The Flaming Lips – Embryonic

Ground Control to Major Coyne: Die Spacerock-Oftensive ist ein voller Erfolg.

Um sich besser vorstellen zu können, was diese Band dieses Mal an Genialischem ausgeheckt hat, muss man unbedingt die Geschichte vom jüngsten Videodreh kennen. Leute in Portland waren aufgerufen, am Fuße des nahe gelegenen Mount Tabor zu erscheinen. Dort sollten sie sich entblößen, auf Radern den Berg umkurven und sich wie ein Menschenschlag mit Mission aufführen, wie die Hippies im Musical „Hair“. „Eine riesige Wehraumkugel wird mit falschem Fuchspelz verhüllt. Das Gebilde ist also ein gigantisches Ding mit Pelzumhang, aus dem die Radfahrer nach ihrer Geburt wie Küken schlüpfen“, erläuterte Wayne Coyne seine visuellen Vorstellungen vom Clip zu „Watching The Planets“. Fans werden sich an die DVD „Christmas On Mars“ aus dem Vorjahr erinnert fühlen. Auch da ging es um ferne Welten, neu geborenes Leben und bizarre Bilder. Ganz offensichtlich haben Coyne und seine Männer Spaß an diesem Thema gefunden. Sie machen munter damit weiter. „Watching The Planets“ ist eines von 18 Stücken auf dem neuen Album der Fläming Lips. Es ist auch eines der zugänglichsten. Allein schon wegen des treibenden Beats und des kräftigen Gesangs, in den auch Karen O mit einstimmt. Ein neuer „Yeah Yeah Yeah Song“ ist aber nicht daraus geworden. Die Band aus Oklahoma hatte sich über die Jahre ja ein Melodiegefühl angewöhnt, das sich an den Beach Boys und Neil Young orientierte. Jetzt hat man den Eindruck, Coynes Clique wolle wissentlich all die Schönheit zerstören, die sie mit THE SOFT BII.I.ETIN und YOSHIMI BATTLES THE PINK ROBOTS geschaffen hat. Ausgangspunkt für die Aufnahmen waren „trippige Jam-Sessions“, wie sie einst in der Ära der Kosmischen Musik üblich waren. Groove und Atmosphäre sind dabei wichtiger als konventionelle Songstrukturen, Rock’n’Roll-Klischees gibt es im Ausnahmefall in Form von Gitarrensoli zu hören, aber selbst die sind far out. Im Spacerock der Flips tauchen ständig Verzerrungen und Lo-Fi-Sounds auf, die keineswegs dem bloßen Zweck der Dissonanz dienen. Das Chaos bleibt trotz aller Experimentierfreude aus. Es ist sogar Platz für sphärische Zwischentöne. In „Evil“ steckt die Besinnlichkeit der Ambient-Meditationen von Brian Eno, und in „Gemini Syringes“ schwebt man wie Air auf einer Wolke des Wohlgefühls davon. Bei dieser Gelegenheit stellt die Band auch gleich ihren neuen Kumpel vor: Dr. Thorsten Wörmann. Er lehrt Mathematik an der Universität Bonn und spricht über polynomiale Gleichungen. Banale Unterhaltung geht anders. Man fragt sich natürlich schon, was in die gefahren ist. Was sie zu diesem doch deutlichen Bruch mit der eigenen Vergangenheit bewogen hat. In vorab veröffentlichten Statements zu den einzelnen Tracks erzählt Coyne, dass sich die Band in der Entstehungsphase des Albums mehrmals denFilm „DerNachtportier“ von Lihana Cavani angesehen habe. Darin geht es um eine Frau, die als Minderjährige ins KZ kommt und überlebt, weil sie einem SS-Offizier sexuell dient. Über zwei Jahrzehnte später treffen sich die beiden in Wien wieder. Anstatt zu flüchten, verfällt die Frau ihrem Pciniger erneut – bis der Tod sie schließlich scheidet. Davon inspiriert entwickeln die Fläming Lips eine Charakterstudie über die Hilflosigkeit der Menschheit gegenüber bösartigem Verhalten. Sie beleuchten das Problem von verschiedenen Warten aus, sinnieren über die Abhängigkeit von Maschinen und Politikern, über Zerstörung durch Kriege, Umweltverwüstung und Egotrips. So erklärt sich die düstere Grundstimmung zu Beginn des Albums, die sich im weiteren Verlauf auflockert. In „I Can Be A Frog“ stimmt wieder Karen O mit ein und imitiert die Geräusche eines Froschs, Bären, Löwen, indianischen Kriegers und Tornados. Trotz ernstem Anliegen bleibt Zeit für Kokolores. „Wie can be like they are, we can be free“, heißt es dann zum Schluss. Da ist er wieder, der Wunsch nach Sprengung aller Fesseln, der im Video zu „Watching The Planets“ durch nackte Radfahrer zum Ausdruck gebracht wird. Das ganze Album hat die Qualität einer bewusstseinserweiternden Therapie. Die Band nimmt sich alle Freiheiten und fordert die Hörer au), dasselbe zu tun. Mit diesem Plot schwingen sich die Fläming Lips zu Vordenkern auf, und das in einer Zeit, in der alles unsicher ist und in der man Visionen braucht, nicht nur im Rock. Was für ein Coup.

Diskografie (Auswahl):

The Fläming Lips Hearltls(BK6) Chmls Taste Metallic (1995) Zaireekti (1997) The Soft Bulletin (1999) Yoshimi Batlies The Pink Robots (2002) AI War With The Mystics (2006)