ein bisschen unbeholfen und neben ihm Nick Cave und wie die beiden diesen optimistischen, lebensbejahenden Song vortragen, der 1967 ein globaler Hit für Louis Armstrong gewesen ist. Als ob sich zwei verlorene Seelen eine kurze Pause von ihrem Leben gönnen, das der eine (Cave) mit Heroin, der andere (MacGowan) mit Heroin und Alkohol systematisch selbst zerstört. Und sie besingen eine wunderbare Welt mit blauem Himmel und blühenden Rosen und kleinen Babys, die die Zukunft dieser wunderbaren Welt repräsentieren, eine Welt die für MacGowan und Cave in diesem Moment nur eine Utopie sein kann. Der Videoclip zum Duett „What A Wonderful World“ aus dem Jahr 1992 visualisiert die ganze Tragik von Shane MacGowan, dem Sänger und Songwriter der Pogues.

The-Pogues-Sänger Shane MacGowan gestorben

Shane MacGowan, das Paradebeispiel

Der größte Mythos des Rock’n‘Roll ist die scheinbar unweigerliche Verknüpfung des rebellischen Genies und seiner Selbstzerstörung. Oder wie Neil Young es ausgedrückt hat: „It’s better to burn out, than it is to rust“. Shane MacGowan ist ein Paradebeispiel für diesen Rock-Mythos. Er trank als Kind zum ersten Mal Alkohol und war Zeit seines Lebens ein exzessiver Trinker. Er kam früh mit Drogen in Kontakt, wurde deshalb von der Schule verwiesen und entwickelte bald eine Heroinabhängigkeit.

Shane Patrick Lysaght MacGowan wurde am 25. Dezember 1957 in Pembury in der englischen Grafschaft Kent geboren als Sohn irischer Emigranten. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr lebte er mit seinen Eltern in Irland, bis die Familie zurück in den Südosten Englands zog. Seine Musikkarriere begann indirekt im Oktober 1976 bei einem Konzert von The Clash am Institute Of Contemporary Art in London. Dabei wurde er von Jane Crockford, der späteren Bassistin der Punk-Band Mo-dettes am Ohr verletzt. Das Foto von Täterin und blutendem Opfer, auf dem im Hintergrund die Band auf der Bühne zu sehen ist, wurde beim Konzertbericht im Fachblatt New Musical Express abgedruckt.

Kurz nach diesem Zwischenfall gründete MacGowan zusammen mit der Bassistin Shanne Bradley die Punk-Band Nipple Erectors, die sich 1978 in The Nips umbenannte. 1981, nach seinem Ausstieg bei The Nips, gründete er mit Jem Finer (Banjo) und Peter Stacy (Tin Whistle) die Band The New Republicans, die sich nach dem Einstieg des Akkordeonspielers James Fearnley 1982 in Pogue Mahone umtaufte – der Name ist die Anglisierung einer gälischen Phrase und heißt übersetzt „Leck mich am Arsch“. Die Band reüssierte wenig später unter dem Namen The Pogues.

Bei den Pogues traf das beste aus Shane MacGowans (musikalischen) Welten zusammen. Seine Punk-Vergangenheit und seine irischen Wurzeln, auf die er jetzt wieder zurückkam. In seinen Songs thematisierte er poetisch die Kultur Irlands, den Nationalismus und die Schicksale von irischen Auswanderern in der Diaspora, vor allem aber in den Vereinigten Staaten. Die Single „Fairytale Of New York“, den die Pogues gemeinsam mit der englischen Folksängerin Kirsty MacColl einspielten, wurde der Weihnachtshit des Jahres 1987 und gilt in Großbritannien als meistgespieltes Weihnachtslied des 21. Jahrhunderts.

Shane MacGowan ist tot: Fragen zur Todesursache

Die Erfindung des Folk-Punk

Das Hauptverdienst der Pogues besteht jedoch in der Erfindung des Folk-Punk. Die Band trug Anfang der 80er-Jahre mit ihrer neuartigen Fusionsmusik, die sie mit traditionellen Instrumenten wie Banjo, Zitter, Mandoline und Akkordeon spielte, zu einer stilistischen Öffnung des musikalischen Undergrounds bei. Der war damals vom autoritären Hardcore-Punk dominiert. Plötzlich war alles möglich und es durften musikalische Früherkenner abwegige Genres wie Folkmusik gut finden – eine Entwicklung, von der die Indie-Welt heute noch profitiert. 1984 wurde mit RED ROSES FOR ME das Debütalbum der Pogues veröffentlicht, drei Jahre später erreichte die Band mit ihrem dritten Album IF I SHOULD FALL FROM GRACE WITH GOD ihren größten kommerziellen Erfolg.

1991 musste MacGowan aufgrund seines Alkoholproblems die Pogues verlassen. Er gründete die neue Band Shane MacGowan And The Popes, deren Name nicht zufällig an den seiner alten Band erinnerte. Ab dem Jahr 2001 spielte MacGowan unregelmäßig mit den Pogues und ab 2005 wieder als reguläres Mitglied.

Sein halbes Leben lang hatte MacGowan mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Er war berüchtigt für sein lückenhaftes Gebiss, das er erst im Jahr 2015 in einer aufwändigen Behandlung restaurieren ließ. Im selben Jahr zog er sich beim Verlassen eines Aufnahmestudios bei einem Sturz eine Beckenfraktur zu, ab da war er auf den Rollstuhl angewiesen. Im Dezember 2022 wurde er mit einer lebensbedrohenden Gehirnentzündung ins Krankenhaus gebracht. Im Juli dieses Jahres erfolgte der nächste Krankenhausaufenthalt. MacGowan hatte sich eine Infektion zugezogen, die monatelang intensivmedizinisch betreut werden musste. Erst vergangene Woche wurde er aus dem St. Vincent’s Hospital in Dublin entlassen.

Shane MacGowan ist heute (30. November) im Alter von 65 Jahren in Dublin gestorben. Die genaue Todesursache ist noch nicht bekannt.

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