The Gun Club – Miami / Death Party / The Las Vegas Story :: Wenn Plattenkritiken wahr werden

Man muss auch mal persönlich werden. Denn Jeffrey Lee Pierce hat mein Leben gerettet, mein kleines, erbärmliches Leben in der westdeutschen Provinz. Erfuhr doch MIAMI, die zweite LP von Pierces Band The Gun Club, in einer Zeitschrift mit dem Namen MUSIKEXPRESS damals im Spätherbst 1982 eine euphorische Würdigung. Und weil es die erste Ausgabe eines Musikmagazin war, die ich jemals erwarb (wenn man mal von der „Bravo“ absehen möchte), fühlte ich mich wohl verpflichtet, der hingerissenen Kritik Folge zu leisten, und marschierte schnurstracks in den nächsten Plattenladen der kleinen fränkischen Universitätsstadt. Schließlich stand dort sinngemäß, der Rock’n’Roll sei wider Erwarten doch zu retten, solange es noch solche Bands gibt wie den Gun Club. Ja, manchmal werden sogar Plattenkritiken wahr.

Mir allerdings verschaffte MIAMI erst einmal die Erkenntnis, dass ich nicht vollkommen allein und verloren war zwischen all diesen frisch frisierten Synthipoppern und dauerbesoffenen Punks, dass es womöglich doch ein richtiges Leben im Falschen geben könnte, dass ich meinen Arsch vielleicht einfach mal weg bewegen sollte. Als schließlich THE LAS VEGAS STORY, die dritte LP des Gun Club, erschien, war ich tatsächlich schon in Westberlin.

Dass nun ausgerechnet MIAMI, THE LAS VEGAS STORY und die dazwischen liegende EP DEATH PARTY wiederveröffentlicht werden, erinnert, seien wir nicht unbescheiden, an meine musikalisch prägende Jugendzeit, vor allem aber doch an die Erfindung des alternativen Rock und seiner diversen Subgenres wie Cow-Punk, Alt-Country, auch Americana aus dem Geiste des heiligen Jeffrey Lee. Die Leistung des 1958 geborenen Pierce war es, zu einer Zeit, als Synthesizer die Herrschaft in den Charts übernahmen und erstmals ernsthaft der Tod der Gitarre ausgerufen wurde, klassische Genres wie Blues, Country und Rock mit den Mitteln des Punk wiederzubeleben.

Und nicht zuletzt dem modisch zurückhaltenden Tröpfeln des Pop die gedankenlose Selbstentäußerung eines hysterischen Priesters entgegenzustellen: Zeilen wie „I came down the river of sadness, I go down the river of pain“ (aus „Mother Of Earth“ von MIAMI) sang Pierce mit einer Stimme, die immer denkbar knapp vor dem Überschnappen Halt machte. In diesem Gesang verschmolzen die Sehnsucht nach Rebellion und Abenteuer mit der Erkenntnis ihrer Unstillbarkeit zu reiner, melancholischer Verzweiflung. Schon zuvor hatte Pierce mit dem Gun-Club-Debüt FIRE OF LOVE den Blues gerettet, nun entriss er mit MIAMI Country dem Schwitzkasten der Nashville-Mafia und bewies mit THE LAS VEGAS STORY, dass auch schnöde Rockmusik ganz cool klingen kann. Das mag nun mehr als ein Vierteljahrhundert her sein, aber diese klassischen Alben klingen noch heute erstaunlich aktuell, auch ohne aufwendige Neuabmischung, die man sich für diese Reissues gespart hat.

Die ursprünglichen LP-Ausgaben sind nur um einen Song ergänzt: „Secret Fires“ war dereinst allein auf der Musikkassettenversion von LAS VEAGS STORY erschienen. Auch die Bonus-CDs versammeln nicht etwa seltene oder bislang unveröffentliche Studioversionen der klassischen Songs, sondern Konzertaufnahmen aus den Jahren 1982 bis 1984. Sie dokumentieren vorzüglich den von Pierces Alkoholmissbrauch und Heroinkonsum befeuerten Drang, die eigenen Songs so laut wie möglich zu dekonstruieren. Wer das 1983 in der Roten Fabrik in Zürich aufgenommene Konzert auflegt, hört nicht nur im neun Minuten langen, von Rückkopplungen geschwängerten „Cool Drink Of Water“ einem Menschen dabei zu, wie er sich selbst verzehrt – stellvertretend für all die anderen, die ihre Leben The Gun Club zu verdanken haben.

Jeffrey Lee Pierce starb am 31. März 1996 an den Folgen eines Hirnschlags. Er wurde 37. Zwei Tage später schrieb ich den ersten Nachruf meines Journalistenlebens.

Name: The Gun Club

Gegründet: 1980 in Los Angeles

Wichtige Mitglieder: Ward Dolson (g), Rob Ritter (bg), Terry Graham (dr), Kid Congo Powers (g), Patricia Morrison (bg), Romi Mori(g, bg), Nick Sanderson (dr)

Bedanken beim Gun Club dürfen sich: 16 Horsepower, Pixies, Nick Cave, Uncle Tupelo, Madrugada, Tito & Tarantula, The Screaming Trees, The Von Bondies und außerdem ungefähr ganz Seattle.