Scharfe Schaben


Der Spaß ist ja nun wirklich nicht neu. Erst segeln ein paar Stühle über den Balkon, dann fliegt eine Ladung eben geleerter Flaschen hinterher, und am Ende schmeißt sich die ganze Meute johlend in den hauseigenen Pool – nackt natürlich und begleitet von einem Mordsradau, der morgens um vier in einem Schickimicki-Hotel erwiesenermaßen besonders wirkungsvoll ist. Wobei Coby Dick, Sänger von Papa Roach, diesem Musiker-Klischee durchaus eine weitere Nuance hinzuzufügen vermag: „Sobald unser Album über die Platingrenze geht“, kündigte der 24-Jährige beizeiten an, „werden wir damit anfangen, Fernseher aus dem Fenster zu feuern. Das ist dann unsere Hommage an den Rock’n’Roll.“

Erfolg verleiht eben Flügel – auch TV-Geräten, und künftig wohl erst recht, denn seit der Veröffentlichung im April hat „Infest“ in den USA längst Doppelplatin eingefahren nach wochenlanger Präsenz in den ßillboard-Top-Ten, und auch F.uropa beginnt sich inzwischen ganz vehement für den nordkalifornischen Vierer zu interessieren. Seine Plattenfirma nennt das Quartett aus dem verschlafenen Nest Vacaville vor den Toren San Franciscos denn bereits vollmundig „Durchstarter des lahres“ – wohl ausnahmsweise mal zu Recht, denn die Single „Last Resort“ (deren Text einen Selbstmordversuch thematisiert) rangierte in den Charts und den Wunschlisten der Musiksender immer noch weit vorn, da wurde mit „Broken Home“ schon die nächste – und nicht minder hitverdächtige – nachgeschoben. Musikalisch servieren Papa Roach ein nicht wirklich neues Sammelsurium aus Punk und Rock, angereichert mit etwas HipHop und Funk, wobei es in Cobys Texten im Regelfall aus der Ich-Perspektive und ohne große Umschweife zur Sache geht. Emotionen aller Art wolle er hervorrufen, erklärt deren Schöpfer: „Ich möchte, dass die Leute kämpfen, dass sie ficken. Ich möchte, dass sie ihre Cewalt, ihre Trauer, ihre Freude rauslassen.“

Für den überraschend schnellen Erfolg auch hier in Europa (wo die CD erst Ende Oktober erschienen ist) hat Gitarrist Jerry Horton aus dem Stand keine rechte Erklärung: „Vielleicht haben sich welche das Album vorab über einen Importdienst besorgt. Bis dato haben wir in Europa noch nicht viel mit Presseleuten zu tun gehabt, weshalb ich davon ausgehe, dass es hauptsächlich mit dem Internet zusammenhängt. Ich beschwer‘ mich jedenfalls nicht, es ist cool, es ist großartig.“ Aber kein Grund zum Ausflippen, wie der 25-)ährige findet: „Wir schenken diesem Zirkus keine besondere Aufmerksamkeit, denn wir haben schon einige Bands erlebt, denen der Ruhm zu Kopf gestiegen und ihnen inzwischen wichtiger als die Musik ist. Bei uns spielt die Musik nach wie vor die Hauptrolle, nur mit dem Unterschied, dass wir jetzt da sind, wo wir immer hinwollten. Wir sind in erster Linie vier Freunde, fast so etwas wie Brüder. Klar war es anfangs schon manchmal hart; wir waren alle in einem kleinen Van unterwegs, es gab kaum persönlichen Freiraum, immer war man mit anderen Leuten zusammen. Aber das hat sich geändert, inzwischen ist das Leben auf Tour entschieden komfortabler geworden.“

Also von wegen alles Newcomer-Hype – der jetzige Erfolg ist vielmehr Ergebnis einerjahrelangen Schufterei. Jerry erinnert sich, dass er mit ] 7 von zwei Typen angehauen wurde, die für ihre Band einen Gitarristen suchten. Er war zunächst nicht sonderlich begeistert: „Da waren ein Schlagzeuger, ein Bassist, ein Sänger und ein Posaunist. Ich stand damals voll auf Industrial und Metal, die mehr auf die Chili Peppers und Fugazi.“ Doch die Truppe rauft sich zusammen, feuert den Bläser und Iässt ihren RoadieTobin Esperance (heute20) Bassspielen. Cobys Urgroßvater Papa Roatch liefen den auf Roach (Schabe) verkürzten Namen, unter dem die Band im Haus der Eltern von Drummer Dave Buckner (heute 24) teilweise fünf Stunden pro Tag probt. Lind damit es mit den Jungs vorwärts geht, Iässt Mama Marge Buckner die rockenden Teenager auch schon mal zu einer mehrstündigen gemeinsamen Meditation antanzen. Die ersten von der Verwandtschaft finanzierten EPs werden bei den Konzerten verhökert, wobei die Herren Musiker gelegentlich alternative Werbemethoden an den Tag legen: „Dave knallte den Leuten am Ausgang unsere CDs kurzerhand auf den Schädel. Aber das funktionierte nicht; die hatten zu viel Angst vor ihm, um die Scheiben zu kaufen“, lacht Coby Dick.

Papa Roach haben bereits mehrere Tonträger produziert, als endlich eine große Company auf die Gruppe aufmerksam wird. Erneut geht es ins Studio, um aufzunehmen, was später den Gaindstock von „Infest“ bilden wird, doch der ersehnte Vertrag bleibt zunächst in weiter Ferne. Erst als ein konkurrierendes Label zugreift, kommt der Stein ins Rollen – aber dafür richtig und mit ungeahnter Vehemenz. „Wir sind ja keine Studioneulinge in dem Sinn, haben ja schon ein paar Independent-Veröffentlichungen gemacht. Diesmal hatten wir jedoch alle Zeit der Welt für die Aufnahmen. Es musste ja auch präzise gespielt werden, wie unter einem Mikroskop“, erklärt Jerry dazu.

Kaum war „Infest im April in den USA erschienen, widerfuhr Papa Roach auch schon der in diesen Fällen übliche Rummel: Sie durften die „MTV Awards“-Show mit zwei Stücken eröffnen und sind jetzt, nach einer ausverkauften Europa-Clubtour, bereits wieder mit Eminem und Limp Bizkit zuhause in den Staaten auf der Walz, unbestritten zwei ganz große Namen. Besteht da nicht die Gefahr, dass seine Band gegenüber so angesagten Acts ins Hintertreffen gerät? „Ja, kann man so sehen. Wir können uns noch nicht wirklich mit ihnen messen, aber wir werden da rausgehen und versuchen, es ihnen schwerer zu machen durch unsere Live-Show. Zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar werden wir dann eine Tourpause einlegen und an neuen Stücken arbeiten. Es gibt zwar schon einige Ideen, aber noch keine kompletten Songs.“ Immer noch nicht so ganz gerafft hat der deane Jerry (er raucht und trinkt nicht) übrigens die Tatsache, dass er im nächsten Jahr vom Gitarrenhersteller Scheeler mit einem eigenen Signature-Modell geehrt werden soll: „Das ist doch der Traum eines jeden Gitarristen. Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal passieren würde.“

Im Januar/Februar 2001 wollen Papa Roach die europäischen Bühnen erneut unsicher machen, allerdings als Headliner. Fragt sich nur, wie viele Fernseher dann dran glauben müssen…? Doch Jerry wiegelt ab, verweist alle diesbezüglichen Gerüchte ins Reich der Fabel, freilich nicht ohne einzuschränken: „Aber das kann ja noch kommen.“ Na also.

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