ROGER-WHITTAKER-PLATTEN SAMPELN, SYSTEM-OF-A-DOWN-VERSTÄRKER SCHLEPPEN


Fin Greenall, der Mann hinter dem spektakulär unspektakulären Blues-Folk-Trio Fink, hat sich viel Zeit gelassen, um zur Essenz dessen zu gelangen, was ihn am meisten interessiert: der Song.

Fin Greenall ist ein Phänomen. Die Musik, die er gemeinsam mit Guy Whittaker und Tim Thornton unter dem Namen Fink macht, ist … okay. Kaum geeignet, um einen vom Hocker zu hauen, so ungefähr das Gegenteil eines Spektakels. Und doch hat der Brite sich mit seiner sensiblen, bluesigen Singer/Songwriterei über die letzten Jahre eine riesige Fangemeinde erspielt. Fink und Fans lassen jeden Liveauftritt in längst mittelgroßen Hallen zu einem Ereignis werden. Aber da war und ist noch viel mehr: Greenall hat bereits eine ziemlich beeindruckende Karriere als DJ und Produzent elektronischer Musik hinter sich. Und er hat Songs für Stars wie Amy Winehouse und John Legend geschrieben. So unspannend Fin Greenalls Musik im ersten und oft auch noch im zweiten Moment wirkt, umso interessanter ist der Vielwerker aus Bristol als Mensch.

Wer ist dieser Fin Greenall? „Maaan, that’s a good question!“ Greenall dehnt die Vokale im feinsten britischen Südlandakzent. Dabei schubbert er sich mit den beringten Fingern über den kahl geschorenen Kopf und krault seinen Vollbart. „Ich war schon immer Musikfan. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass dieses Hobby so früh in mein Leben getreten ist und mich seitdem immer umgeben hat. Und ich bin sehr stolz auf mich. Nicht wegen meines Hauses und meines Autos oder weil ich kein Haus und kein Auto habe. Ich bin einfach nur sehr stolz darauf, dass ich als Künstler zu hundert Prozent immer ich selbst geblieben bin.“

Greenall wird 1972 als Kind eines Musiker-Paars in Cornwall geboren. Als Teenager wächst er in Bristol auf und fährt dort täglich mit dem Bus in die Park Street ins Zentrum, dorthin, wo Banksy sein erstes Piece gemalt hat. Hier stellt sich Greenall aufs Skateboard. „Skater waren Outsider, schwitzende, stinkende Outsider“, erzählt Greenall. „Aber wir waren frei. Wir dachten uns Tricks aus, liefen herum, wie es uns gefiel.“ Irgendwann werden Mädchen wichtiger als der nächste gestandene Trick. Und nach dem Schulabschluss steigt er endgültig vom Brett, will die Welt sehen. „Ich habe mir ein Zelt gekauft und bin losgereist. Ich war jung, fit, konnte überall arbeiten und Geld verdienen.“ Sein einziger Begleiter ist die Musik. Dass Fin Greenall damit eines Tages mal seine Miete zahlen würde, lag ungefähr so nahe wie die Orte, die er von Bristol aus besuchte.

Die Erleuchtung findet Greenall aber nicht am anderen Ende der Welt, sondern in Leeds, wo er später studiert und das erste Mal elektronische Musik hört, in einem Kellerclub voller stinkender und schwitzender Outsider. Greenall kommt ins Schwärmen, wenn er an die Zeit denkt. „Du konntest dir einfach einen Atari kaufen, Musik machen, ein Label gründen, die Platte pressen und das Ding in den Laden stellen. Es gab keine Regeln und war ein bisschen wie Punk. Nur nicht ganz so politisch und nicht ganz so gefährlich. Und doch haben wir etwas Neues und Aufregendes erschaffen, das nur mir und meiner Generation gehörte.“

Greenall beendet sein Studium in Englisch und Geschichte, aber als er den DJ-Star Sasha am Pult erlebt, ist es endgültig um ihn gesche hen. Er, der sich bis dato mit Jobs bei kleinen Labels und als Promoter über Wasser gehalten hat, durchforstet seine Plattensammlung und legt nun selbst zu unmenschlichen Uhrzeiten in den schäbigsten Clubs auf. Er produziert erste eigene Tracks, greift Leuten wie dem Jazz-Gitarristen Martin Taylor und dem Blueser Robert Belfour unter die Arme. 2000 erscheint auf dem Elektro-Label Ninja Tune sein Albumdebüt FRESH PRODUCE. Aber irgendetwas fehlt.

„Es war wie in einer Beziehung“, erzählt Greenall. „Am Anfang ist alles toll, aber irgendwann hadert man mit sich, und plötzlich läuft einem diese andere unglaublich schöne Frau über den Weg “ Greenall war zu der Zeit nonstop unterwegs. „Es war alles ein bisschen konfus. Drum’n’Bass starb gerade aus, House war überall, dann gab es noch Indietronica.“ Er schmunzelt. „Aber die elektronische Musik und ich hatten uns einfach auseinandergelebt.“ Als er eines Abends im Londoner „Fabric-Club“ auflegt, beschließt er, dass es jetzt genug ist.

Es folgt eine schwierige Zeit. Ein neues Leben. Ohne Umschläge mit den DJ-Gagen. Eine Zeit, in der Greenall die Liebe zum Song wiederentdeckt. „Ich war ja Teil der elektronischen Revolution, die den ganzen Oldschool-Kram zerstört hat – wohlgemerkt in einem sehr positiven Sinne. Ich dachte immer: Warum soll ich mir eine Band anhören, die das Gleiche wie die Beatles nur in anderer Besetzung machen? Aber irgendwann ist der Knoten geplatzt.“ Greenall sieht Radiohead und Beck live. Und er erlebt System Of A Down im Londoner „Astoria“. „Das war eine Energie, die ich von meinen Clubgigs nicht kannte. Da dachte ich mir, ich würde lieber als Roadie deren Verstärker schleppen, als noch mal in einem Club aufzulegen.“

Fin wird kein Roadie. Gemeinsam mit den beiden alten Freunden Guy Whittaker (Bass) und Tim Thornton (Drums) gründet er Fink. Sie spielen traurige, bluesige Akustikmusik, die konträrer nicht sein könnte zu Greenalls früherem Sound. Sie erscheint dennoch weiterhin bei Ninja Tune. 2007 gelingt den dreien mit dem Song „This Is The Thing“ ein erster Erfolg und 2011 mit dem Album PERFECT DARKNESS der Durchbruch. Auch auf dem neuen Album HARD BELIEVER gibt es wieder schleppendschmerzenden Blues zu hören. Greenall lullt einen ein mit seinem Augen-zu-Gesang, deckt einen mit der Wärme der Songs zu. Es ist Musik, zu der man sich gut schlecht fühlen kann.

Wie eingangs schon erwähnt, ist Fin Greenall ein Phänomen. Nicht nur, dass ein Ninja-Tune-Act Kopfh örer gegen Schiebermütze tauscht und seine Finger nicht mehr über Plattenhüllen, sondern die Saiten einer Akustikgitarre fliegen lässt. Fin Greenall genießt unter den Kollegen ein enormes Ansehen als Songwriter. Er ist Co-Autor von John Legends Hit „Green Light“, arbeitete mit dem Rapper Professor Greene sowie in frühen Sessions mit Amy Winehouse zusammen. „Songwriting für andere macht irre viel Spaß, weil es eben nicht mich, sondern die repräsentieren muss“, sagt er. Und das sei genau das Spannende. Künstler kämen zu ihm, um mit ihm gemeinsam Songs zu schreiben, die vielleicht nicht als Hits taugen, aber dafür mehr über Fins Kundschaft verraten als der typische 08/15-Volle-Kanne-Pop.

Und vielleicht liegt darin das Geheimnis von Fink. Vielleicht outeten sich deshalb in den letzten Jahren nicht nur Radiohead als Fan, vielleicht spielten Fink deshalb mit dem Royal Concertgebouw Orchester aus Amsterdam und vielleicht findet deshalb ein Fink-Song nach dem anderen den Weg in den Soundtrack von diversen Fernsehserien. Weil die Musik und Greenalls Texte nicht (zu) viel wollen. Sie lassen genug Raum und Platz für das Eigene von jedem Einzelnen.

Roger Whittaker war trotzdem noch nie auf einem Fink-Konzert. Greenall lacht. Sein Bassist Guy ist der Sohn Whittakers. Jenem Sänger und, Obacht, Kunstpfeifer, der mit seiner Schlagermusik Welterfolge feierte. „Umgekehrt kann ich mit seiner Musik aber auch nicht viel anfangen. Aber seine Stimme ist gewaltig!“ Greenall erinnert sich, wie Roger Whittaker den beiden auf seiner imposanten Stereoanlage Pink Floyd vorspielte, bis die Fenster klirrten. Und daran, wie Guys Vater die beiden als Jugendliche an einem Sommertag mit ins Studio nahm. „Ich kam rein und sah diese Plattensammlung. Zu der Zeit war ich ein totaler Vinylfreak und fing sofort an, mich durch die Sammlung zu blättern. Vielleicht könnte man etwas daraus sampeln. Doch dann merkte ich: Das sind ja alles seine eigenen Alben -ein verdammter Meter Roger-Whittaker-Platten!“ Greenall lacht. „Da war für mich klar, wenn ich das alles, dieses Haus und dieses Studio hier haben will, dann muss ich mindestens so viele Platten aufnehmen wie Roger Whittaker. Er hat mir gezeigt, was es heißt, ehrgeizig zu sein.“ Albu m kritik S. 88