Popkolumne, Folge 13

Warum „The Dirt“ eine Enttäuschung ist und wie ich das Social-Media-Gelaber über den Uploadfilter überlebe: Die Popwoche im Überblick


In seiner Popkolumne präsentiert Linus Volkmann High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Hypes, welche Filme lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Unglücksfolge 13. Mit Egon Forever, Eric Idle, Rammstein, Homo Punk History und ganz viel Glam-Metal rund um die Verfilmung von Mötley Crües „The Dirt“. Das alles noch kurz vor dem Uploadfilter („Incoming!“) hochgestellt. War knapp, Freunde!

 

Hinter die Kulissen des Musikexpress’… Egon Forever hat sich auch in diesen siebten Höllenkreis einst vorgewagt.

LOGBUCH: KALENDERWOCHE 13/2019

„I komm direkt vom Schaffe!“ In dieser Woche endlich mal wieder André Lux getroffen. Der baden-württembergische Mastermind hinter der Strichmännchen-Cartoon-Reihe „Egon Forever“. Von der Gagdichte her hätte es nicht besser laufen können. Allerdings erzielen wir auch überraschende Einigkeit in der Frage, welche Thrash-Metal-Bands besser sind. Die deutschen oder die amerikanischen? Antwort: Die deutschen, denn sie besitzen keinen (Rest-)Groove, der von der stumpfen Härte ablenkt. Wenn Du das hier liest, Tom Angelripper von Sodom: Dein Lebenswerk ist mein Schloss!

THEMA DER WOCHE: Uploadfilter-Dämmerung

Wie viele Leute einem dieser Tage in die Timeline rauschen mit einer laut hupenden Meinung zu Artikel 13 beziehungsweise ein paar wenigen Zeilen zum wohl nun unumstößlichen Uploadfilter. Alle sind sich völlig sicher in ihren verkürzten Statements. Jeder weiß Bescheid, führt seine gerechte Empörung zu Markte. Ambivalente, ergebnisoffene und allgemein zurechnungsfähige Stimmen lese ich quasi keine. Das Internet wird in solchen Diskussionen mal wieder zum komplett dummen Unort. Und das Thema wird ja demnächst noch tausendfach größer…

Meine bescheidene Meinung: Man steht nicht auf der richtigen Seite, wenn man auf die Straße geht, um das Geschäftsmodell von YouTube und Google zu schützen. Ein Geschäftsmodell, das darauf fußt, mit dem Urheberrecht von nicht entlohnten Dritten Geld zu verdienen. Auf der anderen Seite der Medaille geiert die GEMA auf mehr Tantiemen. Mit Verlaub, da glaube ich ebenfalls nicht, dass etwaige Mehreinnahmen jemand anderem als Bohlen, Grönemeyer und Konsorten zufallen.

Mit dem Uploadfilter droht ein weiteres netzfremdes und nerviges Ballaballa – ähnlich des legendär sinnfreien Gehampels rund um die DSGVO-Einführung. GEMA oder Google? Dass keine dritte Option in diesem Fall existiert, deprimiert doch unfassbar.

GEBURTSTAG DER WOCHE: Eric Idle (*29.03.1943)

Wenn man im Geiste die schönsten Szenen aus Filmen und Serie von „Monty Python“ abschreitet, drängt sich schnell ein Soundtrack auf. Denn die Briten waren immer auch für Musik gut. Die bekanntesten Stücke verbindet man dabei mit der Stimme Eric Idles. „Always Look On The Bright Side“ natürlich – aber auch diese wahnsinnig große Musical-Nummer hier aus dem Film „Der Sinn des Lebens“. Diesen Freitag wird Idle 76 Jahre alt.

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FILM DER WOCHE: „The Dirt“

Zehn Gedanken über die Verfilmung der Mötley-Crüe-Biographie „The Dirt“ auf Netflix:

  1. Die Fallhöhe, die die ikonische Buchvorlage aufmacht, ist schwindelerregend. Da kann eine Verfilmung ja nur scheitern.
  2. Okay, aber versuchen hätte man es zumindest schon können!
  3. Kostüm und Make-Up spielen eine zentrale Rolle hier. Plot und Figurenentwicklung dagegen überhaupt nicht.
  4. Wie soll man dem fucking Film verzeihen, dass der titelgebende Schmutz von „The Dirt“ aus der aseptischen Umsetzung völlig rausgehalten wurde?
  5. Bester Moment, wenn man ganz ehrlich ist: In der Netflix-Auswahl muss man für „The Dirt“ seinen Jugendschutz-Code eingeben. „Oh, mein Gott, der Film ist ab 18! Wie geil ist es? Ich ziehe schon mal die Hose runter und mache die Armbeuge frei!“
  6. Man sieht für seine Altersbestätigung lediglich Busen und ganz zu Anfang eine Frau squirten auf einer Party.
  7. In den witzigen Szenen, in denen der Film sich zum Beispiel darüber lustig macht, welche realen Personen er weggelassen hat, macht die Nummer mitunter sogar Spaß.
  8. Leider will er aber auch Tragik und Tiefe der Band abbilden – an den Stellen ist es dann richtiggehend peinlich. Eine einzige Seifenoper. Das Kind und der Buddy von Sänger Vince Neil sterben – jetzt soll man betroffen sein, man weiß es. Doch hat man es hier ja nur mit Comic-Figuren unter halbwegs lächerlichen Perücken zu tun. In diesen Momenten (und es sind einige) verliert einen der Film emotional komplett.
  9. Die Knochenkrankheit von Gitarrist Mick Mars wird melodramatisch zu Anfang eingeführt – als Bürde, als Motiv. Überraschenderweise vergisst sie der Film in seiner Nummernrevuehaftigkeit allerdings völlig. Oder hat sie der Schnitt gefressen? Handwerklich jedenfalls übertrieben stümperhaft.
  10. Das soßige Happy End ist nun wirklich das Allerletzte – nicht nur auf die zeitliche Abfolge bezogen.
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AUFREGER DER WOCHE: Rammstein

Rammstein teasern ein neues Video an: Der Titel lautet ganz einfach „Deutschland“. Schon vor der Freischaltung am Donnerstag, den 28. März, um Punkt 18 Uhr war die Hölle los. In der Vorschau sieht man die Band mit Schlingen um den Hals als Todgeweihte in KZ-Häftlings-Uniformen. Kunst? Tabubruch? Provo-Routine? „Erlaubt ist, was gelingt“, wie es bei Max Frisch heißt. Doch wer einerseits Riefenstahl-Clips und jetzt gleichermaßen KZ-Bilder für Plattenbewerbung nutzen kann, macht vor allem deutlich, wie egal das postmoderne Zeichen-Gulasch bereits gerührt wurde.

Der Skandal bleibt mit Veröffentlichung des 9-Minuten-Schinkens dabei aus – zu kanonisiert ist das schmalzig schwitzige Rammstein-Werk. In den Neunzigern fürchteten Medien und Normalos noch, die Holzschnitt-Provo-Band von der Nicht-Eleganz der „He-Man“-Figuren bestünde tatsächlich aus rechten Bauern. Heute aber kennt man Sänger Lindemann aus den Klatschspalten und Flake Lorenz von humorigen Büchern. Alles easy, folks. Und auch nach diesem Clip hier kann man sich weiter sicher sein: Rechte Bauern, das sind bis heute die Fans der Band, die es schaffen werden, auch dieses zumindest kurzweilige Stück Teutonen-Ploitation tatsächlich ernst zu nehmen, es tatsächlich patriotisch zu wenden. Dass es die immer noch gibt, ist die eigentliche Tragik von „Deutschland“.

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MEME DER WOCHE

LESUNG DER WOCHE: „Homo Punk History“

Queere Musik, schwule Hymnen… wem hierzu das Genre Punk überhaupt nur in den Sinn kommt, der ist entweder ganz weit draußen oder total tief drinnen. Auf den Autoren Philipp Meinert aus Berlin trifft letzteres zu. Er hat sich die Mühe gemacht, die LGTBIQ-Geschichte des Punks aufzuschreiben. Und auch wenn ein solches Projekt vorrangig den Mangel verwaltet, ist in der über 40-jährigen Punk-Historie doch auch so einiges zusammengekommen, das unter die Regenbogenflagge passt. 400 Seiten schwer ist Meinerts Kompendium – und im vollbesetzten AJZ zu Köln schreitet der Autor eine Powerpoint-Präsi ab, die tatsächlich von Iggy Pops Stooges bis ins Jetzt reicht. Viele Tonbeispiele lockern die ohnehin kurzweilige Zeitreise auf. Und am Schluss verrät Meinert auch noch, wie er mit dem Kuss-Model einer bekannten deutschen Neo-Punkband eine Affäre unterhielt. Infotainment mit Pfiff!

DER VERHASSTE KLASSIKER: Mötley Crüe

Mötley Crüe
„Dr. Feelgood“
(1. September 1989)
Unterhält man sich random mit hemdsärmeligen Nerds in Bars, dann gibt es ein Thema, durch das sich gemeinhin der routinierte Small-Talk mit echtem Leben füllen lässt: „Hast Du auch ‚The Dirt‘ gelesen von Mötley Crüe?“

„Natürlich! Und wie krass ist es! Die sind einfach die geilste Glamband ever und die Haare und die Drogen omg!“

So ist es halt, alles an der Story rund um Mötley Crüe stimmt: der geisteskranke Vulgär-Hedonismus, der queere Look, die übertriebene Tragik, der Sex und die Selbstzerstörung. Einfach alles!

Okay, fast alles… Wenn doch nur nicht diese furchtbar schlimme Musik wäre. Dieser leicht aufgeföhnte Rock’n’Roll – er könnte durchschnittlicher nicht sein. Wie heftig Image und Leben dieser Band gewesen sein müssen, wird eben vor allem daran deutlich, dass sie trotz ihrer Musik weltweit Stadien bespielen konnten. Jede andere Gruppe hätte man mit diesem Songmaterial ausgelacht und wieder vor die Stadtgrenze gefahren.

Nicht falsch verstehen, wenn Mötley Crüe wirklich total fertige, fahrige Musik machen würden, die nach Schnaps und Heroinschweiß röche – das hätte ja noch was. Die Rockblaupause ihrer Alben klingt allerdings, als hätte sie eine ambitionierte Schützenfest-Band auf generischem Viagra eingespielt – und sich dann vom Gitarrenhändler an der Ecke komplett steril und keimfrei abmischen lassen. Musik wie ein Niesen, das nicht rauskommt. „Ha-ha-haaaa… ach nee, doch nicht!“

– Linus Volkmann („Musikjournalist“)

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Linus Volkmann im Überblick.