SOHN
Rennen
4AD/Beggars/Indigo
Der freigeistige Neo-R’n’B von Sohn findet beim Blues zu sich selbst.
Ob in Richtung Gummibärchen oder aufs Klo: Kinder rennen immer, die können gar nicht gehen. Musiker sind wie Kinder, da sind sich Kreativforscher und Plattenfirmenmitarbeiter einig. Dass also Sohn die Zeit nach seiner Debüt’n’Durchbruch-Platte TREMORS rennend verbrachte, kann keinen überraschen. Interviews und Konzerte, noch mehr Interviews und immer größere Konzerte. Dazwischen Begegnungen mit anderen Künstlern, für sie schreiben, sie produzieren und remixen, Lana Del Rey in die Augen schauen – und immer wieder Ja sagen, denn auf die Idee, auf dem Weg nach oben auch mal Nein zu sagen, muss man erst mal kommen.
Als der Furor um TREMORS endlich endete, war Sohn klar, dass nun dringend Ruhe hergestellt werden müsse. Der Brite mit Wohnsitz in Wien siedelte in eine Einöde im Norden Kaliforniens und begann mit der Bastelei zur zweiten Platte. Und die beginnt durchaus gehetzt: „Hard Liquor“ startet wie digitaler Blues, die Festplatte stöhnt, der Sequencer drängt. Nach gut zwei Minuten stockt der Song, der Rhythmus bekommt Federn, das Gehetzte klingt nun treibend – und Sohn ist im Fluss.
„Conrad“ nimmt das Bluesthema in der Melodie noch einmal auf, es geht um den politischen Richtungswechsel in Europa, als Brite mit Österreicherfahrung weiß Sohn bestimmt, wovon er da singt. „Signal“ zeigt sehr schön, wie Bon Iver klingen könnte, wenn Justin Vernon mehr an Pop, weniger an Kunst denken würde. Auf die sehr schöne Meditation zum Albumtitel Rennen folgt konsequenterweise „Falling“, wobei Sohn hier nicht frei fällt, sondern Schraube um Schraube dreht. Trotz dieser Turbulenzen bei Sinnen zu bleiben, politisch wie persönlich – darum geht’s auf dieser Platte. Am Ende erreicht Sohn über „Still Waters“ den Hafen, doch klingt das Finale „Harbour“ wie der Auftakt zu einem neuen Abenteuer. Sohn rennt weiter.