Say Goodbye To Hollywood?


Erst eine kleine Krise als Schauspielerin gab der Oscar-nominierten Wahlkalifornierin Minnie Driver die Möglichkeit, sich einer alten Leidenschaft zu widmen: der Musik. Ganz England fragt sich nun, ob ein Mensch zwei Talente haben kann.

Schweren Herzens hatte Minnie Driver auch die englische Presse eingeladen, als sie in London im September erstmals ihr Debüt EVERYTHING I VE GOT IN MY POCKET Journalisten aus ganz Europa live vorstellte. „Ihr seid sehr still“, sagte sie nach ein paar Songs. „Ihr beurteilt mich.“ Die Schauspielerin, der man in typisch britischer Missgunst nie verziehen hat, dass sie in Hollywood erfolgreich ist und England längst verlassen hat, um ihr Leben in einem großen Wohnwagen am Strand von Malibu zu genießen, hatte sich lange geweigert, mit Journalisten aus ihrem Heimatland zu sprechen. „Ich hab einiges einstecken müssen. Und meine Familie auch „, gestand sie kürzlich einem einfühlsamen Reporter der Zeitung The Guardian. „Ich kann niemanden davon abhalten, persönlich zu werden. Aber sie können auch mich nicht davon abhalten, das zu tun, wozu ich Lust habe.“ Auch dieses Interview, das sie nach Jahren erstmals wieder einem englischen Blatt gewährte, endete für Minnie Driver mit einer Enttäuschung: Wie sich herausstellte, hatte sich der Journalist nur deshalb so sensibel gegeben, um die Chancen zu erhöhen, am Ende in Erfahrung zu bringen, welche der neuen, ruhigen und persönlichen Songs Minnie Drivers von welchem ihrer berühmten Ex-Liebhaber (John Cusack? Matt Dämon? Oder Barbra Streisands Stiefsohn Josh Brolin?) handelt.

AlS Wir Uns am Abend VOr Minnie Drivers Konzert in Edinburgh in den Clubs der verregneten Stadt umhören, zeigt sich schnell, dass die Haltung der Presse nur Spiegel der Ablehnung ist, die die sommersprossige Schönheit in den j üngeren Schichten der Bevölkerung erfährt. Obwohl keiner der Studenten, die in Edinburghs überfüllten Indieclubs The Liquid Room und The Citrus Club zu Franz Ferdinand, Kasabian und den Strokes tanzen, Minnie Drivers Album gehört hat, hagelt es spöttische und verächtliche Kommentare. Sie ist Schauspielerin, so der Konsens, wie zum Teufel kommt sie da dazu, eine Platte zu machen?

Um die Frage zu beantworten, muss man wissen, dass Minnie Driver nicht mal einen Plattenvertrag hatte, als sie ihr Debüt einspielte. Im Gespräch, zu dem die 33-Jährige erfrischt von ihren morgendlichen Yoga-Übungen leger in Jeans und einem weißen Cardigans-T-Shirt erscheint, offenbart sich nach und nach, dass everything i’ve got in my pocket ein wesentlich unschuldigeres Projekt ist, als man das bei einem Filmstar dieser Kategorie vermuten könnte.

„Als ich kurz nach .GoodWill Hunting’als Schauspielerin sehr berühmt und mein Name gut vermarktbar war, hätte ich die Möglichkeit gehabt, Verträge über große Summen zu unterschreiben und das vo!le)-Lo-Programm durchzuziehen. Das war nichts für mich „, sagt sie und schiebt sich einen Keks, der mit ihrem Schwarzen Tee serviert wurde, in den Mund. Jedenfalls kannte ich die ganzen Typen aus der Musikindustrie. Als ich dann vor einiger Zeit darüber nachgedacht habe, mich vielleicht doch mit Musik zu beschäftigen,gab es ein paar Leute, die mir schwer abgeraten haben: „Keiner wird dich ernst nehmen. Sei einfach dankbar, dass du Schauspielerin bist.‘ Ich will keine Namen nennen. Obwohl – ich weiß eigentlich nicht, warum. Das sind unglaubliche Scheißkerle.“

In ihrem Freundeskreis in Kalifornien, in dem Minnie Driver im Jahr 2000 anfing, selbstgeschriebene Songs zwanglos vorzutragen, war das Feedback durchweg positiv. Getragen von einer Gruppe von Leuten, deren Mentalität der englischen entgegengesetzter nicht sein könnte, schrieb sie persönliche Texte, die sie zunächst mit einfachen Akkordfolgen begleitete. „Wenn ich mich abends mit Freunden getroffen habe, waren immer ein, zwei Mini-Disc-Geräte auf dem Tisch. Wir haben gegessen, Wein getrunken und dann haben wir angefangen, Musik zu machen. An solchen Abenden gab es nur Zuspruch und nie ein , Oh, das war ja scheiße.‘ Nur eben Songs, die Leute lieber mochten als andere. Da wurde kaum gewertet. Das war ein gutes Umfeld, um kreativ zu sem. „Dass Minnie Driver eines Tages ein Studio betreten hat, ist das Verdienst eines Mannes namens Marc Dauer. Minnie nennt ihn „Doc“, denn er ist nicht nur Musiker und Familienvater, sondern auch Arzt in einer kalifornischen Intensivstation. „Doc war hartnäckig. Er hat immer gefragt, wann ich ihm mal wieder ein paar Songs vorspielen würde. Jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben, hat er gesagt:, Ich warte‘.“Erst ein vorübergehender Stillstand in ihrer Schauspielkarriere aber war es, der es der Künstlerin ermöglichte, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren: Als ihr 2002 kaum interessante Rollen angeboten wurden, verbrachte sie zunehmend Zeit in Docs kleinem, selbst eingerichtetem Studio in einer Garage in West Hollywood. Da an ihrem Gesang kaum gefeilt werden musste – Minnie verdiente als Teenager in Londoner Nobel-Restaurants Geld mit dem Croonen von Jazzund Soul-Standards und unterschrieb mit der Massive-Attack-artigen Combo The Milo Ross Band schließlich sogar einen „Development-Vertrag“ bei Island Records, der ungefähr zu der Zeit aufgelöst wurde, als Drivers Filmkarriere mit „Cirde Of Friends“ ins Rollen kam -, lag das Hauptaugenmerk auf den Arrangements. „Doc ist ein brillanter Produzent, weil er einen Song, den er nur in seiner akustischen Form hört, zu seiner natürlichen musikalischen Bestimmung führen kann, ohne dabei die Essenz zu opfern“, schwärmt Minnie Driver. Mit befreundeten Musikern – darunter Rami Jaffee von den Wallflowers und Mitglieder von Pete Yorns Band – entstanden schließlich die Songs ihres Debüt-Albums. Songs, die live, wie sich am Abend in der Usher Hall in Edinburgh zeigt, in ihrer Natürlichkeit und Ehrlichkeit ein Publikum gewinnen können. Songs aberauch, denen zahlreiche Engländer weiterhin ungehört jegliche Qualität absprechen werden. Denn – und daran wird die Welt mit Joel Schumachers Big-Budget-Verfilmung von „Das Phantom der Oper“ 2005 wieder erinnert werden – Minnie Driver ist Schauspielerin. Und wie zum Teufel kommt sie da dazu, eine Platte zu machen?