Sex & Video
Ein Film und ein Skandal Made in Usa. In beiden Fallen geht's um Sex, Lügen und Video. Das ausgezeichnete Werk von Steven Soderbergh (l.) und die Sex-Affäre von Schauspieler Rob Lowe haben viel gemeinsam: sie zeigen eine Anwendung des Mediums, die bei der Berliner Funk-Ausstellung schnöde unterschlagen wurde.
Wann hattest Du zum ersten Mal Sex? Wo machst Du’s am liebsten? Wie besorgst Du’s Dir selber?
Der junge Mann stellt seine Fragen in ruhigen Worten. Die junge Frau antwortet ohne zu zögern. Eine Videokamera zeichnet alles auf. Der sachlich nüchterne Rahmen trügt: In Wahrheit ist das Interview Teil eines sexuellen Akts, an dem beide wissentlich teilnehmen. Später, wenn die Frau aufgestanden und verschwunden ist, wird sich der Mann das Band vorspielen und dazu onanieren.
Der 26jährige Drehbuchautor und Regisseur Steven Soderbergh dachte sich diese Variante aus und machte sie zum Kern seines ersten Spielfilms „Sex, Lügen und Video“. Auf dem Filmfestival von Cannes ’89 erhielt er dafür die Goldene Palme. James Spader, der den Video-Wichser spielt, wurde als bester Darsteller ausgezeichnet – und der Originaltitel, „Sex, Lies and Videotape“, entwickelte sich in den USA zu einem geflügelten Wort. Der kleine Film – produziert für das Taschengeld von 1,2 Millionen Dollar – der unverhofft zu einem großen Thema wurde, kommt am 26. November in die deutschen Kinos.
Spekulativ ist an „Sex. Lügen und Video“ nur der Titel. Soderbergh drehte ein modernes Kammerspiel, in dem – in treffsicheren Dialogen – mehr geredet wird als gezeigt. Zu einer verlogenen Dreierbeziehung zwischen einem Yuppie (Peter Gallagher), seiner Ehefrau (Andie Mac-Dowell) und deren Schwester (Laura San Giacomo) stößt ein zweiter Mann (James Spader). Einer, der impotent ist und noch andere Probleme mit sich herumschleppt. Seine kompromißlose Einteilung der Menschen in Lügner und Nicht-Lügner und sein abseitiges Hobby machen ihn interessant. Eine Schlüsselszene ist der Augenblick, als die eine Schwester der anderen nicht ohne Stolz erklärt, daß sie vor der Kamera Platz genommen und ein Interview gegeben habe. Erste Reaktion: „Bist du wahnsinnig?! Stell dir vor, das Bandgerät in die falschen Hände!“
Was passieren kann, wenn ein Videoband in falsche Hände gerät, erlebte ein anderer Hollywood-Jungstar im richtigen Leben. Rob Lowe hatte im vergangenen Herbst in Atlanta an einer Wahlveranstaltung für den Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis teilgenommen. Abends besuchte er eine Discothek und schleppte zwei Mädchen ab. Was danach in seinem Hotelzimmer geschah, hat die amerikanische Presse minutiös zu rekonstruieren versucht. Demnach forderte Lowe die Mädchen auf, sich gegenseitig zu befriedigen. Er filmte sie dabei auf Video. Danach drückte er die Kamera einem der Mädchen in die Hand und ließ filmen, wie er mit dem anderen aktiv wurde. Die Mädchen blieben nicht bis zum Morgen – und sie ließen ein Souvenir mitgehen: das Videoband.
Neun Monate später hatte Rob Lowe einen Prozeß wegen sexueller Handlungen mit einer Minderjährigen am Hals und konnte Ausschnitte seines Home-Videos in den Fernseh-Nachrichten begutachten.
Die unscharfen Bilder von Lowe und einer weiblichen Person im Bett stammten angeblich zwar nicht aus Atlanta, sondern aus Paris; die Aufzeichnung dieser früheren Nacht befand sich nämlich ebenfalls auf dem Band. Das Wann und Wo spielt letztlich allerdings gar keine Rolle. Daß ein (Un)Fall denkbar ist, wie er hier eintrat, genau das sorgt vorher für den Kitzel.
Adnan Kashoggi, der die Schlafzimmer seiner Luxus-Yacht angeblich mit versteckten Kameras ausgerüstet hatte, um seine Gäste zu filmen, kennt die eine Seite dieses Kitzels: die des Spanners, des Erpressers womöglich. Die andere, die exhibitionistische Seite kennt die Polizei-Anwärterin, die sich vom „Playboy“ fotografieren läßt und acht Tage später prompt gefeuert wird. Kombiniert wurde der Kitzel von Rob Lowe, verfeinert wurde er von Steven Soderbergh, der seinen Film als „sehr persönliches und katharthisches Unterfangen“ beschreibt.
Das intime Interview in „Sex, Lügen und Video“ bekommt durch die laufende Kamera etwas latent Öffentliches. Das beflügelt die Kandidaten. Sie lassen Lügen und Ausflüchte wegfallen, hinter denen sie sich normalerweise verschanzen. Die laufende Kamera fordert auch Vertrauen. Kamera und Objekt, das bedeutet beherrsehen und sich ausliefern. Karl-Heinz Boehm hat das Thema zwar schon I960 im Kultfilm „Peeping Tom“ salonfähig gemacht, als er einen Psychopathen spielte, der seine Opfer filmt und sie dabei ersticht. Die Kamera als Waffe. Dank Rob Löwe und James Spader kann die Video-Kamera nun auch als frei verfügbares Beziehungs-Stimulans mit therapeutischem Wert Karriere machen.