Sebastian Krumbiegel im Interview: „Es ist schick geworden, rechts zu sein“
Ein Gespräch über die Wahlerfolge der AfD, das Pöblervideo aus Sylt – und warum wir trotz allem nicht die Zuversicht verlieren dürfen.
Man kennt Sebastian Krumbiegel vor allem als einen der Leadsänger von Die Prinzen. Dabei tritt der Leipziger seit Langem auch entschieden und öffentlichkeitswirksam gegen Rechtsextremismus ein. Wir sprachen mit ihm über die AfD, das unsägliche Sylt-Pöblervideo und Zuversicht.
ME: Du engagierst dich bereits seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus – wie erschütternd waren die 2024er Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen für dich?
Sebastian Krumbiegel: Erschütternd war das für mich eigentlich nicht, weil es ja abzusehen war. Ich habe mich eher gewundert, dass sich alle so drüber gewundert haben, weil sich das ja über Jahre in diese Richtung entwickelt hat. Und auch, weil in den letzten Jahrzehnten Entwicklungen totgeschwiegen worden sind. Dafür bezahlen wir jetzt die Rechnung.
Welche Entwicklungen meinst du konkret?
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat etwa in den Neunzigern noch behauptet, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Das war nicht nur ein Irrtum, sondern auch Totschweigen von Dingen, die damals passiert sind. Dabei waren das während der Nachwendezeit im Osten ja die sogenannten Baseballschlägerjahre, in denen sich der Rechtsextremismus von seiner hässlichsten Seite gezeigt hat. Bereits da hätte man politisch längst wach werden müssen.
Dir war die Gefahr von rechts damals deutlich bewusst, sonst hättest du nicht ein Festival gegen Rechtsextremismus mit ins Leben gerufen.
Ja, wir haben damals angefangen, unser „Leipzig zeigt Courage“-Festival zu veranstalten. Und mit der ersten Ausgabe von 1997 haben wir direkt eine Nazi-Demo verhindert. Das war ja die Zeit dieser ganzen Gegen-rechts-Konzerte von Leuten wie Grönemeyer, Lindenberg oder Niedecken, die sich damals alle klar positioniert haben.
Und nach der Jahrtausendwende ist dieses Engagement dann abgeflaut?
In den Nullerjahren kam plötzlich ein Phase, in der mir viele Leute gesagt haben, dass das ja total überholt sei, was wir da machen. Dieses ganze Gegen-Nazis-Ding sei doch voll Neunziger, das bräuchte kein Schwein mehr. Das wurde damals alles sehr unterschätzt. Durch den NSU gab es dann noch mal einen kurzen öffentlichen Aufschrei, aber dann ging es auch schon los mit Pegida und der AfD …
… die heute längst nicht nur bei Ewiggestrigen gut ankommt.
Was mich am meisten daran schockiert, ist, dass bei den Landtagswahlen ja ganz viele junge Leute Rechtsaußen gewählt haben. Das ist überhaupt kein gutes Zeichen. Ich bin prinzipiell immer davon ausgegangen, dass die Generation, die da jetzt nachkommt, für was Neues, Progressives und Positives steht. Aber nun ist es offenbar schick geworden, rechts zu sein.
Dabei hatte man bei den Demos im Januar nach dem Skandal um die publik gewordenen Remigrationspläne ja noch das Gefühl, dass sich da eine kraftvolle Gegenbewegung formiert. Ist dieser solidarisierende Effekt denn einfach verpufft?
Ich glaube nicht, dass es gar nichts bewirkt hat. Mir sagen auch total oft verschiedene Leute, dass ich ja so viel mache, dass aber trotzdem alles nicht wirklich funktioniert habe. Ich fürchte aber, dass es ohne das Engagement von so vielen noch viel schlimmer gekommen wäre, weil die AfD eben gezielt an die diffusen Überfremdungsängste und den wirtschaftlichen Frust vieler Menschen andockt.
Wirtschaftlichen Frust dürften die feiernden Rich-Kids im Sylter „Pony“-Club ja nun nicht geschoben haben. „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, skandierten die im Mai zu Gigi d’Agostinos Hit „L’Amour Toujours“.
Politische Gesinnung hat ja auch nicht zwingend etwas mit sozialer Herkunft zu tun. Es sind haufenweise gebildete Menschen Anhänger der AfD. Gebildet heißt aber noch lange nicht intelligent, wenn man etwa an die schlauen Worte des Wiener Musikers Gerhard Bronner denkt: „Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“
War der Eklat auf Sylt für dich eher eine üble Entgleisung von ein paar besoffenen Idioten – oder eine bewusste Form der Grenzüberschreitung und Provokation im poppigen Gewand, die man gezielt im Netz platziert hat?
Ich denke, weder noch. Es ist die Mitte der Gesellschaft, die sich hier zeigt. Ich fürchte, diese Rich-Kids denken wirklich so, und ihre Eltern können sich gute Anwälte leisten, um sie da rauszuhauen. Ganz abgesehen davon stimmt es natürlich, dass die rechte Szene wirklich sehr gut die mediale Klaviatur beherrscht. Nazis waren schon immer mediale Vollprofis. Das ging ja schon mit Goebbels’ Propaganda und dem Volksempfänger los. Und das, was damals der Volksempfänger war, ist heute eben TikTok. Wenn du dir da die Zahlen anguckst, ist die AfD den anderen Parteien weit enteilt. Da wurde bei den anderen sehr viel verschlafen.
Du selbst steuerst auch mit musikalischen Mitteln gegen, etwa mit einer Satire wie deinem neuen Song „Der Führer hätte sich gefreut“, in dem du in die Perspektive rechtsextremer Hohlköpfe schlüpfst. Ein probates Mittel?
Ich bekomme sehr unterschiedliches Feedback auf diesen Song. Meine Eltern sind 88 und 82 Jahre alt, als die das Lied zum ersten Mal gehört haben, meinten sie: „Junge, das kannst du nicht machen, das verstehen die Leute nicht.“ Und es ist grundsätzlich ja auch am besten, sich mit großer Klarheit zu bekennen. Aber gleichzeitig glaube ich eben auch, dass es andere Mittel geben muss, um dieses verdrehte rechtsextreme Weltbild ad absurdum zu führen und lächerlich zu machen.
Klarheit bringt wiederum dein neuer Song „Nicht nochmal“ mit, in dem du ein Gespräch mit deiner Großmutter aufgreifst, die dir ihre Ohnmacht während der sogenannten Reichskristallnacht schilderte.
Bei mir hat das damals echt gesessen, als meine Omi mir mit Tränen in den Augen erzählt hat, wie sehr sich dafür schämt, dass sie damals nichts gemacht hat. Wenn dir jemand persönlich von den Schrecken dieser Zeit erzählt, knipst dich das noch mal ganz anders an.
2003 bist du in einem Leipziger Park von Nazis verprügelt worden – hat dich dieser Vorfall eigentlich in deinem Engagement bestärkt?
Ich denke schon, dass mich das bestärkt hat. Aber mal ganz abgesehen von diese Sache fühle ich mich weder als Opfer noch als Held, sondern einfach nur als ein politisch denkender Mensch, der seine Reichweite nutzt, um sich um bestimmte Sachen zu kümmern. Dafür ernte ich eben auch mal einen Shitstorm oder Drohungen, merke gleichzeitig aber auch, dass das viele Menschen gut finden und sich dadurch bestärkt fühlen. Am Ende erfüllt es mich aber auch, den Mund aufzumachen, und – wer weiß – vielleicht mache ich das ja auch für meine Omi.
Am Ende deines autobiografischen Buches „Meine Stimme“ platzierst du eine Ermunterung, dass wir auch in Zeiten wie diesen nicht die Zuversicht verlieren dürfen. Unabdingbar dafür sei aber auch ein gewisses Maß an Haltung. Ohne Haltung also keine Zuversicht?
Entweder so oder umgekehrt – ich weiß nicht, was da richtiger ist. Mir fällt es ja auch nicht leicht, meinen Optimismus zu behalten, wenn ich etwa an die Wahlen in den USA denke und daran, was da alles auf dem Spiel steht. (Das Gespräch fand vor der US-Wahl statt – Anm.) Aber es macht nun mal keinen Sinn, den ganzen Tag nur rumzuheulen. Da müssen wir als demokratisch gesinnte Menschen wirklich alle an uns arbeiten, um uns unser „Das Glas ist halb voll“-Gefühl zu bewahren. Das dürfen wir uns nicht wegnehmen lassen.