Bryan Ferry

RETROSPECTIVE: SELECTED RECORDINGS 1973-2023

BMG (VÖ: 25.10.)

Von der Kunstausstellung über die Poolparty zu den Jetset-Lounges, den Ballsälen der Weimarer Republik und zurück auf den Dancefloor: Auf 81 Songs geleitet uns der Art-Rock-Crooner durch 50 Solojahre.

Zwei Jahre nach dem Ende der „50th Anniversary Tour“ von Roxy Music in London, der Heimatstadt der kunstbeflissenen Glamrocker, blickt deren Mastermind Bryan Ferry nun auf sein halbes Jahrhundert als Solokünstler zurück. Dies begann im September 1973 nur ein halbes Jahr nach Erscheinen des Meisterwerks seiner Band, FOR YOUR PLEASURE, dem laut Morrissey „einzigem wirklich großartigen britischen Album“, in Form einer beschwingten Coverversion von Bob Dylans apokalyptischem „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“.

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Dem Gott aller Singer/Songwriter sollte er zeitlebens huldigen: Immer wieder spickte er seine Platten mit Dylan-Stücken wie „It Ain’t Me Babe“ (1974) und „It’s All Over Now, Baby Blue“, sowie „Don’t Think Twice, It’s Alright“ (2002), bis er 2007 mit DYLANESQUE seiner Leidenschaft auf Albumlänge nachging. So ist es nur folgerichtig, dass er seiner aktuellen Werkschau nun mit „She Belongs To Me“ eine Fassung eines Dylan-Klassikers von 1965 vorausschickt. Fun Fact: Dylan und Ferry sind einander nie begegnet, Dylan hat sich noch nie öffentlich zu Ferrys Hommagen geäußert.

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Als Ausgleich zu den grenzsprengenden Experimental-Kompositionen, die er für Roxy Music kreiert hat, verstand sich Ferry solistisch vor allem als Neuinterpret. So veredelte sein Timbre schon Songs von Amy Winehouse, The Velvet Underground und den Rolling Stones. Die 81 Stücke von RETROSPECTIVE sind sauber geordnet auf fünf CDs: Disc 1 versammelt als Art Greatest Hits Essenzielles wie seinen einzigen selbstkomponierten Solo-Hit „Slave To Love“, Disc 2 konzentriert sich auf Highlights seiner originären Songs, bevor Disc 3 ganz den Covers gewidmet ist. Disc 4 beleuchtet das Jazz-Schaffen des 2012 ins Leben gerufenen The Bryan Ferry Orchestra, das dem Bandleader 2017 gegen Ende der ersten Staffel von „Babylon Berlin“ einen Auftritt als Kabarettist bescherte, der das hier ebenfalls vertretene Roxy-Music-Remake/Remodel „Bitter-Sweet“, vorträgt – wie es sich gehört mit der schrägen deutschen Strophe: „Nein, das ist nicht das Ende der Welt / Gestrandet an Leben und Kunst / Und das Spiel geht weiter, wie man weiß / Noch viele schönste, Wiedersehen“.

Es macht Hoffnung auf die nächsten Stationen in Ferrys künstlerischer Entwicklung

Disc 5 vereint B-Seiten, Outtakes und Raritäten wie die Neubearbeitung von Roxy Musics „Mother Of Pearl“ mit Backing-Vocals von Ronnie Spector sowie John Lennons „Whatever Gets You Thru The Night“. Da auch die den Reigen eröffnende Best-Of zu großen Teilen aus Coverversionen besteht, kommt man insgesamt also auf eine Mehrheit an Neueinspielungen, die mal famos (Billy Pages „The ‚In‘ Crowd“), mal sterbenslangweilig sind (Robert Palmers schon zigfach aufgegriffenes „Johnny And Mary“ als Zusammenarbeit mit dem norwegischen Produzenten Todd Terje oder Dylans massiv überstrapaziertes „Knockin’ On Heaven’s Door“).

Zwar ist dies nun mal dem Œuvre geschuldet, doch so geballt konfrontiert mit den vielen Recyclings fragt man sich schon, warum Ferry im Lauf seiner Karriere nicht mehr eigene Ideen wie das verschlungene, Roxy Music ebenbürtige „This Island Earth“ aus THE BRIDE STRIPPED BARE (1978) oder „Loop De Li“, den catchy Sophisti-Pop aus dem unausreichend gewürdigten AVONMORE (2014), zugelassen hat. Hoffnung stiftet da der Abschluss: „Star“, Ferrys erste neue Eigenkreation seit einer Dekade. Der Electro-Track wirkt, als würde man inmitten einer tobenden Tanzmeute eine leucht gefahrenumwobene Schönheit ausmachen, die einen mit wenigen, mysteriösen Worten aus dem Club in eine neblige Seitenstraße führt, wo Ferry weiß, was geschieht. Das Stück ist die logische Weiterentwicklung aus den seufzenden Großstadt-Soundtracks wie „Because You’re Mine“, dem Ambient-Abschluss des ansonsten faden TAXI-Albums von 1993, und den Lektionen aus DJ Hells „U Can Dance“, der Techno-Neubearbeitung von „You Can Dance“ aus OLYMPIA (2010).

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Es macht Hoffnung auf die nächsten Stationen in Ferrys künstlerischer Entwicklung. Entstanden ist „Star“ aus einer Skizze von Trent Reznor und Atticus Ross von Nine Inch Nails; zusammen mit der Malerin und Schriftstellerin Amelia Barratt hat er es zu einem Duett weiterentwickelt, das es sich inmitten Ferrys interdisziplinärem Ansatz zwischen Vernissage, Poetry Slam und Dancefloor bequem macht. „Ich war sehr beeindruckt von (Barratts) Schreiben, und das ist der erste Song, den wir zusammen gemacht haben“, sagt Ferry. „Ich bin sehr gespannt auf diese neue Arbeit – da wird noch viel mehr kommen.“ Das hören wir gerne.

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