Reisende soll man nicht aufhalten: Beirut, der Sensibilist des Balkanpop, ist nach Frankreich verzogen
Zuletzt hatte man ein wenig Angst um Zach Condon, den Mann hinter dem Projekt Beirut: Kurz nachdem er mit Gulag Orchestra eine ungemein feinsinnige Platte veröffentlicht hatte, die osteuropäisches Pathos und Morrissey-Crooner-Pop unter ein Dach brachte, brach die Balkanpop-Hysterie aus: Besoffene Trompeten quäkten allüberall, Madonna tanzte Ringelpiez mit Gogol Bordello, Eventveranstalter buchten Zigeunerpartys, selbst im Handyladen schienen plötzlich alle Verkäufer angeklebte Bukovina-Schnäuzer zu tragen. Würden Condons sensible Nachstellungen erträumter Ostpanoramen dem Einverleiben in die feuchtfröhliche Balkan-Polonäse standhalten?
Doch alle Sorgen waren umsonst: Kurz vor der totalen Pop-Invasion im falschen Osten kommt nun das zweite Beirut-Album. Die wichtigste Nachricht: Der junge Mann aus New Mexico hat seine Zelte abgebrochen und ist längst weitergezogen. Nicht nur musikalisch, sondern auch im wirklichen Leben. Inzwischen in Paris ansässig, huldigt er auf the flying club cup seiner Liebe zum französischen Chanson. „Um Authentizität ging es sowieso nie“, erzählt der freundliche junge Mann. „Ich interessiere mich eher für übergeordnete Elemente in der Musik. Mich fasziniert vor allem das Zulassen grofser Gesten und überschwänglicher Gefühle, und ob ich das nun in osteuropäischer Folklore oder bei Charles Aznavour finde, ist mir egal.“
Womit eigentlich schon alles gesagt wäre. Condon weigert sich auf seinem zweiten Album strikt, anderen Gesetzen als seinen eigenen zu gehorchen. Szene-Zugehörigkeit? Niemals! Eine Genre-Fußnote? Pah! Balkanpop? Geht doch alle einen trinken! Vielleicht ist dies der größte Unterschied zwischen Zach Condon und all jenen, mit denen er so gerne in eine große Puszta-Suppe geworfen wird: Er sucht in seiner Musik nach einem großen, ungehörten Ausdruck, nicht nach verdünnten Klangfarben, die sich aus billig importierter Pseudofolklore pressen lassen. „Diese Gleichzeitigkeit von Überschwang und Niedergeschlagenheit fasziniert mich total. Jacques Brei zum Beispiel, der sang von ganz traurigen Dingen, und trotzdem macht es enorm glücklich, seine Musik zu hören“, schwärmt Condon. So sehr allerdings klingt sein zweites Werk gar nicht nach Chanson; tatsächlich knüpft es sogar deutlich beim Vorgänger an, nur die Produktion ist besser. Aber man spürt, dass es um mehr geht. Man spürt, dass hier jemand alles gibt.
Fast alles – vielleicht nicht mehr ganz so viel wie zuletzt: Im vergangenen Jahr brach Condon zusammen; Diagnose: Erschöpfung. Der junge Mann war auf den plötzlichen Erfolg und das brausende Starleben nicht vorbereitet gewesen. Was hat er daraus gelernt? „Nicht viel, ehrlich gesagt. Ich lerne noch, nein zu sagen. Es fällt schwer, aber ich werde besser.“ Genau wie seine Musik, die das Große, Schöne, Tiefe überall auf der Welt aufzustöbern in der Lage zu sein scheint. Einstweilen ist er in Frankreich fündig geworden. Aber Vorsicht, liebe Event-Tussis, bei euren Versuchen, jetzt ein Chansonrevival loszutreten: Dieser Eiffelturm steht auf einem Dorfplatz, irgendwo in Transkarpatien.
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