Ramblers


Die Ausläufer der Neuen Welle sind längst in die deutsche Rock-Provinz hineingeschwappt. Zu den fleißigsten und hoffnungsfrohsten New Wavern hierzulande zählen Die Ramblers aus Hagen. Sehr selbstbewußt sind sie eh': "We Want The World" protzt ihre erste Single, die in diesen Tagen auf den Markt gekommen ist. ME-Mitarbeiter Werner Zeppenfeld hatte Glück: Er erwischte die angehenden Superstars noch so gerade vor dem Start zur Welteroberung...

Die Ausläufer der Neuen Welle sind längst in die deutsche Rock-Provinz hineingeschwappt. Zu den fleißigsten und hoffnungsfrohsten New Wavern hierzulande zählen Die Ramblers aus Hagen. Sehr selbstbewußt sind sie eh‘: „We Want The World“ protzt ihre erste Single, die in diesen Tagen auf den Markt gekommen ist. ME-Mitarbeiter Werner Zeppenfeld hatte Glück: Er erwischte die angehenden Superstars noch so gerade vor dem Start zur Welteroberung…

Die Lautsprecher irri Wagenheck hüllen mich nonstop mit vergeistigter Keyboard-Ästhetik ein: im WDR kultiviert Michael Rüsenberg seinen Jan-Hammer-Spleen. Im Hof der Wittener „Werkstadt“ stelle ich den Motor aus, knalle hinter dem zirpenden Jazz-Rock-Kosmos die Fahrertür zu, kraxele noch ganz benommen in den ersten Stock des Jugendzentrums. Und falle mitten hinein in das exakte musikalische Gegenteil zum kultivierten Tralala der letzten halben Stunde.

Ein Diskothekenraum, doppelt so groß wie mein Wohnzimmer, verqualmt, niedrige Decke. Links eine wackelige Bretterbühne, bestückt mit der schäbigsten Anlage, die mir seit Urzeiten unter die Augen gekommen ist: zwei selbstgenagelte Schallumweg-Kästen mit Hochtonaufsatz, dazwischen zwei Gitarrenboxen samt Zwergverstärkern. Summa summarum zweihundert ramponierte Watt, die aussehen, als hätten sie sämtliche Regenfestivals zwischen Fehmarn und Würzburg mitgemacht. Vor dem Podest ein paar unschlüssige Durchhänger, die sich mit einigem Wohlwollen auf knapp fünfzig addieren lassen. Vier von ihnen steigen auf die Bretter, unter der Decke geht ein Dutzend bonbonfarbener Partyleuchten an, und das überdimensionierte Kofferradio macht plötzlich ein Höllenspektakel: von „Under My Thumb“ über „Jumping Jack Flash“ bis zur „Route 66“ läßt es wenig aus, was seit Jahr und Tag zu bierlauniger Stimmungsmache taugt.

Bierlaune

Die Gruppe die da spielt heißt „The Ramblers“, kommt aus Hagen, macht Rock’n’Roll und Rhythm & Blues und alles, was man heutzutage sonst mit dem Prädikat „New Wave“ bedenkt – und sie macht es gut, ist im Eigenmaterial streckenweise hart am Niveau ihres unüberhörbaren Ziehdoktors Feelgood. Knappe Titel, die die Quintessenz von Beat und Rock transportieren. Miniatursoli, ansonsten kompakte Power. Sie schaffen sich für das halbe Hundert entgeisterter Lahmärsche, als stünde ein Stadion auf den Stühlen: der hektisch umherhüpfende Stakkato-Sänger in dezenter Lotterkluft, ein Gitarrist, der mit seinem gequältsensiblen Chorknabengesicht wie ein Parade-Mod aus Pete Townshends „Quadrophenia“ aussieht. Der grimassenschneidende Sportsfreund am Baß scheint in Knieoder Rückenlage am ehesten sein Instrument unter Kontrolle zu bekommen, und der füllige, schwitzende Drummer hinter seinem japanischen Billigschlagzeug schaut aus wie eine Leigabe der örtlichen Schützenfestkapelle. Nach drei Zwanzigminuten-Sets haben die Durchhänger die Band und die Band die Durchhänger geschafft. Bierflaschen spritzen, man einigt sich auf zwei Zugaben. Der hektische Anmache-Sänger, nie um einen Spuch verlegen: „Hättet gar nicht brüllen brauchen, wir legen immer noch was zu, ob ihr das hören wollt oder nicht.“

Die Uni bebt

Den Nachmittag drauf sitzen der Chorknabe und der Hektiker auf meinem Wohnzimmersofa in Bochum. Bis Mitternacht ist der Kasten Pils alle, der New-Wave-Zirkel geht k.o. Am nächsten Morgen höre ich mir die Kassettenmitschnitte der abendfüllenden Interviewsession an. Nach dem dritten Durchlauf habe ich vergessen, das Ding umzudrehen. Immerhin – einiges ist nicht verschütt gegangen. Originalton Christian Schneider (20, verkrachter Wirtschaftsstudent, jetzt Sänger und Haupt-Songautor der Ramblers): „Was wir so als Durchbruch empfunden haben kam im Mai ’77 auf dem Sommerfest der Ruhr-Uni-Bochum, als plötzlich ein blauer Transit durch die Zehntausend schoß und dann im Hörsaalzentrum Sachen standen, die da gar nicht hingehörten. Einen Typen von den Organisatoren haben wir dann noch so verwirrt, daß er uns sogar ein Kabel gelegt hat. Nebenan spielten gerade so ein paar Makrobiotiker, aber das hat in dem Augenblick aufgehört, als unser Drummer angefangen hat zu hämmern.

Erstes Stück war „Talking About You“, danach war’s schon knattervoll im Saal, die Kerle haben ihre Perlen hochgehalten, ich glaube da spricht man heute noch von. Nach einer Stunde wollten die uns gar nicht gehen lassen. Da haben wir das Ganze nochmal gespielt.“

Bodenkontakt

Es war der mangelnde Bodenkontakt so vieler anderer Bands, was den gerade einen Monat alten Dilettantenhaufen schlagartig so gut ankommen ließ. „Wir haben damals fast nur Yardbirds gespielt, Pretty Things, Stones, lang und schmutzig. Das mit den Stones ist sowieso ziemlich neurotisch bei mir“, sagt Christian, „ich habe mir mal die Telefonbuchseite aus Los Angeles mitbringen lassen, wo Mick Jagger drinstand, und im Sommer fahre ich immer nach Sündfrankreich in den Ort, wo die mal gewohnt haben. Und wenn man halt Stones-Fan ist, dann hatte man vor zwei, drei Jahren ganz schön andere Vorstellungen von Musik und Stimmungsmache als das, was sämtliche deutsche Gruppen um einen herum so kultivierten. Ich wollte mit ein paar Leuten einfach losbrettern, Rock’n’Roll machen. Dann habe ich gelesen, daß das mit dem Dr. Feelgood in England so fürchterlich losging, und der ist so etwas wie unser Geburtshelfer geworden.“

Ein knappes Jahr später schon stand die deutsche Speerspitze der neuen Welle („Trittbrettfahrer sind wir nicht,schon gar keine Punk-Dandies Marke Strassenjungs“) auf denselben Bühnenbrettern wie der bahnbrechene Rock’n’Roll-Doktor aus dem Vereinigten Königreich: In Dortmund traten die Ramblers im Februar ’78 im Feelgood-Vorprogramm auf und erhielten von Sänger Lee Brilleux persönlich den Zuschlag, als Support-Act an der kommenden Feelgood-Herbsttournee teilzunehmen. Dazwischen lagen weit über hundert schlechtbezahlte und oft miese Auftritte quer durch Deutschland: „Im Januar waren wir auf unserem absoluten Tiefpunkt angelangt. Da kam eine Woche, da hatten wir zweimal Motorschaden, ein paar geplatzte Gigs auf einer Süddeutschland-Strippe, keine Kohle, mußten in eiskalten Bretterschuppen auf dem Boden übernachten. Krönung war dann der Katastrophenauftritt im Münchner Downtown, wo uns bei der Probe ein Verstärker durchbrannte. Wir haben den Baß dann gleich in die Gesangsanlage stöpseln müssen. Es hat sich alles schweinisch angehört, und wir hätten hinterher heulen können, weil da wichtige Leute waren von der Presse und vom ZDF. Die Ingeborg Schober z.B. ist mittendrin kommentarlos rausgegangen. Da wird man halt nach denselben Maßstäben bemessen wie die Motors, die dann ein paar Wochen später unter total professionellen Bedingungen antreten“ (hörst Du, Ingeborg, schuld war nur der Baßvers tärker!).

Die Live-Leiden der Rock-Newcomer gingen an die personelle Substanz. Wegen Geldmangel und Streßüberfluß warf der Rhythmusgitarrist zu Jahresanfang das Handtuch (die Rambiers suchen noch nach Ersatz), und für den zusammengeklappten ersten Bassisten der Band sprang deren Roadie ein, Ralf Denz (22). „Der ist zwar ein totaler Anfänger am Baß, kann auch heute noch keine Irrsinnsläufe, aber seine Figuren sind so banal, daß man sich manchmal freut, das zu hören. Und man kann Sachen erleben mit dem. Als wir mal in Hamburg waren, bei Sounds, sagt Häuptling Legath nach ein paar herben Bemerkungen über unsere Demo-Single: ‚Aber euer Bassist, wie geschickt der da den Eddie Cochran zitiert, wirklich erstaunlich.‘ Wir haben uns hinterher gebogen.“

Dann ist da noch Frank Becking (20), ex-Wäschefahrer, Leadgitarrist mit Banderfahrung aus der Gruppe Mandrake. „Später habe ich mit dem heutigen Grobschnitt-Bassisten als Styx rumgemacht, einem Alptraum von Arrangements, Ich habe da zwar meinen Part beherrscht, aber das Ganze konnte ich nicht mehr überschauen. Es war wie am Fließband, entfremdete Musik.“ Jürgen Hielscher schließlich, 23jähriger Taxifahrer und Trommler, hatte die Rock’n’Roll – Sanierung eines entgleisten Musikempfindens weniger nötig als Frank: er „hämmert und säuft“, seit er vor sechs Sommern mal mit einer längst vergessenen Band westdeutscher Beatmeister geworden war.

Erste Single

Bei aller Unvollkommenheit muß man den Ramblers attestieren, daß sie in ständigem Aufbau begriffen sind, spieltechnisch und kompositorisch von Gig zu Gig besser werden. Die erste Single der Gruppe („We Want The World“), vor ein paar Monaten auf eigene Rechnung im Studio Hilpoltstein eingespielt und später an die EMI-Tochter „Crystal“ verkauft, dokumentiert schon bei Erscheinen nicht mehr die qualitative Obergrenze des Rambler-Repertoires. Ihr „The Kids Are Back To Rock’n’Roll“ ist eine ganze Ohrwurm-Klasse besser. Frank entwaffnend: „Die guten Sachen sind uns erst hinterher eingefallen“. Akzeptabel sind auch die Texte der Gruppe. „Believe-me-babe“-Banalitäten sind in der Minderzahl, Generationsfrust ist das Leitmotiv. „We Want The World“ etwa empört sich mit eingearbeiteten Who – Zitaten über die satte Inhaltsleere kleinbürgerlicher Existenz, „The Kids…“ begrüßt den frischen Zeitgeist, der aus einer Hänger-Disco plötzlich wieder einen Actionschuppen gemacht hat, und ,,Too Fast“ reflektiert die Schnellebigkeit eines Musikerlebens. Die solcherart reproduzierten alten Rock’n’Roll-Motive weisen auch auf das inhaltliche Nahziel hin, daß die Rambiers mit Konsequenz verfolgen: zur Jahresmitte eine waschechte und abwechslungsreiche Rock-LP in die Läden zu rollen.

Kein Windei

Die Frage nach dem Danach ruft Ratlosigkeit hervor – offenkundiger jedenfalls ist. was Frank und Christian und die beiden anderen auf keinen Fall wollen: sich als Punks vermarkten lassen, die sie nicht sind: ,.Da kommen dann Agenten und sagen dir, daß du dich zu fotografieren lassen hast wie Generation X, oder Labelmanager von Plattenfirmen zählen dir die Feelgood-Stücke auf. die du klauen und umfrisieren sollst. Die würden dich als LP-Schnellschuß verheizen, bevor du ein Repertoire zusammen hast, bloß weil sie sich ausrechnen, daß dein Image kurzfristig im Trend liegt. Im Grunde scheren sie sich alle einen Dreck um deine musikalischen Ambitionen. Guck dir Big Balls an, das sind Prototypen für so ein Windei.“ Darüber hinaus haben sie die Nase voll vom Einheizen „für kotzarrogante Gruppen wie Uriah Heep“, von unsolidarischer Borniertheit innerhalb der deutschen Szene („wenn man im Vorprogramm von Karthago spielt und die Herren einen dann der Garderobe verweisen, dann fragt man sich doch, ob die noch ganz dicht sind“), und natürlich auch vom Equipment-Wahn der meisten Rock-Gruppen („wir freuen uns richtig, daß wir nur die paar Brocken haben“.

Unverdorbene Ansichten einer Gruppe, die bisher weder vom Mammon behelligt noch von einer größeren Popularitätswelle benetzt worden ist. Hoffentlich läßt das Räderwerk der Rockverwertung etwas von ihrem naiven Musikenthusiasmus übrig. Die Berliner PVC mal ausgeklammert, sind die Ramblers schließlich der einzige New-Wave-Lichtblick auf deutscher Profi-Flur. Und der täten sie ganz gut: frische Brisen, die nicht gleich wieder verwehen…