Roger Waters in Berlin: Israel-Hass in Großbuchstaben
Das ehemalige Mitglied von Pink Floyd überzeugt bei seinen Konzerten in Berlin mit einer opulenten, selten so gesehenen Bühnenshow. Und setzt dann zu bizarren politischen Reden an.
Zum Glück für Roger Waters hat die Armee an IT-Leuten und Technikern die an THE DARK SIDE OF THE MOON erinnernde Pyramide als 3D-Projektion über die Köpfe der Zuschauer und vor die Bühne projiziert. Durch die Lasershow hindurch sieht Waters, 74, nämlich tatsächlich relevant aus, als er vor dem letzten Song seines Konzerts einen Zettel aus der Tasche holt und zu einer grotesken Wutrede ansetzt. Ohne die große Show in der Mercedes Benz Arena in Berlin hätte er in diesen Minuten schlichtweg wie ein wirrer alter Antisemit gewirkt, der sich irgendwie auf eine der größten Bühnen der Stadt verlaufen hat.
An zwei Abenden (Freitag und Samstag) füllte Waters mit seiner „Us + Them“-Tour und einem Best-of von mehreren Pink-Floyd-Alben die Mehrzweckhalle an der Spree. Und zweimal schaffte er es durch seine vorbereiteten Reden, ein großartiges Konzerterlebnis zu ruinieren – zumindest sahen das die buhenden, empört aus dem Saal stürmenden oder einfach nur peinlich berührt schweigenden Gäste so. Bei weitem nicht alle Zuschauer wollten Teil des bewussten Eklats sein, den Waters als festen Programmpunkt eingeplant hatte.
Gegen Zuckerberg, gegen Trump, gegen Israel
Roger Waters verknüpft Politik wie selbstverständlich mit seiner Show. Die riesigen Leinwände, die zwischenzeitlich die Mercedes Benz Arena in zwei Hälften spalten, zeigen nicht nur bekannte Floyd-Elemente oder werden zu Fabriken, über denen dann das berühmte „Pig“ schwebt, sie zeigen auch Trump, Trudeau, Erdogan, Johnson und viele andere Macher oder Nicht-Macher der Weltpolitik. Die LED-Wand auf der Bühne wird gegen Ende der Umbaupause dafür genutzt, um Facebook-Chef Mark Zuckerberg anzugreifen: „HE IS SLOWLY TRYING TO ELIMINATE ANY WEBSITE THAT DOESN’T CONFORM TO HIS CONSUMERIST WORLD VIEW!“, ist da zu lesen. Waters macht Politik in Großbuchstaben, Trump bekommt den Mittelfinger. Vor Beginn der Show starren die 11.000 Zuschauer auf eine Frau, die minutenlang aufs Meer schaut. Bis sich das Bild rot färbt und Roger Waters die Bühne betritt, um das Publikum mit Hits und Gerechtigkeit zu beschallen.
Aus musikalischer Sicht gibt sich Waters keine Blöße: „Another Brick In The Wall Pt II“, „Money“ „Breathe“ und „Welcome To The Machine“ entwickeln genau die Wucht, die man erwartet. Die mit viel Technik, altbekannten Floyd-Visuals und neuen Ideen entworfene Show sorgt manchmal für Szenenapplaus noch vor Ende der Songs. Und ja: Auch viele politische Statements des Briten werden stilvoll und nachvollziehbar in die Show eingebunden. Wenn alle Leinwände schwarz werden und in nüchterner weißer Schrift Trump-Zitate durchlaufen, während die Musiker den apokalyptischen Soundtrack zu „We Will Have No Choice But To Totally Destroy North Korea“ spielen, dann ist das zwar wenig subtil, aber durchaus wirkungsvoll. Ob wir aber alle wirklich in „einem dystopischen Albtraum gefangen sind“, darf bezweifelt werden, wenn wir uns diese Botschaft auf einer Konzert-Inszenierung mit dreistelligem Ticketpreis und mit Bierchen in der Hand am Samstagabend anschauen.
Zynismus für den Antisemitismus-Beauftragten
Vor dem Konzert haben einige Mitglieder von BDS demonstriert. BDS steht „Boycott, Divestment and Sanctions“, die Organisation setzt sich für Gleichberechtigung in Nahost, für Freiheit für die palästinensischen Gebiete und gegen illegalen Siedlungsbau ein. Doch einige Mitglieder von BDS gehen noch weiter, sprechen dem Staat Israel die Existenzberechtigung ab und offenbaren antisemitische Tendenzen. Roger Waters ist einer der lautesten Fürsprecher der Organisation, reagiert bei den Konzerten mit Zorn auf die Kritik, die er und der BDS bekommen haben.
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Am Freitag nutzt er seine Rede vor der Zugabe „Comfortably Numb“, um über Felix Klein zu reden. Klein kämpft im Auftrag der Bundesregierung gegen Antisemitismus und ist aus nachvollziehbaren Gründen kein Freund der BDS. Waters kann sich keine noblere Aufgabe vorstellen, „good for you Felix“ fügt er zynisch an. Waters erzählt, dass Klein Bankkonten des BDS blockieren wollte und sowieso gegen die Organisation schießt. Dann der Bogen zu Menschenrechten und der Liebe im Saal, die in die gesamte Welt getragen werden muss. Waters merkt nicht, dass die Liebe mit jedem seiner Worte mehr und mehr entweicht, großer Jubel von den anwesenden BDS-Leuten, vereinzelte „Free Palestine“-Rufe. Am Ende der mehrminütigen Rede noch ein kleiner Nachrichtenüberblick über den Siedlungsbau – via fremdem Artikel wirft Waters Israel Kriegsverbrechen vor. Smart, so ist er im Zweifelsfall fein raus. Nach einigen Haken landet er noch einmal bei Felix Klein, er soll BDS nicht länger kriminalisieren.
Kritik an Musikerkollegen
Das grundlegende Problem von Waters und dem BDS ist, dass sie ihre Positionen radikal vertreten und sich diktatorisch aufführen. Auch via „Artists for Palestine“ forderte Waters seinen Berufskollegen Nick Cave Ende 2017 auf, sein geplantes Konzert in Tel Aviv abzusagen. Die Mitglieder vom BDS riefen kurze Zeit davor zum Boykott des Popkultur-Festivals in Berlin auf, zumindest die arabischen Bands, die dort spielen wollten. Der Hintergrund: Der Staat Israel hatte die Reise einer israelischen Künstlerin bezuschusst, die Leute vom BDS witterten aggressives Kulturmarketing und wurden mal wieder laut und traten an andere Künstler heran, sie sollten mit ihren Absagen ein Zeichen setzen (mehr Hintergründe zu der Kampagne rund um das Popkultur-Festival).
Vom BDS ging in der Vergangenheit mehrfach eine beklemmende Bevormundung aus, die dem Diskurs schadet, den die Organisation eigentlich anregen möchte, denn über die Siedlungspolitik und die Besetzung der palästinensischen Gebiete darf und muss weiterhin gesprochen werden – auch auf den Bühnen dieser Welt. Roger Waters hat dies am Wochenende aber nur halbherzig getan, sondern sich lieber Feindbilder rausgepickt. War es am Freitag Felix Klein, ging es am Samstagabend gegen das 2018 stattfindende Popkultur-Festival und gegen den WDR. Mit dem müsse er bald noch ein Wörtchen sprechen, denn der Sender hat die Kooperation zur Waters-Tour zurückgezogen. Zum Beispiel wegen des fliegenden Schweins, das verziert mit Dollarscheinen und Davidstern 2013 durch deutsche Stadien flog. Die Konzertagentur Lieberberg distanzierte sich damals ausdrücklich von diesem Element der Show, der WDR zog aufgrund solcher Metaphern nun eben seine Zusammenarbeit zurück.
Roger Waters, der noch einmal auffällig lang betont, dass er kein Antisemit ist, findet Verhalten wie das vom WDR ziemlich armselig. Und merkt vielleicht nicht, dass viele Zuschauer in in der Mercedes Benz Arena genauso über ihn denken, sobald er über „israelische Propaganda“ im Zusammenhang mit der Werbung auf seinen Konzertkarten spricht.
Am Ende der Show ein Zeichen der Versöhnung, zwei Hände greifen ineinander. Eine universelle Geste der Hoffnung, die sich selten so missbraucht angefühlt hat.
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