Kurt Cobain
Montage Of Heck: The Home Recordings
Universal VÖ: 13. November 2015
Beiwerk zu Brett Morgens Cobain-Doku aus dem Frühjahr: Lo-Fi-Geschrammel, Soundexperimente und Sprachfetzen, die dem Lebenswerk des Grunge-Genies nichts hinzufügen.
Es ist schwierig. Die Weltliteratur wäre eine ärmere, wenn Max Brod sich nicht dem letzten Willen Franz Kafkas widersetzt und einen Großteil dessen Werks publiziert hätte. Wie viele spannende Stunden wären uns verwehrt geblieben, hätte man Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie nach dessen Ableben unter Verschluss gehalten. Und van Gogh wäre heute nicht die Definition eines „verkannten Genies“, hätte die Schwägerin des Post-Impressionisten nicht seinen aufschlussreichen Briefwechsel mit Bruder Theo nach deren beiden Tod öffentlich gemacht. Der Fall Kurt Cobain ist in zweifacher Hinsicht ein anderer: Zum einen war der 27-Jährige, als er sich am 5. April 1994 das Leben nahm, bereits als bedeutendster Rockstar seiner Zeit historisiert. Zum anderen dürfte niemand von dem profitieren, was jetzt als Ergänzung zu Brett Morgens diesjähriger Cobain-Doku „Montage Of Heck“ als THE HOME RECORDINGS erscheint.
Morgen nicht, die Plattenfirma nicht, vor allem aber auch der Fan nicht. Der bekommt hier 13 oder, in der Deluxe-Version (kann man hier ernsthaft eine Deluxe-Version anbieten?), 31 Bootleggern teils geläufige Fragmente, deren Veröffentlichung Cobain vermutlich nie zugestimmt hätte. Warum auch? Frühe Extrem-Lo-Fi-Demos von späteren Nirvana-Stücken wie „Been A Son“, „Sappy“ oder „Frances Farmer Will Have Her Revenge On Seattle“ mögen historischen Reiz haben, aber ist der nicht schon seit dem üppigem Raritäten-Boxset WITH THE LIGHTS OUT gestillt? Damals hatten immerhin noch zwei Drittel des Trios ein Wörtchen mitzureden.
Aber MONTAGE OF HECK ist nur Cobain, allein mit seinem Aufnahmegerät. Teilweise dient es ihm als Tagebuch (an dieser Stelle sei an die kontroverse Herausgabe von Cobains „Journals“ 2002 erinnert): Im nach seiner Heimatstadt benannten Spoken-Word-Stück „Aberdeen“ berichtet er von seiner Jugend in einer von Machismo dominierten Gemeinde, vom komplizierten Verhältnis mit seiner Stiefmutter und vom Sex mit einer untenrum müffelnden Sonderschülerin, den er nur vollzog, weil er sich nicht als Jungfrau umbringen wollte. Bewegend, aber bereits aus dem Film bekannt. Der Versuch, den Sinn für Humor des als dauerdepressiv Stilisierten mit quatschigen Collagen wie „Montage Of Kurt“ zu belegen, misslingt. Man erfährt hier nichts, was die Rezeption Cobains ändern und dieses Machwerk zumindest künstlerisch rechtfertigen könnte. Neben dem rauen Beatles-Cover „And I Love Her“ finden sich hier mehrheitlich Impro-Gesang über Geschrammel, Spielereien mit Effektgeräten, wie das treffend betitelte „Reverb Experiment“, und Field Recordings – auf „Kurt’s Audio Collage“ ist nur Wasserrauschen und Vogelgezwitscher zu hören.
Man würde sich auch durch Cobains meistbenutztes Pornoheft klicken, wenn dies als Bilderstrecke online auftauchen würde (bloß auf keine dummen Gedanken kommen, Brett Morgen!), aber man käme sich schlecht dabei vor.