Ryan Adams: Schwer erziehbar


Ryan Adams ist einer der begnadetsten Künstler der Gegenwart. Doch der Mann, für den seine gefeierte Band Whiskeytown rückblickend ein kreatives Gefäng- nis" war, muss heute härter denn je um künstlerische Freiheit kämpfen. ME traf einen Rebellen, der aus Trotz im November gleich zwei Platten veröffentlicht.

Der scharfe Geruch von Erbrochenem lässt selbst den Arzt die Nase rümpfen, der an einem Donnerstag Vormittag in einer geräumigen Suite im Royal Garden Hotel an Londons Hyde Park zwei Spritzen lädt. Der Zustand seiner Patienten – des New Yorker Alt.Country-Stars Ryan Adams (29) und seiner Freundin, der aus „Scream 3“ und „You’ve Got Mail“ bekannten Schauspielerin Parker Posey (35) – ist alles andere als glamourös. Weiß wie ein Laken und völlig entkräftet sind die beiden nach einer durchwachten Nacht, die auf der Couch vor dem DVD -Spieler begann und auf Knien vor der Toiletten-Schüssel endete. „Lebensmittelvergiftung“, diagnostiziert der Doktor, nachdem Ryan erzählt, dass sie sich am Abend zuvor – kurz nach einem MTV-Auftritt, den die beiden mit einer launigen White Stripes-Coverversion auf Plastikinstrumenten beendeten – Muscheln von einem italienischen Restaurant aufs Zimmer mitgenommen hatten. Zu den Spritzen werden Antibiotika für mehrere Tage verschrieben. Der Zeitpunkt könnte ungünstiger nicht sein, um über die zwei anstehenden und so unterschiedlichen Alben, das Kräftemessen mit der amerikanischen Plattenfirma und sein künstlerisches Selbstverständnis zu sprechen. Als Ryan nur kurz nach der Injektion wieder im Bad verschwindet, um sich unfreiwillig der eben geschluckten Tabletten zu entledigen, gebietet die Vernunft, ein für Mittag angesetztes Interview um 24 Stunden zu verschieben. Als wir am nächsten und für London erstaunlich sonnigen Tag hereingebeten werden, ist zumindest in Ryans Gesicht die Farbe zurückgekehrt. „Wir nehmen heute noch zwei von denen “ sagt er zu einer noch immer reichlich durchsichtigen Parker, während er Tabletten aus der Packung knipst, „und dann setzen wir sie ab“.

Ryan Adams ist kein großer Freund von Interviews, da ihn die unnatürliche Gesprächssituation nervös macht. Obwohl sich Parker neben ihm auf dem Teppich niedergelassen hat und ihm hin und wieder halbe Sandwichs oder einen magenfreundlichen Frucht-Smoothie reicht, rutscht er auch an diesem Freitag auf seinem Sessel hin und her, dreht Zigaretten oder reibt sich den Oberarm, auf den eine fette schwarze Spinne tätowiert ist. Er trägt Jeans, ein rotes T-Shirt mit „I Love Me“ und „President Nixon“-Buttons und zahlreiche silberne Armreifen. „Ich hin niezufrieden, aber das ist auch gut so“, sagt er, auf den steilen Verlaufseiner Karriere angesprochen, und steht auf, um einen Aschenbecher zu suchen. Auch wenn er auf der Bühne seine Nervosität gerne hinter einer Maske der Gleichgültigkeit verbirgt – Ryan Adams hat es einem durchaus profilierten Ehrgeiz zu verdanken, dass er viel erreicht hat, seit über seine ehemalige Band Whiskeytown im Herbst 1995 in der ersten Ausgabe des US-Szenemagazins No Depression berichtet wurde: Elton John nennt das so viel jüngere Talent „eine inspiration“, einen „scharfsinnigen, gewitzten und brillanten Songschreiber“. Lucinda Williams, Emmylou Harris, Adam Duritz, Rufus Wainwright und James Iha haben mit ihm gearbeitet. Mick Jagger schwärmt von seinem Genius, und die ehemalige Whiskeytown-Violinistin Caitlin Cary bezeichnet ihn als „geborenen Rockstar“. Zugefallen aber ist ihm – entgegen weit verbreiteter Annahmen -auf dem Weg zum Bilderbuch-Star der US-Alternarive-Szene nichts.

Da sich Ryans Eltern scheiden ließen, als er nur neun Jahre alt war, verbrachte er in seiner Jugend an der Küste von North Carolina viel Zeit bei seiner Großmutter „Geemaw Dedmond“. Er spielte mit ihr Karten, sprach über Philosophie oder schrieb Texte auf ihrer Schreibmaschine. Und auch wenn er sich erinnert, dass er sein erstes Black Flag-Album mit ihr zusammen hörte („Beim dritten Song hat sie gesagt, ‚Die hauen gerne auf die Becken, gell?'“), prägten ihn ihre musikalischen Helden mehr: Hank Williams, Willie Nelson, Loretta Lynn, George Jones. Als junger Erwachsener las er Jack Kerouac und Henry Miller und erklärte in der zehnten Klasse die Schulzeit für beendet. Nachdem er vorübergehend in eine „Punkrock Community“ in einem Gewächshaus der Großmutter eines Freundes einzog, packte er seine Sachen und zog nach Raleigh, North Carolina, um sich in der dort florierenden Indieszene als Musiker zu versuchen. Er begann, seine „eigene Version der Musik (zu spielen), mit der ich aufgewachsen war“, und wurde 1994 von dem Schlagzeuger Eric Gilmore eingeladen, seiner neuen „arty Country Band“ beizutreten. Nach nur einem halben Jahr unterschrieben Whiskeytown einen Plattenvertrag.

Es ist wohl keine Koketterie, wenn Ryan Adams heute sagt, dass er sich in der Rolle des Bandleaders bei Whiskeytown nie wohl fühlte. Zwar war er bereits Anfang 20 ein begnadeter Songwriter – man höre sich nur „Houses On The Hill“ (Strangers Almanac, 1997) an -, doch war er noch nicht abgebrüht genug, um dem Druck standzuhalten. Lampenfieber quälte ihn so dramarisch, dass er bisweilen fürchtete, auf der Bühne ohnmächtig zu werden. Die selbstzerstörerische Flucht zu Alkohol und Drogen führte zu wiederholten Zerwürfnissen mit seinen Kollegen und schließlich 1999 zur Auflösung der Band. Selbst mit Abstand sind seine Erinnerungen an die fünf Jahre so wenig erfreulich, dass er auch sein kreatives Schaffen in dieser Phase nur äußerst selbstkritisch betrachten kann. „Ich mag die frühen Whiskeytown-Songs nicht besonders“, sagt er heute unversöhnlich. „Ich finde sie vielleicht liebenswert, weil ich sie geschrieben habe. Aber das ist so ein Gefühl wie mit alten Schulsachen – wenn man die linierten Blätter wiederentdeckt, auf denen man Schreibschrift gelernt hat. Aber eigentlich finde ich sie unaufrichtig. Ich habe versucht, ein Songwriter zu sein, ohne zu wissen, wie.“ „Fühlst du dich wie ein Betrüger?“, fragt ihn Parker. „Manchmal“, antwortet er. „Ich hatte damals keine ehrliche Motivation und so ganz hab ich das noch immer nicht geklärt.“ Für das Ende von Whiskeytown übernimmt er inzwischen die volle Verantwortung. Er wollte damals nicht im Rampenlicht stehen und ist auch bis heute nicht ganz sicher, ob er ein Dasein als Superstar ertragen kann. Zweifellos ist er souveräner geworden: Seine letzten Tourneen haben gezeigt, dass er gelernt hat, Bühnen mittlerer Größenordnung eindrucksvoll zu bespielen. Egal, ob er seine Songs im Flüsterton vorträgt, ob er mit einer absurd langsamen Version von „Brown Sugar“ die Gunst des Publikums aufs Spiel setzt, oder ob ihm der Sinn nur nach Plaudern, Rauchen und Gitarrestimmen steht- seine Präsenz am Mikrofon ist imposant. Trotzdem träumt er bisweilen lieber von einem unauffälligen Dasein als Theater-Autor: „Eines Tages rufe ich einen Freund an: „Hey, wir treffen uns im Alt.Coffee auf der Avenue A. Danngehen wi rins Theater und sehen uns ein Stück von mir an.‘ Und ich bin bloß irgendein Typ, den keiner kennt.“

Diese Unentschlossenheit ist es, die auch Mick Jagger an dem Starpotenzial von Ryan Adams zweifeln ließ, obwohl er ihn als Musiker schätzt und im Januar 2003 für einige Auftritte ins Vorprogramm der Rolling Stones holte. „Der will keine Stadien spielen. Ich glaube nicht, dass Ryan darauf Lust hat. Dass er diesen Weg gehen will“, sagte er dem ME vor einem Jahr (ME 10/02). „Er hat wahrscheinlich recht …“ kommentiert Ryan sofort und hält dann inne. „Das ist ja ziemlich einfühlsam, oder?“, überlegt er ein bisschen verwundert, hatte er doch bisher vermutet, „dass bei diesen Jungs ein Konsens besteht, dass Ryan ‚okay‘ ist“, ohne dass irgendjemand tatsächlich einen ernsthaften Gedanken an ihn verschwendet hätte.

„Mickglaubt an Posing. Er glaubt daran, der Größte und Beste zu sein. Deshalb wäre es interessant, warum er so [über mich] denkt. Ob er glaubt, dass es mir nichts bedeutet, oder, dass ich eben ein Idiot bin.“Ryan Adams war bei den Auftritten im Vorprogramm der Stones mit der „Distanz zwischen Band und Publikum auf so einer Bühne“ unzufrieden. Zudem hat er immer wieder klar gestellt, dass es für ihn wenig erstrebenswert sei, „den linken Fuß auf eine Monitorbox zu stellen […] und vor 100.000 Leuten, ‚Can you take me higher‘ zu singen“.

Was ihn antreibt ist nicht Applaus, sondern ein rastloser Schaffensdrang und der Wunsch, als Künstler Anerkennung zu finden: „Ich suche nicht nach einem Hit. Ich will einfach kreativ arbeiten. So simpel sich das anhört – es gibt mir einen enormen Kick, einfach Kunst zu machen.“ Genau das aber gestaltet sich paradoxerweise besonders schwierig, seit er 2000 sein erstes Solo-Album fertig gestellt hat. Bezeichnete er Whiskeytown aufgrund der Unzufriedenheit mit seiner Rolle in der Band noch als „kreatives Gefängnis“, so verbesserte sich seine Situation als Solo-Künstler kaum. Bereits das fantastische Debüt HEARTBREAKER hätte man ihm beinahe ausgeredet. „Man hat mir gesagt, dass ich einen Fehler gemacht und die falsche Platte aufgenommen hätte‘ , erzählt Ryan kopfschüttelnd. „Ich sollte die Songs ändern, weil die meisten zu langsam und Amy‘ zu persönlich war. Das wurde mir so lange vorgehalten, bis ich klargestellt habe, dass das meine finale Platte ist. Ohne Änderungen.“ Ebenso unerwünscht war die von ihm geplante Veröffentlichung eines Boxsets von mehreren Sessions, die er nach seinem zweiten, Grammy-nominierten Album Gold aufgenommen hatte. Zum größten Kritiker entwickelte sich dabei sein ehemaliger Manager Frank Callari, der die Geschäftsführung des Lost-Highway-Labels in Nashville übernommen hatte. Da der Kompromiss, statt der Boxdie qualitativ sehr durchwachsene LP Demolition als Art „Best Of“ zu veröffentlichen, ein fauler war, weigert sich der Künstler bis heute, das Album als offiziellen Nachfolger von Gold zu bezeichnen. Und es sollte noch schlimmer kommen…

Im Frühling 2003 wurden Gerüchte laut, Lost Highway hätte Ryan Adams‘ nächste Platte Love Is Hell schlichtweg abgelehnt. ME fragte nach, und Frank Callari bezog im Juni Stellung: „Ryan hat ein paar Songs zusammengestellt und das Ganze Love Is Hell genannt. Es hat aber nicht nach etwas geklungen, das er jetzt veröffentlichen sollte. Das kann er besser. Jetzt schreibt er neue Sachen.“ Diese Aussage kommentiert Ryan erst nach einer kurzen Bedenkzeit. „Das ist seine Meinung. Ich teile sie nicht. Ich habe damit gedroht, mich von dem Label zu trennen. Ich finde es nicht fair, dass ein Künstler Alben macht, mit denen ersieh dann bei der Plattenfirma bewirbt! Und die suchen dann aus, was sie gerne veröffentlichen würden. So arbeite ich nicht. „Trotzdem ging Ryan Adams wieder ins Studio. Dass er dem Wunsch Callaris nachkam und das laute und bisweilen fast bombastische Rockalbum Rock’n’Roll aufnahm, verriet er jedoch nicht. „Sie wollten Musik aus dem Studio hören. Wir haben nein gesagt. Auf die Frage, warum, antworteten meine Anwälte: ‚Nun, ihr veröffentlicht Ryans Platten nicht mehr. Also nehmen wir Musik auf, um sie anderen Labels anzubieten.‘ Plötzlich waren sie kompromissbereit. Wir hatten folgende Forderung: .Wenn ihr je wieder eine Ryan Adams-LP veröffentlichen wollt, dann muss Love Is Hell zur gleichen Zeit erscheinen.“ Ryan Adams hat sich durchgesetzt. Die ersten acht Songs von Love Is Hell erscheinen gleichzeitig mit dem Album als EP, der zweite Teil vier Wochen später. Und das letzte Wort hat er auch. Seine Meinung zu Rock’n’Roll teilt er der ganzen Welt im gleichnamigen Titelsong mit, der auf der LP ironischerweise die einzige Ballade ist: „Everybody’s cool playing Rock’n’Roll. I don’t feel cool at all.“

www.ryanadams.com