The Traveller :: Ostgut Ton/Kompakt

Mit Schützenhilfe von Dubstep und dem, was man vor zehn Jahren IDM schimpfte, beantwortet Shed auf eindrucksvolle Weise eine der ältesten Fragen, seit es Techno gibt.

„Does techno music really need the album format?“ steht auf dem Backcover von THE TRAVELLER, dem zweiten Album von Rene Pawlowitz unter seinem bekanntesten Alias Shed. Eine leidige Frage, machen wir uns nichts vor, da mittlerweile oft genug gestellt und beantwortet. Warum also hier? Es könnte am ausgeprägten Selbtsbewusstsein Sheds liegen, der dieser Frage mit dem Nachfolger zum damals (zurecht) viel umjubelten SHEDDING THE PAST endgültig das Grab schaufeln möchte. Fest steht: Was wir hier vorfinden, ist die Blaupause für den momentanen Technosound Berlins, für den Hybriden aus Dubstep (wie er das Berghain dank Scuba und seinen Sub:stance-Nächten regelmäßig heimsucht) und den im Industrial getränkten Schwergewichtstechno des Hauslabels Ostgut Ton. Das Album, das man nach einer Clubnacht hört, um runterzukommen, das Album mit zig Details, die beim Tanzen verloren gehen, das Album mit ausgeprägtem Hang zur kärglichen Geste, zum Weglassen, zum darauf konzentrieren. Zur Bewegung motivieren kann Pawlowitz auch, erledigt dies in der Regel aber mit seinen White Labels „EQD“ und „WAX“, die sich auf nichts anderes als die Tanzfläche konzentrieren. Anders hier. Tracks, die gefühlte Ewigkeiten damit verbringen, sich mit geringsten Mitteln ins nichts aufzudröseln („The Bot“) oder im Acidmantel getarnte Bassdrum-Heiterkeiten („My R-Class“). Damit nicht der Eindruck entsteht, Shed veranstaltet 48 Minuten lang avantgardistische Kleinkunst mit Bass und Breakbeats, folgt rechtzeitig ein Hinweis. Dank des euphorischen Liebesbeweises an sein zweites Zuhause ‚“44A (Hardwax Forever!)“ und dem bebenden „Keep Time“ werden sicherlich die Tanzschuhe nicht in der Ecke liegen bleiben. Dass all dies auch funktioniert, verdanken wir der musikalischen Sozialisation des Berghain-Residents, der Mitbringsel der wichtigsten Anlaufstellen der elektronischen Musik – vom UK-Rave der frühen Neunziger über House Detroiter Schule bis hin zu ausgeprägten Subbassexperimenten Londoner Kellergewölbe – im Gepäck hat. Eine derartige Verneigung vor und Vereinigung von Einflüssen mag für den einen erstmal nach „kann alles ein bisschen, aber nichts so richtig“ klingen, ist aber im Endeffekt ein souveränes Stück Musik mit der Tendenz zum Prädikat Klassiker.

Christopher Hunold

www.myspace.com/sheddingthepast