Lily Allen
No Shame
Parlophone/Warner
Mit ihrem vierten Album hat sich die Britin von ihren Zwängen befreit. Das Resultat: Pop, der nah am Zeitgeist ist, sich mit Cloud-Rap und Dancehall verbündet und sich dabei nie verliert.
Manchmal holt einen die Vergangenheit ein: „It’s your turn to learn, I think that you know where to go. It’s a shame for you”, sang die damals 21-jährige Lily Allen auf ihrem Debütalbum. Zwölf Jahre später kehrt sie die Zeile um und macht daraus den Titel ihres ersten Albums nach vier Jahren Pause: NO SHAME. Das beginnt mit wuchtigen Bassläufen, die einem gleich zeigen: Das hier ist kein Spiel. Das hier wird eine Offenbarung: „I’m a bad mother, I’m a bad wife, you saw it on the socials and you’ve read it online.“ Die Essenz ihrer alten Stücke, das geradlinige Songwriting, ist noch da – allerdings ist Allen nachdenklicher geworden. In „Trigger Bang“ mit Rapper Giggs rechnet sie mit ihrem alten Ego ab und versöhnt sich zugleich mit ihm.
Cut the crap, schließlich ist Lily Allen Mutter zweier Töchter und hat eine Scheidung hinter sich. Wo der Vorgänger SHEEZUS zu viel wollte und vielleicht etwas zu dick mit dem Attitude-Pinsel aufgetragen hatte, findet sich nun die perfekte Balance. Was keinen Verzicht bedeutet! Denn Allen kann auch als alleinerziehende Mutter auf Tour gehen. In „Lost My Mind“ wiederum spricht sie Depressionen an und durchforstet all die Themen, die jeden bekümmern, oftmals aber tabuisiert werden. So viel Offenheit im Popgewand, mal als Ballade, mal als orientalischer Dance-Pop, ist erfrischend. Bei all den ernsten Themen findet sich aber ebenso jede Menge Lebensfreude und Wortwitz, wenn etwa Allen liebevoll über ihre Töchter singt. NO SHAME kommt aus dem tiefsten Inneren. Wer Allens Durchbruchs-Hit „Smile“ aus dem Jahr 2006 mit dem Cloud-Rap-haften „Higher“ vergleicht, merkt: So verschieden ist das gar nicht. Beide Songs drehen sich um Trennung, Einsicht, Tränen und wie es weitergeht. Die Auto-Tune-Verfremdungen, das Schweifen zwischen den Genres sind Stilmittel, kontrastieren und unterstreichen die Lyrics. Wenn in der Ballade „Everything To Feel Something“ Allens Stimme durch den Computer gejagt wird, ist das eine Repräsentation ihrer Zerbrechlichkeit. Weil ihr dieser Chaoszustand zwischen Trennung, Depression und der Aufgabe, Mutter zu sein, natürlich gehörig zusetzt. Das macht NO SHAME aus: ein cleveres Pop-Potpourri, das uns das Leben in all seinen Facetten aufzeigt. Fröhlich, selbstbewusst, aufrichtig, aber auch traurig und am Boden.