Rock Am Ring Nürburgring, Eifel


Uruk-Hais & Außerirdische: Zum 20-jährigen Jubiläum präsentiert sich der Ring gitarrenlostig wie lange nicht.

Das erste, was man nach dem Anfahrtsstau auf der Hauptbühne sieht, ist Gustaf Noren, der zum Finale des Mando-Diao-Auftrittsam hellichten Freitagnachmittag seine Gitarre zerdrischt. Wenn man das als symbolische G este für das 20jährige Bestehen von Rock am Ring interpretieren möchte, dann bitte ausschließlich im affirmativen Sinn als ironiefrei dargebotenen Klassiker aus dem Repertoire der Rock’n’Roll-Männerwildheiten. Nichts von wegen „Rock muß zerstört werden“-Subversion,im Gegenteil: So wenig Nicht-Rock war selten am Ring. HipHop fällt diesmal komplett unter den Tisch, Elektronik gibt’s kaum. Dabei zeigt der frenetisch betanzte Set der Chemical Brothers zur Samstagnacht, daß die Leude es durchaus woll’n, daß zwischendurch mal Baß massiert. Freilich ist die Schlagseite in Richtung Gitarre und Powerchord nicht Ring-exklusiv (beim Southside/Hurricane ist sie noch ausgeprägteT. siehe übernächste Seite) und vielleicht ja nur Spiegel dieses Musikjahres. Doch beschleicht einen das Gefühl, daß hier ein Prozeß der Wegrationalisierung der Vielfalt im Gangisi, weil „der Marktes verlangt“. Muß, wer in der Sonne ein wenig Arschwackeln will, demnächstauf ein spezielles Dancefestival gehen, weil bei den Rockfestivals ja zielgruppenspezifisch die Rockhörer gefüttert werden?

Letztere haben bei Mando Diao jetzt schon mal kräftig zubeißen dürfen; die Schweden haben die arrogante Attitüde, mit der sie letzten Sommer über Festivalbühnen staksten, sausen gelassen und präsentieren sich als funkensprühende Energetiker, denen keine Bühne zu groß ist. Anders als Weezer, mit denen man das lang erwartete Wiedersehen lieber in einem Club gefeiert hätte. Aber lieber Weezer auf einer fünf Meter hohen Bühne als gar kein Weezer – wenn der große NeurotLker Rivers Cuomo da auch anderer Meinung sein dürfte. Der wirkt aber heute eh gar nicht so neurotisch. sondern lächelt mild hinter seiner Hornbrille hervor. Die Hits purzeln nur so daher, wobei das quietschige „Beverly Hills“ neben alten Götterstücken wie „Undone“, „Say It Ain’t So“ und der beseelten Nerd-Hymne „In The Garage“ zum Finale ganz schön in Unterhosen dasteht. Das geflügelte Weezer-W in der Kulisse flackert, Cuomo schlurft als letzter von der Bühne. Und wie die letzten Mal mag man keine Prognose wagen, wann und ob man ihn je wiedersehen wird.

Daß die zuletzt schwer ausgezählten Neo-Punk-Bälger Green Day 2005 als Co-Headliner Riesenfestivals spielen würden, hätte vor einem lahr auch noch niemand vorhergesagt. Zudem scheinen sie mit ihrem erstaunlichen Comeback mit American Idiot zu ihrer wahren Bestimmung gefunden zu haben und feiern als Herren des Stadions eine Show ab, die vom biersaufenden Kaninchen-Maskottchen über Pyroeffekte und Kostümgags bis hin zur um Tröten und Orgel erweiterten Bandbesetzung vor unterhaltsamen Gimmicks und Akzenten nur so strotzt. Billy Joe Armstrong wirkt als großer Zampano zwar noch nicht vollends souverän (er flucht zu plakativ und sprichtmit einer gekünstelten Grölstimme), aber macht die redlich atemlose Rampensau, die lieber zum 180. Mal ein „eeooh-eeooh“-Mitsingspiel anzettelt, als sein Publikum eine Sekunde vom Haken zu lassen, die Fans auf die Bühne holt, die Gitarre verschenkt und sich mit Krone und Purpur verzieren lässt. Wer in all dem exaltierten Gebaren Anzeichen für einen kleinen Freddie-Mercury-Komplex (wie unpunkig!) zu bemerken glaubt, wird zum Finale bestätigt: Da gibt’s zu Konfettiregen eine 1:1-Coverversion von – oh ja – „We Are The Champions“.

Auf der Alternastage zu Abwechslung keine Gitarren, dafür die Celli der absurden Band Apocalyptica. Schnell zurück zur Center Stagc zu R.E.M. Der Andrang bei der ersten Ring-Show von Michael Stipe &. Co. ist bezeichnenderweise moderater als vorhin bei Green Day, etwas träge läßt sich die Sache an. Dann kommt der Regen und alles wird gut. Die Halbherzigen flüchten, zwischen den Dagebliebenen und der Band entspinnt sich jenes uralte, schön kitschige Gefühl der trotzigen „jetzt erst recht“-Verbundenheit, das für unvergeßliche Festivalkonzerte gut ist. Jeder liebt eine durchnäßt weiterspielende Band, und der im Anzug und mit verwischtem Augen-Makeup im Regen knieende und in der Pfütze am Bühnenrand herumspringende Stipe ist eine Schau für sich. Zwar tischen sieneben einigen Hits auch weiter sprödere Songs vom neuen Album auf- für ganz breiten Populismus ist man bei R.E.M.ander falschen Adresse-, aber spätestens beim finalen Chorgesang zu „Man On The Moon“ wiegt sich alles in so einer freundlichen Wärme, daß einem der anschließende Weg zur Alternastage umso mehr wie ein Marsch nach Mordot vorkommt. Von weitem schon hört man das Dröhnen der Kriegstrommeln und von der Leinwand grüßt die Fratze eines röhrenden Uruk-Hai: Slipknot spielen auf. Lustig ist das geisterbahnige Maskengehüpfe ja anzuschauen (vor allem, wenn der nihilistische Guhl zwischendurch eine Goldene Schallplatte hochhält und seinen „motherfucker“-Fans für den Support dankt) und die Musik mit ihrer fast totalen Reduktion aufs Perkussive (selbst die Gitarren rattern tonlos) auf jeden Fall radikalerund interessanter als das – mit Verlaub -gleichförmige Quietschgeholze der angeblich so krassen Slayer einen Tag später. Mit etwas anderen Mitteln, aber im selben Geist wie Slipknot—aurale Simulation von schlechter Laune und Gewalttätigkeit- lassen dann The Prodigy den Abend ausklingen. Booom. Etc.

Schlockrock-Schock am Samstagmorgen: Mit wasserstoffblonden Klobürstenfrisuren, weißen Stretchhosen und gereckten Les-Paul-Gitarren vor spinaltapesker Marshall-Wand sleaze-rocken The Towers Of London die Center Stage. Vielleicht ist das ironisch gemeint. Sind daran The Darkness schuld? Oder jener Zeitgeist, der uns auch die Reunion von Mötley Crüe beschert hat? Nichts gegen verdörrte oder gar aufgedunsene Drogen wracks. Aber so charmefrei sowie bar auch nur eines einzigen erinnernswerten Riffs wie dieses Schwerenöter-Sanatorium aufläuft, das mag einem die maue Lust auf den Rest des Metal-Tages auf der Center Stage ganz verderben. Der Ewige Marilyn Manson und die unzerstörbare Iron-Maiden-Muppetshow müssen/dürfen/sollen heute ohne den ME auskommen. Schon allein, weil auf der Alternastage ja heute Heldenauftrieb ist.

Bevor der richtig losgeht, hören wir Phantom Planet, die sonnig aussehen, sich abgesehen von ihrem „O.C. California“-Hit „California“ aber auch eher spröde-wuchtig gerieren. Hört das jetzt mal auf mit dem 08/15-Gerocke?! Ja. Bei Maximo Park hört sich so einiges auf. Daß der Nachmittag nieselig-verhangen ist, ist jetzt mal für 45 Minuten egal, während die schnittig gekleideten Fünf aus Newcastle die zahlreichen Hits von A Certain Trigger rauswatschen. Und Paul Smith mit seinem fiesen Seitenscheitel, stechendem Blick und erhöhter Körperanspannung ist der zweittollste Frontmann des Tages. Dann Tocotronic. Wie angenehm, sich nach dem Lärm und Geblöke der letzten anderthalb Tage eine Stunde in die Obhut von Dirk von Lowtzow zu verfügen, der seine dandyeske Kultiviertheit ostentativ, doch ohne elitären Gestus vor sich her in dieses im eigenen Saft simmernde Partyendlager hereinträgt, wie ein Reisender aus einer anderen Weltzett, der amüsant und freundlich ist zu den Eingeborenen, aber zur Tca Time wieder im Salonzelt sitzt. Seine Band bereitet wunderbar den Weg für die intellektuell/haltungsmäßige Antithese zu dem Ganzen hier, die jetzt in Gestalt von Sonic Youth über den Ring kommt. Wie Außerirdische, herbeigebeamt aus einer fernen Geisteshaltung, in der Entertainment eine willkommene Nebenwirkung von Kunst ist und nicht umgekehrt, stehen sie da, verwegen, zerfurcht, den leibhaftigen Jim O’Rourke in ihren Reihen, und tun, wofür sie 2005 so wertvoll sind wie eh und je: Lassen Kinnladen runterfallen und rücken Köpfe zurecht. Sie sehen cooler aus als alle anderen hier, spielen völlig andere Riffs, Harmonien und Rhythmen als alle anderen hier, weichen ab, fransen austauschen dreigitarrig furchteinflößend schöne Noise-Cumuli auf, gegen die Slipknots kalkuliertes Gruseldröhnen wirkt wie Kindergerassel.

Nach so etwas fallt es umso schwerer, sich mit dem belanglosen Schnullibulli-Rockpop von Garbage anzufreunden, es hilft die Flucht zum „Talent“ Forum zu den Secret Machines: Auf einer kaum beleuchteten Bühne zwei schmale Burschen an Gitarre und Bass/Orgel und ein entfesselter Afroträger am Schlagzeug, die sich als bestmöglicher vorstellbarer Bastard aus Pink Floyd, Strokes, Neu! und The Jesus And Mary Chain empfehlen, der ideale Nachspülgang nach Sonic Youth. Danach, weichgerockt, ist man bereit für die Meisterklasse. Was soll man noch über die Hives sagen? Die könnten die nächsten 20 Jahre auf jedem Festival dieser Hemisphäre spielen und wären wohl immer eine Bereicherung. Eine singuläre Erscheinung. Immer wieder völligphänomenal, wie halsbrecherisch und tight sie ihre scheinbar so simplen drei-Minuten-Wurzen raushauen, ohne daß dabei die lames-Brown/Iggy-Pop-Show. diese Inszenierung wie eine amphetaminübersäuerte Tanzrevue im Punkrock-Kurhotel einen Millimeter verrutscht. Und Pelle Almqvist sieht mit seinem neuen Schnäuzer jetzt nicht mehr aus wie Daniel Küblböck, sondern wie Bryan Ferry. Es wird immer besser. Was danach nur noch kommen kann, ist, sich die Birne duhn zu tanzen mit den Chemical Brothers. Ist „Galvanize“ posthum der beste Big-Beat-Track aller Zeiten?

Samstags sind sich die Semi-Insider sicher, „daß es die Hosen sind“, die den Sonntagabend-Platz des gerüchteumlankten „Überraschungsheadliners“ füllen werden. Und es gilt nun auch als Faktum, bis kurz vor dem Festival seien tatsächlich die Böhsen Onkelzfür den Spot vorgesehen gewesen, Veranstalter Lieberberg habe den Vertrag mit den larmoyanten Wehrsportrockern aber kurz vor knapp wegen Protesten von Sponsoren und Absageandrohungen gewichtiger Bands gelöst. Später wird in ersten Nachberichten stehen, die Toten Hosen hätten mit einem gewohnt gloriosen, fetzigen etc. Auftritt die durch die Absage von Limp Bizkit entstandene Lücke am Sonntagabend würdiggefüllt. Aber das stimmt so möglicherweise nicht ganz. Die Lücke von Limp Bizkit haben Wir Sind Helden gefüllt. DieToten Hosen sind vielleicht die Band, die beim Jubiläums-Ring 2005 für die Onkelz eingesprungen ist. Das wird Campino wohl so nicht in die Bandchronik schreiben.

„Du bist die Perfektion!“, schreit Sebastian Madsen im Wechsel mit Schlagzeug-Bruder Sascha. Den ganzen Refrain des Hits allein zu brüllen, würde die glühenden Stimmbänder des Frontmanns wohl endgültig zum Durchschmoren bringen. Der Reporter räumt ein, sich in den recht sympathisch-unquatschig auftretenden und rockenden Madsen beim ersten CD-Eindruck etwas getäuscht zu haben. Man ist ja lernfahig. Dem kommt entgegen, daßThees Uhlmann beimTomte-Auftritt am Sonntagnachmittag wieder fast so viel Interessantes erzählt wie er Songs spielt. Wichtig: Uhlmann hat jetzt die „Conor Oberst Jugend“ gegründet. Die Kollegen erzählen später von passablen bis triumphalen Auftritten von Wir Sind Helden, Adam Green und Fettes Brot. Den wiedererstandenen Billy Idol hört der Reporter noch von weitem „White Wedding“ croonen. Dann geht die Mitfahrgelegenheit nach Köln. Da spielt heute abend Ben Folds. Nicht überraschend, aber ein sehr guter Alternativheadliner.

www.rockamring.com