Jennie
RUBY
Columbia Records/OA Entertainment, INC. (VÖ: 6.3.)
Jennie Kim, Mitglied der südkoreanischen Girlgroup-Sensation BLACKPINK, kommt solo raus. Ihr marktkonformer R'n'B-HipHop überlässt nichts dem Zufall.
Das südkoreanische Musikbusiness mutet mitunter strange an. Klar, an Marketing und Zurichtung für die globale Geldmaschine ist man auch in westlichen Hemisphären gewöhnt, aber die geradezu hemmungslose Zurschaustellung von Perfektion und fehlerloser Performance in Richtung einer Produktreife, die vorgeblich über jeden Zweifel erhaben ist, verursacht seit nunmehr zwei Jahrzehnten ein gewisses Fremdeln.
K-Pop ist die zu süße Brause, die wegen ihrer tollen Verpackung, ihres Versprechens eines funkelnden Gemeinschaftserlebnisses, von Millionen geschluckt wird. Man macht sich hierzulande ja kaum einen Begriff von den monetären Erfolgen innerhalb dieses Genres, es sei denn, man hat Jugendliche zuhause, die Mangas, Cosplay und Bubbletea schätzen. Die seit 2016 bestehende Girlgroup BLACKPINK z.B. veröffentlicht in erster Linie Singles, die über aufwendige Videos vermarktet werden. Die Aufrufzahlen auf YouTube übersteigen daher oft die Streamingzahlen bei Spotify. Das ist, sagen wir mal, speziell. Es existieren erst zwei Alben.
Frauen im K-Pop: BLACKPINK
BLACKPINK ist auch international hocherfolgreich. Ihre Fans, BLINKS genannt, sind, einmal angefixt, treu. Sogar beim Coachella Festival spielte man bereits und trotz der koreanischen Texte beschallen ihre Lieder Kinder- und Jugendzimmer weltweit. Musikalisch orientiert sich ihr Stil an Vorbildern aus Amerika und England, Rap, R’n’B, Hyperpop – es wird auf aktuell angesagtem Stand agiert, trendmäßig angepasst und wenn nötig werden unerwartete Stilhaken geschlagen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Hochgeschraubte Popkultur, Ausmerzung von Fehlern und Irritierendem. Sugarcoated Music. Da müssen die Sängerinnen der Band natürlich reinpassen, weshalb in Sachen Look nichts dem Zufall überlassen wird. Schön sind sie. Makellos. Kein Pickel sprießt, kein Härchen dräut, kein Kilo hängt an Arsch und Hüfte. Und es wird gelächelt. Gefühlt rund um die Uhr. Sicher, traurig dürfen die Vier auch mal sein, aber dann bitte ohne rote Nase und verquollene Augen. Tränen bitte nur als dekoratives Element. Alle gehen langsam auf die Dreißig zu, könnten aber auch 15 Jahre jünger sein. Dafür, dass das so funktioniert, sorgt ein Riesenteam im Hintergrund, doch langsam muss man sich auch um neue Karriereoptionen kümmern, weshalb Solopfade beschritten und neuerdings auch geschauspielert werden muss. Masterplan, ick hör dir trapsen.
Im südkoreanischen Raum wird, wenn es um Bands aus dieser Ecke geht, alles zusammengedacht. Die Protagonist:innen sollen nicht nur für Musik stehen, sondern auch gleichzeitig Mode, Kosmetik, Süßigkeiten und Merch aller Art verkaufen können. Das vielbeschworene Gesamtpaket muss in jedem Fall stimmen. BLACKPINK z.B. besteht aus vier Frauen, die jeweils für bestimmte Charaktereigenschaften und Looks stehen, um möglichst viele unterschiedliche Zielgruppen abdecken zu können. Die beste Sängerin und Nachdenkliche (Jisoo), die Internationale (Rosé), die vielseitigste und Begabteste, also die Beyoncé der Gruppe (Lisa) und die Fröhliche und Resiliente (Jennie). Um Letztere soll es hier in Folge gehen.
YG Entertainment: Home of BLACKPINK. Dieses südkoreanische Entertainment-Unternehmen zeichnet für die großen Erfolge vieler Künstler:innen dieses Landes verantwortlich und gehört zu den erfolgreichsten Musik-Vermarktern weltweit. BLACKPINK, mittlerweile die einzige gesignte Girlgroup bei YG, wurde gecastet. Die firmeneigene Akademie bildet auch aus, bis zu 14 Monate werden Bewerber:innen auf Herz und Nieren geprüft und gecoacht, bis sich die Sahne oben absetzt. Risikominimierung. Falls Erfolge ausbleiben, Austausch der Spielfiguren. Ein knüppelharter Konkurrenzkampf der langmütig und positiv ausgehalten werden muss, sonst ist man raus. Tja, Underground und Indie gehen anders, aber da ist natürlich auch nicht immer alles Gold, was mal zu glänzen hofft. Trotzdem: Das System YG ist anfällig für Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Demütigungen aller Art durch ihre männlichen Chefbosse. Davon zeugen diverse Skandale in der Vergangenheit, die zeitweise hohe Wellen schlugen. Dem Erfolg der Unternehmung tat das allerdings kaum Abbruch. Naja, das kennt man ja.
Und endlich: Jennie Kim
Nun also das erste Soloalbum von BLACKPINKs Zweitältester. Im Fall von Jennie, die mittlerweile im gereiften Alter von 29 angekommen ist, versucht man bei „Odd Atelier“, ihrer eigenen Agentur, eine Art Emanzipierungserzählung zu etablieren, die die Gruppe an sich nicht beschädigen soll, ihr aber einen neuen Impuls geben könnte, auch in Hinblick auf zukünftige Vermarktungsstrategien, denn nichts ist für ewig. Auch eine Band nicht und schon gar nicht eine, die auf ewige Harmonie zwischen ihren Mitgliedern setzt, um den Wunsch der BLINKS nach einer heilen Freundschaftswelt zu nähren. Es ist einfach unrealistisch, dass sich Girlism auch jenseits der 30 weiterschreiben lässt. Da muss in naher Zukunft ein neues Quartett her und etwas, was dann die Altfans abholt.
Jennie, die auch schon geschauspielert hat, übrigens in der unsäglich misogynen Serie „The Idol“, setzt mit ihrer Musik da an, wo auch BLACKPINK bereits steht: an der Schwelle zu entgrenzter Anschlusshoffnung an den amerikanischen Markt nämlich. Dafür werden hemmungslos Gaststars zum Featuren eingekauft. Erste Singe: „ExtraL“, wo sich die aktuell hochgeschätzte Doechii ein Stelldichein gibt. Auch Dua Lipa kommt vor, Childish Gambino, Kali Uchis und der aus der Serie „Euphoria“ bekannte Dominic Fike. Das alles wirkt extrem ausgedacht strategiegetrieben und man könnte daher denken, dass das Ergebnis entsprechend uncool und öde ausfällt, aber das kommt so nicht hin. Außerdem haben ja auch im Zweifel alle Beteiligten was davon. Jennie spricht fließend mehrere Sprachen, darunter auch Englisch, das verschafft ihr einen akzentfreien Vorteil, den sie souverän zu nutzen weiß. Und sie kann was. Tanzen, rappen, singen – alles scheint ihr mühelos zu gelingen, was natürlich so auch wieder nicht stimmen kann, stammt sie doch aus einem System, wo Blut, Schweiß und Tränen der Preis für alles sind. Man kommt nicht umhin, all das mitzudenken. Fast würde man sich wünschen, sie wäre ohne das alles ausgekommen, aber bei den „Jacksons“ wusste man ja auch, dass Peitschen im Hintergrund geschwungen wurden und fand „ABC“ trotzdem toll…
Wie hört sich RUBY an?
Zugegeben: schon seht catchy. Streckenweise sogar interessant. An das lustige, klöterige Intro schließt sich gleich „like Jennie“, ein Hybrid aus Charli XCX und Missy Elliott an, das bouncy und saftig daherkommt. Und recht frech. Das macht schon Spaß …Hymnisch geht es mit „Handlebars“ weiter, wo Dua Lipa ihre spezielle Stimmfärbung beisteuert. „with the IE“ gemahnt an Snoop-Dogg-Produktionen der frühen 2000er und das schon erwähnte „ExtraL“ erinnert an das ein oder andere Stück der ebenfalls schon erwähnten Beyoncé. „Mantra“, ein kristallklarer Dancetrack, wird in balearischen Clubs genauso funktionieren, wie auf einer Autofahrt im Frühling mit offenem Verdeck. In „Zen“ werden düstere Irritationsmomente durch Verzerrung eingebaut, was dem Album etwas das Glattgebügelte nimmt. „Damn Right“ ist klassisches Schmuse-R’n’B im Stile Aaliyahs und „Seoul City“ ist ein Elektro-Heimatsong, den Jennie geradezu ausseufzt.
Das ganze ist Chart-HipHop-Pop auf der Höhe der Zeit. Und über alle Grenzen hinweg wehen diese Songs. Mitten in den Globalismus hinein und nicht wieder hinaus. Auf keinen Fall. Denn hier will man sein und bleiben. Wenn schon, denn schon. In „Zen“ fällt zwar der etwas abgegriffene Satz: „Money can’t buy you no real friends“, aber selbst an dieser Gewissheit gilt es in Zeiten wie diesen zumindest phasenweise zu zweifeln. Denn was „real“ ist, und wie sehr es überhaupt noch wichtig ist, ein Leben abseits von Deals und Money zu leben, entscheiden mittlerweile einige wenige, denen man zwar Einsamkeit und Depressionen an den Hals wünscht, die aber recht aufgekratzt und fröhlich wirken. Echt nervig ist das.
Diese Review erscheint im ME 5/2025.