Robbie Williams: Der Entertainer


Zu Beginn seiner Solokarriere wurde er noch von vielen belächelt. Was sollte schon aus einem werden, der mit Take That berühmt geworden war? Heute lacht keiner mehr über Robbie Williams. Denn jetzt gilt der 26-jährige Brite als Großmeister des Pop.

Kein Zweifel: Der Mann ist sich treu geblieben. In eher bescheidenen Verhältnissen in dem nordenglischen Provinzkaff Stoke-on-Trent zur Welt gekommen, schlurft Robbie Williams in weißem T-Shirt und verwaschenen Jeans im „Sunset Marquis“ von Los Angeles zum Interview. Keine Spur von Glanz und Glamour, nicht ein Hauch von Designer-Schick. Und dabei ist der 26-Jährige doch einer der ganz wenigen Superstars, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen. Was immer Williams musikalisch auch anfasst, es wird fast automatisch zum Erfolg. Dabei hat er in der Vergangenheit beinahe alles unternommen, um seinem Dasein als Popstar ein möglichst rasches Ende zu bereiten. Suff und Drogen trieben Robbie Williams mehr als einmal an den Rand des Ruins. Doch allen Unkenrufen zum Trotz hat der Mann überlebt – psychisch, physisch und auch in einem erbarmungslosen Geschäft, das so verharmlosend Musikbusiness genannt wird. Mehr noch: Inzwischen gilt Williams als einer der wirklich großen Entertainer, welche die Popwelt zu bieten hat. Wollte Robert Peter Williams eigentlich schon immer berühmt werden? „Na ja, nicht unbedingt berühmt. Aber ich wollte schon immer im großen Stil angeben können. Ich wollte vor einem möglichst großen Publikum auftreten. Das ist mein Verständnis von Ruhm.“ Und welche Rolle spielt dabei das Geld? Welchen Betrag müsste man ihm bieten, um Robbie Williams dazu zu bringen, mit seinen alten Kumpels von Take That eine Reunion auf die Beine zu stellen? „Geld interessiert mich nicht. Und es hat mich viel Zeit und Kraft gekostet, die Phase mit den kreischenden Mädels hinter mir zu lassen. Man hat mir schon Millionen geboten, wenn ich dieses oder jenes tun würde. Ich glaube aber, dass mich nicht mal die Aussicht auf zehn Millionen Pfund (ca. 33 Millionen Mark; Anmerkung der Redaktion) in Versuchung führen könnte, wieder mit Take That aufzutreten. Ich brauche das nicht, vielen Dank. Es heißt aber doch, dass Robbie Williams mit Mark Owen immer noch gut befreundet ist. „Wir sind befreundet. Aber nicht mehr richtig eng. Wir sprechen kaum noch miteinander.“ Aber es muss doch noch etwas aus der Zeit mit Take That geben, dass der Alleinunterhalter Williams bis zum heutigen Tag vermisst. Der Pop-Millionär legt sich zurück und denkt einen Moment lang nach: „Ja, da ist tatsächlich etwas, das ich vermisse – den Enthusiasmus und die Naivität. Ich bin in vielerlei Hinsicht immer noch sehr naiv, aber diese Begeisterung und dieses Gespanntsein auf das, was als nächstes passieren wird, das ist definitiv verschwunden.“ Woran liegt es? fragt man sich als unvoreingenommener Beobachter. Vielleicht daran, dass Robbie Williams in der Zwischenzeit alles hat: Geld, Girls, Ruhm und eine glänzende Karriere? Diesmal kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Nein, daran liegt es nicht, dass die große Begeisterung und das Gespanntsein auf das, was kommt, nicht mehr da sind. Wahrscheinlich ist es eher so, dass ich mit der Zeit leider ziemlich abgestumpft bin. Ich bin zum Zyniker geworden.“ Ist der von vielen fast abgöttisch verehrte Robbie Williams denn gar nicht mehr so hungrig danach, Musik zu machen‘ So wie zum Beispiel zu Beginn seiner Karriere? Auf jeden Fall habe ich alle Songs auf meinem neuen Album mitgeschrieben („Sing When You’re Winning“; Besprechung auf Seite 67).

Keine Frage: Auch dieses Williams-Werk, das übrigens wieder durch die tatkräftige Unterstützung von Robbies musikalischen Weggefährten Guy Chambers und Steve Power entstand, wird wieder kräftig die Kassen klingeln lassen. So war die US-Tour des britischen Topstars innerhalb von sechs Stunden restlos ausverkauft. Was, ja was soll Mister Williams denn dann bloß noch aus der Bahn werfen? „Dass ich erfolgreich bin, heißt ja nicht unbedingt, dass ich auch gut bin. Ich hab‘ mich die ganze Zeit nur so durchgemogelt – und erstaunlicherweise bin ich damit auch noch durchgekommen.“ Stimmt, wenn man mal von einem denkwürdigen Konzert in Irland absieht. Damals stand Williams kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Waren Selbstzweifel die Ursache für den sich anbahnenden mentalen Kollaps? „Nein“, gibt Robbie zurück, „ich habe keine Selbstzweifel. Das Ganze war mir nur plötzlich eine Nummer zu groß geworden. Mir wurde klar: Da draußen warten 120.000 Leute auf dich. Die haben eine Menge Geld für ihre Tickets hingelegt und erwarten eine Wahnsinnsshow von dir. Und wenn sie die nicht kriegen, werden sie sauer. Die Angst hat mich total überwältigt. Aber das ist etwas, was sich nur im Kopf abspielt.“ Man sieht’s. Denn rein körperlich wirkt Robbie Williams bei unserem Gespräch weitaus fitter, als man ihn von bestimmten Fotos mit gläserschwenkenden Kumpels her kennt. Ist der Mann etwa auf dem Fitness-Trip? „Ja“, grinst er frech, „Heroin nehme ich nur noch dienstags und Crack nur noch am Wochenende. Insofern geht’s mir ganz gut. Nein, im Ernst, ich gehe wieder mehr ins Fitness-Studio. So kann ich mehr essen. Ich liebe essen. Aber ich werde schrecklich schnell fett.“

Robbie Williams, ein ganz normaler Mann mit ganz normalen Problemen? Nicht ganz. Immerhin gibt’s da noch ein paar Substanzen, die ärgere Folgen mit sich bringen als ein paar vollfette Doppelwhopper aus der nächsten Burgerbude. Hat Williams seine Drogenprobleme zwischenzeitlich in den Griff bekommen? „Nein“, gibt er unumwunden zu, „die habe ich nicht im Griff. Das mit dem Alkohol auch nicht. Ich glaube auch nicht, dass man das jemals schafft.“ Immerhin findet Williams mittlerweile deutliche Worte zum Thema Kokain: „Eine grauenhafte Droge. Ich wünschte, sie hätten sie niemals erfunden.“ Trotzdem, bleibt am Ende doch der tagtägliche Kampf gegen die Sucht? „Ich würde es nicht als Kampf bezeichnen. Ich kann mich inzwischen besser beherrschen. Aber die Sucht lauert ständig darauf, dass du einen schwachen Moment hat.“ Wer so spricht, muss auch damit rechnen, dass es mit der Karriere eines Tages bergab gehen könnte. Doch Williams winkt ab: „Ich sehe ja an den anderen, wie fertig die sind. Da denke ich mir, je größer der Star, umso fertiger und kränker. So ist das nun mal.“ Je größer der Star, desto größer aber auch der Klatsch. Welche Art von Gossip findet Robbie Williams am übelsten? „Am übelsten, nun ja. Es ist wohl eher lachhaft, dass Leute behaupten, ich stände auf Fesselspielchen, dass ich Jungfrauen opfern würde und Sex mit Eseln hätte. Und dann sind da auch noch welche, die allen Ernstes erzählen, ich sei ein Sektenführer.“ Und wenn es tatsächlich so wäre? „Dann würde ich alle Sektenführer umbringen lassen.“ Es sind aber nicht nur die hanebüchenen Geschichten, die über Robbie Williams erzählt werden. Auch bestimmte Fotos von ihm tragen zur öffentlichen Meinung über einen Musiker bei, der im Gespräch durchaus charmante Züge an den Tag legen kann. Zum Beispiel jene Bilder, die Herrn Williams weit mehr als nur ein bisschen angetrunken zeigen. Was geht in einem Promi vor, wenn er sich auf diese Weise in der Zeitung sieht? „Berichte und Fotos dieser Art basieren ohnehin auf einer festgefahrenen Meinung“, glaubt Robbie, „mich hat mehr die Tatsache gestört, dass ich auf den Fotos so schlecht aussehe. Ich habe mich in einer Weise der Öffentlichkeit präsentiert, in der ich mich eigentlich nicht präsentieren will. Aber wenn man alles glaubt, was so geschrieben wird, dann bin ich auch schwul. Dann habe ich eine Glatze, und das hier ist eine Perücke (zieht an seinen Haaren; Anmerkung der Redaktion). Glaubt man den ganzen Bullshit, dann habe ich außerdem eine Affäre mit Ricky Martin.“

Bei derlei Unbill fällt es regelrecht schwer zu glauben, dass ein Superstar wie Robbie Williams zwischendurch auch mal richtig glücklich sein kann. Gibt es diese Momente? Williams lacht: „Ja, heute morgen zum Beispiel. Kurz nachdem ich aufgewacht bin. Das hält immer genauso lange an, bis ich richtig wach bin.“ So lange vielleicht, bis Robbie Williams klar wird, dass er zum vergleichsweise kleinen Kreis der großen Stars zählt? „Irgendwie schon. Es geht um den Druck, dem neuen Tag zu begegnen und damit klarzukommen. Ich finde es schrecklich, jeden Tag wieder aufs Neue angehen und die ganzen Herausforderungen wieder annehmen zu müssen. Aber irgendwie bleibt einem ja nichts anderes übrig.“ Ein quälender Gedanke? „Nein, nicht wirklich. Ich habe nur einen sehr komplexen Charakter. Aber mir gefällt das so. Lieber komplex als schwermütig. Ich versuche nur, etwas über mich selbst herauszufinden. Und? Hat dieses Bestreben schon einen Erfolg gezeitigt? Oder fühlt der große Robbie Williams sich immer noch klein und unsicher? „Diese Unsicherheit ist es doch, die Leute wie mich antreibt. Wenn jemand selbstsicher ist, dann muss er kein Popstar werden. Er muss dieses Gefühl der Unsicherheit nicht mit Dingen wie Geld, Ruhm, Nummer-1-Hits, Mädchen, Autos, Alkohol und Drogen betäuben.“

Das neue Album, „Sing When You’re Winning“, spiegelt Robbies extreme emotionale Bandbreite wider. Der Entertainer Williams will sich stilistisch nicht festlegen und kennt bei seiner Arbeit keine Berührungsängste. Höchstens vielleicht in einem ganz speziellen Fall: Auf „Kids“ singt er gemeinsam mit seiner Traum-Duettpartnerin Kylie Minogue. Williams erinnert sich: „Ich brachte plötzlich kein Wort mehr heraus. Kylie muss mich für einen totalen Idioten gehalten haben. Wenn sie ins Studio kam, wollte ich mich immer verstecken.“ Nicht gerade hilfreich, wenn man miteinander singen möchte. Doch Herr Williams hat eine Erklärung parat: „Der, der mit Kylie gesungen hat, war Robbie, der Popstar. Der kann mit jedem singen, der ist sehr mulig.“ Lind doch benötigte Robbie Williams bei allem Mut immer wieder auch fremde Hilfe – vor drei Jahren von Therapeuten, um seine Süchte unter Kontrolle zu bekommen, aber immer wieder auch von Musikern, um seine Platten an den Start zu bringen.

Ober seine künstlerischen Begleiter Guy Chambers und Steve Power sagt er: „Die beiden bereiten alles vor. Erst danach komme ich ins Studio. Ich sehe mich nämlich nicht so richtig als Musiker. Ich kann einen guten Text und eine Melodie schreiben. Aber ich hasse es, im Studio zu arbeiten. Ich kann mir konstruktivere Dinge vorstellen – Fußball spielen zum Beispiel oder einen Trinken gehen.“ Verwunderlich sind derlei Statements nur bei oberflächlicher Betrachtung. Robbie Williams hatte nicht viel Zeit, mit Ruhe und ohne Mediengetöse erwachsen zu werden. Als er zu Take That stieß, war er gerade mal 15. Der Abstand zu alten Freunden und Klassenkameraden wurde immer größer. Noch heute, als Berühmtheit, beklagt Williams sich darüber, immer wieder mal von Gefühlen der Einsamkeit geplagt zu werden. Die dürften in letzter Zeit sogar noch zugenommen haben, nachdem Robbies Ex-Freundin und All Saint Nicole Appleton mittlerweile Oasis-Star Liam Gallagher den Vorzug gegeben hat. Kein Wunder also, wenn Williams ab und zu der Blues befällt: „Ich kann meine wirklich guten Freunde an fünf Fingern abzählen. Ist das vielleicht normal?“ Sicher nicht. Ebensowenig wie die Tatsache, dass ein 26-jähriger so reich ist, dass er sich schon jetzt alles kaufen kann. Macht Shopping da überhaupt noch Spaß? „Als ich mir das erste Mal so viele Turnschuhe leisten konnte, wie ich wollte, hat es keinen Spaß mehr gemacht. Da war ich 18.“ Wenn dem so ist, hat man denn dann überhaupt noch materielle Wünsche? Oder vielleicht ein ganz persönliches Lebensmotto? Aber ja doch! Einen materiellen Wunsch habe er sich erst vor einiger Zeit erfüllt, weiß Herr Williams zu berichten: „Einen riesigen Range Rover mit DVD-Player, allerdings ohne Bildschirm.“ Und mit einem Lebensmotto kann Robbie auch dienen: „Ich war’s nicht, Herr Kommissar. Ich habe nichts getan.“