Rufus Wainwright – Die Liebe über alles


Rufus Wainwright ist verliebt. Zum ersten Mal in seinem Leben richtig. Und das hat er Deutschland zu verdanken. Genauer gesagt: Berlin. (Noch genauer: einem Berliner.) Deswegen klingt sein fünftes Album release the stars nicht ganz so, wie es der Plan gewesen war.

Himmelhoch jauchzend und abgrundtief traurig – so weit und noch weiter reichte das emotionelle Panorama seiner letzten beiden Alben Want One und Want Two. Dazwischen besang Rufus Wainwright die Freuden eines Hurenfrühstücks, betete am Altar des schwulen Messiah und zollte seinem alten Zeichenlehrer Tribut. Das zu einer Musik, dieaus allen Nähten platzte. Das Instrumentarium grenzte an den Wahnwitz: Nebst ganzen Symphonieorchestern umfasstees Ukulele, Maultrommel, Akkordeon und marokkanische Trommeln, ganz zu schweigen von den Engelschören. All das war so wild und doch sahnig ineinandergemischt, dass man glaubte, mit dem einen Bein im Boudoir eines exotischen Harems zu stehen, mit dem anderen in der guten Stube des Johann Sebastian Bach.

Nun aber hatte Rufus Wainwright einen Wandel angekündigt. Er habe sich bis dahin als apolitischen Songschreiber verstanden, sagte er. Aber die politische Lage in den USA, gekoppelt mit der homophoben Atmosphäre, die von diversen fundamentalistisch christlichen Organisationen verbreitet und von der Bush-Regierung geschürt werde, hätte ihn eines Besseren belehrt. „Gay Messiah“ war sein erster Protestsong in diesem Sinne. Jetzt wollte er nachlegen. Um sich eine neue Perspektive zu verschaffen, zog er nach Berlin. Aber oh weh, das Resultat – das Album Release The Stars – klingt kein bisschen weniger üppig. Was ist denn passiert? „Ich weiß, ich weiß!“, sagt Rufus und lässt sein ironisches Lachen erknattern, das einen im Fluge in eine coole Schwulenbar von Manhattan versetzt, obwohl man in der Dachkammer des nobel-konservativen Londoner Hotels Claridge’s sitzt. „Ich habe versagt. Ich war ein Narr, als ich glaubte, ich würde düstere, mysteriöse und grimmige Musik machen können, jetzt, wo ich so blödsinnig gesund und zufrieden bin und wo ich dazu noch gerade diese Judy -Garland-Konzerte gegeben habe‘.“

Im Berliner Studio sei er denn prompt von einer „white light experience“ ereilt worden:

„Eine Art Explosion von allem, was ich in den letzten Jahren gelernt und erlebt hatte, musste nun einfach aus mir herausbrechen. All die musikalische Erfahrung, die Liebe zur Oper, die Liebe zum Theater- und natürlich mein Hangzum Dramatischen und Grandiosen. Da dachte ich mir: Ach komm, lass das Konzept sein. Das Konzeptkann warten.“

Wainwrights Großpapa wohnte in L.A. direkt neben Judy Garland. Sie fütterte ihn manchmal mit Sandwiches. „Ist es da ein Wunder, dass ich schwul wurde?“, sagt Rufus und grinst. Sein Vater Loudon Warnwright III schrieb kurz nach seiner Geburt das Lied „Rufus Is A Tit Man“, in welchem er dem Neid auf den Sohn Ausdruck gab. der ihn von seinem Posten an der Brust von Folksängerin Kate McGarrigle verdrängt hatte. „Spiel,Rufus Is A Tit Man‘!“, brüllte Klein-Rufus aus dem Publikum, wenn er mit dem Papa auf Tournee war. Nachdem sich seine Eltern getrennt hatten, wohnten er und Schwester Martha bei der MutteT in Montreal, die inzwischen mit dem schottischen Bassisten Pat Donaldson liiert war.

14 Jahre alt war er, als sein Song „I’m A Runnin“, den er für einen Soundtrack aufgenommen hatte, für einen Genie-Award nominiert wurde (die kanadische Version des Oscar). Im gleichen Jahr wurde der sexuell äußerst neugierige Teenager im Londoner Hyde Park das Opfer einer Vergewaltigung. Daraufhin zog er sich ins innere Exil zurück und entdeckte die Oper. „Es war ein ähnlicherVorgang wie bei meinen Altersgenossen „, meint er. „Wir waren alle desillusioniertvon DaveLeeRoth und Madonna und ihren ganzen grässlichen Videos. Aber während sich dieanderen tieferin dieRockmusik eingruben, erlebte ich eines Abends beim Anhören von Verdis .Requiem‘ meinen großen Glühbirnenmoment.“ Zehn Jahre lang habe er danach nur noch Oper gehört. „Ich spürte eine unerhörte Resonanz. Ich wusste, dass ich schwul war. AIDS hatte gerade eine neue Präsenz in der Szene, alle nahmen ein paar Jahre lang an, Schwulsein bedeute automatisch einen frühen Tod. Die Oper sieht im Tod oft Hoffnung. Das half mir, eine sehr düstere Periode zu bewältigen.“

Mit 20 erlebte Rufus einen ersten Kreativitätsschub. Eines Tages setzte er die Mutter in den Sessel und spielte ihr 30 Lieder vor: „Sie waren welterschütternd brillant, dachte ich. .Völlig unbrauchbar‘, sagte sie.“ Er erholte sich schnell von diesem Rückschlag, spielte ein Derao-Tape ein. Familienfreund Van Dyke Parks reichte es an Warner-Brothers-Präsident Lenny Waronker weiter. Dieser war gerade daran, das neue Label Dream Works zu lancieren und brauchte ein Aushängeschild, welches zeigen sollte, dass man zuvorderst interessante Künstler unterstützen wollte, statt nur auf den Zaster zu schauen.

Die Musikkritiker waren begeistert ob Rufus’s Debüt, aber die Zahl der Käufer hielt und hält – sich in Grenzen. Es stört den Künstler nur insofern – sagt er wenigstens -, als er weiß, dass er seiner Mama mit einem Nummer-eins-Hit eine große Freude bereiten würde. In der Tat ist es erstaunlich, wie viel Narrenfreiheit er seit seinem Debütalbum genossen hat, selbst dann, als er um die Millenniumswende in Crack, Heroin und Crystal Meth versank und deswegen sogar kurz erblindete. „Ich weißnicht, ob man sich bei der Firma große Sorge über mich oder meine Musik macht“, sagt er. „Aber auch sie erkennen einen Star, wenn sie einen solchen sehen. Sie wissen, dass sie blöd wären, wenn sie michgehen ließen.“

Release the stars ist aller Liebe und Opernpassion zum Trotz nicht ohne politisches Statement abgeblieben. „I’m so tired of America“ singt Rufus im zweiten Lied, „Going To A Town“: „Meine Lieder handeln meist von meinem eigenen Leben „, erklärt Wainwright. „Ich glaube nicht, dass ein denkender Amerikaner heute die Tatsache ignorieren kann, dass die USA auf so vielen Ebenen versagt hat. Sogar konservative Republikaner hat deswegen der Zorn gepackt! Es ist nicht mehr außergewöhnlich, Amerika zu hassen. Für mich ist es nichts mehr weiter als ein Aspekt meines Alltags. Es wird sozusagen schon erwartet von einem. Das ist sehr traurig. Und ein guter Ausgangspunkt fürs Album.“

Nach Berlin ging er deswegen, weil erstens sein neuer Lover dort wohnt (Jörn Weisbrodt, ein Theaterproduzent) und er zweitens die Stimmung im Post-9/11-New York nicht mehr aushielt: „New York ist wahnsinnig kommerziell eingestellt. Viel Fassade und PR. Gleichzeitig gibt man sich als big, bad, tough New York, the Real Thang, und das finde ich fragwürdig. All dieses Gerede über Terrorismus, g/u, ‚,Amerika steht unter Attacke!‘, ‚Wir könnten jeden Moment sterben!‘ …Ich sagte zu mir selber: Weißt du was? Ich geh jetzt mal an einen Ort, wo sowas tatsächlich geschehen ist. Wo der Horror tatsächlich stattgefunden hat, wo man darüber auch heute noch redet, aber wo es vom Gefühl her einen anderen, gesünderen Stellenwert einnimmt. Man soll mich nicht missverstehen: 9/11 hat mich auch stark betroffen. Aber ich habe die Leute in New York satt, die nur noch davon reden und tun, als wüssten sie, wovon sie plappern.“

In Berlin angekommen, ereilte ihn die Liebe. „Ich habe mich immer nach Liebe gesehnt“, sagt der 33-Jährige mit ironischem Pathos. „Es ist meine erste ernsthafte Beziehung. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Wir reisten nach Österreich. Nach Bayreuth. Nach Weimar. Jörn ist ein unglaublicher Typ. Wundervoll, schön, intelligent. Ich habe endlich den Unterschied erfasst zwischen Obsession und Liebe. Aber ich bin ja nun auch diese Heine Popsensation, und da habe ich keinerlei Absicht, jetzt so eine Art Superboyfriend zu werden. Hehehe!“

Es sei in Amerika schwierig, über Deutschland zu schwärmen unter Leuten, die keine Opernfans seien. „Die halten dich gleich für einen Vollblutnazi! Dabei kann man als Opernlieberhaber und als Liebhaber von klassischer Musik garnicht anders, ah die deutsche Kultur hoch zu schätzen, aus der diese Musik erwachsenist.“

Das ironische Resultat von Wainwrights Beschäftigung mit dem deutschen Alltag ist die Tatsache, dass am Schluss statt eines düsteren Zeitgeistalbums eher die perfekte Liedersammlung für den Kuss unter dem Fliederbaum herauskam. „Bowie, Iggy Pop, einige andere auch – an sie habe ich gedacht, als ich dorthin reiste. Ob’s der Geist der Stadt war oder die Liebe – jedenfalls höre ich in Release The Stars nun eine richtiggehend traditionelle deutsche CD, ganz Rokoko, beinahe Wienerisch im Geist. Ich zog aus das Dunkel zu erkunden – und habe stat tdessen die Lederhosen entdeckt. Komisch, nicht?“

Release The Stars ist nicht das einzige Rufus-Wainwright-Album, das dieses Jahr erscheint. Im Herbst folgt eine Liveaufnahme seiner Konzerte in New York, Paris und London, wo er unter Hilfe eines gewaltigen Orchesters notengetreu das Konzert nachspielte, welches Judy Garland 1961 in der New Yorker Carnegie Hall gab (Garland spielte Dorothy in „The Wizard Of Oz“ und ist in Wainwrights Augen die wichtigste Schwulenikone überhaupt). „Auch dieses Projekt entstand aus meiner Konfusion über das Leben im heutigen New York. Die ganze Malaise nach g/n, die Unsicherheit wegen Irak … verwirrend. Auf der einen Seite dieses privilegierte Leben voller Freiheiten und Möglichkeiten, die es anderswo nicht gibt. Auf der anderen Seite dieser politische Aufruhr. Mittendrin kaufte ich die LP judy at Carnegie hall. Ich legte sie auf und war sofort viel besser drauf. Die Musik erinnerte mich an die guten Seiten der USA – an die Hoffnung. Plötzlich ertappte ich mich dabei, wie ich mitsang. Von da aus war’s ein kleiner Schritt zu meiner Show. Von so einem Hollywood-Moment hatte ich ja immer schon geträumt! Ich hatte es satt, all die tollen alten Hollywoodfilme zu sehen, ohne dass ich selber drin war.“

Sein nächstes großes Projekt ist eine Oper, die sich um den Alltag einer Operndiva dreht. Die New Yorker Metropolitan Opera hat sie in Auftrag gegeben. “ Viele Songs auf dem neuen Album haben die gleiche Botschaft. Sie sind ein Aufruf dass wir uns alle intensiver dafür einsetzen, unser Potenzial auszuschöpfen. Ich werfe damit quasi den Fehdehandschuh hin. ‚Okay‘, sage ich zu euch, ’schaut mal her. Jahr für Jahr für Jahr habe ich nun mein Bestes gegeben. Jetzt wieder all diese neuen Lieder. Diese fucking judy-Garland-Konzerte. Und eine Oper noch dazu. Und was zum Teufel, macht ihr? Hehehe!'“

www.rufuswainwright.com