Rap on the rocks
Was passiert, wenn ein schwarzer Hund einen weißen besteigt? Man bekommt einen Bastard. Und Bastarde sind gewöhnlich stärker, schöner, schlauer als die reinrassigen Langeweiler. Ähnliches passiert gerade in New York: Der Rap entdeckt den Heavy Metal. Schwarzer Groove und weiße Gitarren zeugen ein neues, kurioses Genre: HEAVY METAL RAP.
London, Herbst 1986. „Raising Hell“ sieht auf den Plakaten zum Rap-Ereignis der Saison. Ein All Star-Festival mit den neuen Superstars Run DMC. L. L. Cool J“ den Beastie Boys und -— als Veteranen-Delegation -— Whodini. Die Londoner Hip Hop-Fans bekommen schon seit Wochen feuchte Augen —- und keine Karten mehr.
„Raising Hell“ — dabei sind ihnen als braven Mittelständlern die breitbeinigen Ghetto-Allüren der ersten Rap-Generation vollkommen fremd. Spaß statt Revolte heißt diesmal die Devise.
Der halbe Tournee-Troß hangt im Foyer des Holiday Inn herum und verbreitet gedämpfte Party-Stimmung. Run DMC müssen zum Soundcheck und stellen sich, bevor sie in den schwarzen Bentley huschen, brav dem Fotografen. Nur Road-Manager Tony tobt: „Diese Arschlöcher. So was passiert uns ja nicht mal in den Staaten. Ich sag‘ dir, die mögen hier keine Neger. Diese Wixcr!“
Dem distinguierten Hotelmanager ist der massive Ansturm schwarzer Lebensfreude in Adidas-Trainingsanzügen unheimlich geworden, und als irgendeiner das Badewasser überlaufen läßt, ist das die willkommene Gelegenheit, die 40 farbigen Amerikaner vor die Tür zu setzen.
Russel Simmons erfüllt souverän seine Rolle als Vater der neuen Rap-Generation. läßt die Wählscheibe rotieren und quartiert seine Schützlinge ins Hilton um.
Simmons hatte vor drei Jahren eine geniale Idee — wie man nämlich genauso viele Platten an weiße wie an schwarze Kids verkaufen kann: Er kreuzte gnadenlosen Stahlbeat mit brutalen Heavy Metal-Gitarren. Das erste Experiment startete er mit seinem jüngeren Bruder Joseph Simmons (Spitzname“.Run“, der damals Kurtis Blows DJ war) und dessen Schulfreund Darryl McDaniels („DMC“). Die ersten beiden Singles „It’s Like That“ und „Hard Times“ schlugen so ein, daß man gleich eine ganze LP nachschob. Und die entpuppte sich als das erste vergoldete Rap-Album aller Zeiten.
Ein Jahr später traf Russel Simmons auf den damals 21jährigen Rick Rubin, der auf Run DMC’s zweiter LP Gitarre spielte und gerade sein „Def Jam“-Label aufbaute. Da sie sich musikalisch blendend verstanden (Rick Rubin haßt wie Simmons wäßrige Popmusik und hält 90% aller Musik im Radio für Schrott: „Popmusik braucht einen guten Beut, eine zündende llookline und sonst gar nichts“) und Simmons durch seine Rush Productions (er hat nach wie vor Kurtis Blow und Whodini unter Vertrag) genügend Reserven besaß, beschloß man, gemeinsame Sache zu machen. L. L. Cool J.’s Debütalbum I CANT LIVE WITHOUT MY RADIO überrundete nicht nur die Run DMC-Erfolge, sondern brachte auch noch einen Vertrag mit CBS.
Run DMC traten unterdessen beim Live-Aid-Spektakel vor die halbe fernsehende Menschheit, schlichen sich in die Hochburgen der weißen Unterhaltungsindustrie (wie Dick Clarks „American Bandstand“ und MTV’s Video Awards Show), rappten beim „Sun City-Projekt und gaben ihr Kino-Debüt in „Krush Groove“; inzwischen füllen sie mühelos ganze Sportstadien. Letzter Streich der rappenden Oberschüler ist das geniale RA1S1NG HELL-Album, das alleine in den USA schon zwei Millionen Stück verkaufte.
Die endgültige Verbrüderung von Hip Hop und Heavy Metal wird darauf in der Cover-Version des Aerosmith-Klassikers „Walk This Way“ besiegelt, zu der sie die beiden Original-Metaller Steve Tyler und Joe Perry ins Studio holen. Das dazugehörige Video, bei dem zwei Welten in der Gestalt der bleichen, mageren Rokker und der beiden wohlgenährten Rap-Kids aufeinanderprallen, gehört zum Skurrilsten seit Erfindung des Clips. Immerhin klettert die Single in den Top 100 bis auf Platz 8. das Album schafft es gar bis auf Platz 3 in den amerikanischen LP-Charts. So fließen viele Dollars auf die Konten der drei 21jährigen (DJ Jam Master Jay gilt inzwischen als festes Mitglied der Gruppe).
Fröhlich blödelnd können sie in der Cafeteria des Hilton Hotels ihre Interview-Unlust nur schwer verbergen. Run entschuldigt sich: „Mir ist übel; ich kann leider heute nicht viel sagen. “ Um dann doch das Wort zu übernehmen, weil DMC wieder zwei Minuten braucht, um einen ganzen Satz mit seinem freundlichen Grinsen zu zerquetschen. Sie wissen, was sie den Journalisten schuldig sind, rappen nettes Selbstlob aufs Tape und versichern jedesmal, wenn sie sich durch keine Franc der Welt abbringen lassen, ihre Slang-Kanonaden abzufeuern, daß sie sich sehr freuen, dieses Interview zu machen.
„Nächste Frage!“ unterbricht Jam Master Jay plötzlich das freundliche Geblödel. Geld.
„Geld interessiert uns eigentlich überhaupt nicht“, meint Run. „Ich fahr immer noch einen 67er Oldsmobile. Wir wollen unsere Musik machen. Mit diesen zwei Verrückten hier Spaß zu haben, ist mir wichtiger als alle Sportwagen zusammen. “ Was sie nicht davon abhält, die schweren 10000 Dollar-Goldketten zu tragen, die bei schwarzen Rap-Stars, Koksdealern und Profiboxern in Mode gekommen sind.
„Schau, wir ziehen immernoch unsere Trainingsanzüge und Adidas Turnschuhe an.“ Die B-Boys-Kluft hält sich wirklich hartnäckig bis in die obersten Einkommensschichten der Hip Hop-Szene. Die rappenden Mittelstandskinder müssen keine Minderwertigkeitskomplexe durch weißes Leder und edle Nieten kompensieren — wie ihre Kollegen aus den Ghettos Bronx und Hadern. Run DMC und L.L. Cool J. kommen aus Hollis Queens — einer netten, flachen Vorstadtgegend. die von Reihenhäusern geprägt wird. „Schau dir die Stars an“, mault Run. „Ozzx Osbourne hat eine Bühnengarderobe für mehrere tausend Dollar. Der hat doch jeglichen Kontakt zu seinem Publikum verloren. Was wir anhaben, kann sich jeder unserer Fans leisten. „
Mit ihrer neuen Single „My Adidas“ formulierten Run DMC das endgültige Modediktat für die B-Boy-Szene. Adidas-Chef Adi Dassler war davon so angetan, daß er sie seither mit vielen schwäbischen Deutschmarks sponsort, ihnen goldene Turnschuhe für die Halskette schenkt und sie bei Sportmessen auf ahnungslose Facheinkäufer losläßt.
Was B-Boys eigentlich sind, weiß keiner so recht zu beantworten. „Na, wir sind B-Bovs. B-Hovs sehen so aus wie wir, benehmen sich wie wir…“
Tragen also ihre Turnschuhe vorzugsweise ohne Schuhbänder, legen ihr Erspartes in den gestreiften Sportgewändern an (Adidas ist in den USA ein fast schon luxuriöser Importartikel) und interessieren sich in erster Linie für Fun, Musik und Mädchen.
Brave Bürger hingegen halten B-Boys für potentielle Straßenräuber. L.L. Cool J., die sympathische, 18jährige Sexbombe, kriegt das oft genug zu spüren: „Die Leute haben Angst vor Jungs, die wie ich aussehen. Aber ich denke gar nicht daran, mir andere Sachen zu kaufen. Das haben sie uns gegeben, damit bin ich aufgewachsen und das ist die Kleidung, in der ich mich wohlfühle. Weißt du, was Taxifahrer machen, wenn sie einen schwarzen Typ wie mich sehen? Sie fahren weiter, weil sie denken, jeder von uns sei kriminell. „
Die Reportagen über die Rap-fanatische. drogensüchtige, angeblich grausam mordgierige Yo-Boy-Szene. eine Art Horrorversion der B-Boy-Szene, verbesserte den Ruf der Rapper auch nicht gerade. L.L. Cool J. ist überhaupt nicht glücklich darüber, daß er als Held der Yo-Boys gilt.
„Natürlich ist meine Musik hart, aber nur weil ich diesen ganzen Samplingund Computer-Quatsch nicht mag. Das hat nichts mit Gewalt zu tun. Ich bin ein Entertainer und will, daß meine Leute Spaß haben und sonst nichts. L.L. CoolJ. heißt Ladies Love Cool James — 60“!> meiner Fans sind Mädchen. „
Wahrend seiner Show läßt er keine Zweifel daran, was er unter Spaß versteht: Gekonnt schleudert er sein T-Shirt in die Menge und bringt die Mädchen mit dem Spielen seiner Muskeln zum Kreischen. Demonstrativ massiert er sich zwischen den Beinen und vollführt Fick-Gymnastik am Bühnenrand. Sein gewichtiger DJ Cut Creator scratcht sparsam und mit stoischer Ruhe Heavy Metal-Platten über den hämmernden Minimalbeat.
Die Idee mit dem Heavy Metal unter dem Rap scheint laut Jam Master Jay gar nicht so neu zu sein: „Wir waren immer auf der Suche nach guten Beats und sind dabei oft auf Rock-Scheiben gestoßen. Queen, The Knack und Led Zeppelin gehörten zu unseren Favoriten. ‚Walk This Way‘ war ein Standard bei Live-Shows. Wir haben Aerosmith einfach in Boston angerufen, ob sie das mit uns machen würden. Zunächst waren sie etwas verwirrt, die Jungs sind halt ziemlich schwer auf Drogen. Aber es war sehr gut, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“
Die perfekte Teenmusik war geboren —- die weißen Kids lockte man mit vertrautem Schwermetall, die schwarzen mit aggressivem Rap-Beat. Die Reduzierung der Musik und der Tanzflächen-sprengende Groove zündete auch bei Mainstream-Rockhörern. Und bei den Schwarzen den Gitarren-Macho hervorzukitzeln, war auch ein leichtes. Schon seit Jahren werfen sich schwarze Gitarristen beim Solo in breitbeinige Rockposen und reißen den Verzerrer auf. Ganz egal, ob sie in einer Vorstadtband oder bei Earth, Wind & Fire spielen.
Neu sind nur die Beastie Boys, die ersten weißen Rapper der Welt. Die drei bleichen Lümmel kokettieren gerne mit dem Image pubertärer Rock ’n“ Roll-Bösewichter. Was ganz hervorragend zu ihrem heiseren Brüllgesang über dem ultraharten Rhythmus paßt. Dröhnende „Rolling Drums“ (dieser butterweiche Bassdrum-Sound, der riesige Hallen und sogar Nasenspitzen zum Vibrieren bringt) und vollkommen überdrehte Metal-Gitarren lassen genug Platz für ausgedehnte musikalische Rempeleien. MCA, der mit 22 Jahren älteste und offenbar auch trinkfreudigste der Beastie Boys („Mann, mit Drogen haben wir nichts zu tun. Bei Crack hört der Spaß einfach auf. ßitdweiser ist die Suche“), wirft sich rücklings ins Publikum, Mikey D spritzt weißen Schaum aus seiner Bierflasche — und King Ad-Rock deutet den Mädchen vor der Bühne die gewaltigen Dimensionen seines Geschlechtsteils an.
Fest steht, daß sie wirklich rappen können (das mußte sogar Kurtis Blow neidlos zugeben) und daß sie seit fast zwei Jahren der erklärte Lieblings-Clubact der New Yorker sind. Mit dem Background von Rick Rubins rauher Produktion und dem professionellen Vertrieb des Giganten CBS rüsten sie gerade zum Sturm auf die internationalen Charts; im Spätherbst soll ihr erstes Album LICENSED TO KILL herauskommen.
Rick Rubin und Russel Simmons haben für die nächsten Monate noch drei Dutzend Produktionen auf dem Programm. Gerade erst haben sie „The World“ von der Junkyard Band (8- bis 13jährige Kinder aus Washington, die auf Müllschlagzeugen und Billigsynthies Go Go-Funk machen) in die Dance-Charts gehievt, weiteren Heavy Metal Rappern wie Jimmy Spicer, Original Concept und der Hollis Crew zu neuen Platten verholten und der kalifornischen Hardcore-Metal-Band Slaycr ein Album produziert (die erste weiße Gruppe auf einem schwarzen Label). Unterdessen wird die Liste der schwarzen Musiker, die sich von einem Schuß weißer Härte Hitchancen erhoffen, immer länger: Lovebug Starski, Fresh Force Crew, Jimmy G & The Tack Heads, DJ. Cheese & Word of Mouth, TC Islam und als Krönung Afrika Bambaata, der MC 5’s „Kick Out The Jams“ gecovert hat.
Und vor unserem Auge entsteht das Bild vom Paradies ohne Rassenschranken: Schwarze Headbanger stecken ihre Köpfe in die Boxen, weiße Motorrad-Gangs heben die Hand zum Zulu-Gruß. James Brown trägt Leder mit Nieten und Bruce Springsteen tanzt Hip Hop.