Radiohead, James Blake, Róisín Murphy: So war der Sonntag beim Lollapalooza Berlin 2016


Außerdem mit Major Lazer, Bilderbuch, Beginner und Aurora: Der Sonntag im Treptower Park ging heiß und staubig weiter und endete mit einem zweistündigen Set von Radiohead.

Am besten also, man lässt sich einfach erst einmal auf den Rhythmus ein – House, Latin, Jazz, alles fließt sehr subtil ineinander, ein ständiges Kommen und Gehen, den ganz großen Bumms lassen sie dabei einfach aus, lieber noch eine Noiseschleife … – shuffelt und scharrt dazu über den Sandboden, und lässt sich von Róisín einwickeln. So wie sie sich selbst ständig in irgendetwas einwickelt, was sie aus ihrem reichhaltigen und reichlich obskuren Kostümfundus fischt, der über die ganze Bühne verteilt zu sein scheint. Bänder, Umhänge, Muschelformen, Masken mit dreifach langen Pecharztnasen, drei Pappmachéköpfen in Reihe, schließlich doch noch eine Art Discokugel, zur gewölbten Scheibe gepresst, mit ihrem Kopf in der Mitte: her damit! Der Kleiderwechsel erfolgt meist mitten im Song, hinreißend, wie sie singend auf einem Bein auf hohem Schuh vor dem Drumset entlang hopst, während sie versucht, das zweite in eine Art weiße Malerhose mit hohem Schlitz zu bekommen. Wie gesagt, das hier hat Witz. Auch als sich Miss Murphy nach einer Stunde mit einem beherzten „Legalize Marihuana!“ verabschiedet – in Berlin, im Jahr 2016. Harhar.

Oliver Götz

James Blake

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Da sitzt er nun, dieser blasse Brite, den das Setting zwischen eisblauem Bühnengegenlicht und dem diffusen, von der staubigen Luft vor der Hauptbühne ergrauten Sommerabendlicht, nur noch blasser macht. Im Batikhemd zwischen seinen Keyboards und Synthesizern. Und weiß selbst am besten, dass sich seine Musik, diese fragilen Autotune-Klagelieder und diese meterhoch aufgetürmten, undurchlässigen Bass-Schichten, nicht unbedingt im klassischen Sinn zur Live-Aufführung eignen – noch weniger auf einem Festival, auf dem man gerade noch dem eingängigen Dance-Pop von Years & Years oder sonnigen Folk-Pop von Milky Chance lauschen konnte.

Umso erstaunlicher, wie viel Wucht dann doch von seinem Auftritt ausgeht. Wie in einer Hypnosezeremonie schickt Blake die entrückte Anmut seiner Lieder über das Publikum hinweg. Spätestens bei seinem kleinen, großen Hit „Limit To Your Love“ wird es merkwürdig ruhig und besinnlich auf der Wiese vor der Bühne. Wie Nebel hängt Blakes feiner Falsettgesang über den Köpfen der Zuschauer, der Sub-Bass drückt, wie schwüle Sommerluft. Man lässt sich davon sofort widerstandslos einwickeln – von den neuen Stücken, von „Choose Me“ und „Timeless“, und von alten Lieblingen wie „The Wilhelm Scream“. Dieser blasse Brite, er ist nun mal auch der große Meister der Dubstep-Klavierballade. Und als solcher kann er immer noch so viel Anspannung und Besinnlichkeit auf einmal erzeugen, dass man das Gefühl hat, für ein paar Momente mit ihm außerhalb der Zeit zu schweben.

Annett Scheffel

Major Lazer

Major Lazer beim Lollapalooza Berlin 2016

Es ist, man ahnt es schon, so: Die Performance von Major Lazer spricht die niedersten Instinkte der Gattung Mensch an. Das macht sich vor allem darin bemerkbar, dass der Mensch als Teil des Publikums sein Gehirn für eineinhalb Stunden wirklich gar nicht mehr benutzen muss. Es gibt keine komplexen Lyrics, die er konzentriert mitzusingen versuchen muss, keine kryptischen Visuals, die zu decodieren sind, nein, nicht einmal zu lange Ansprachen des Künstlertrios zwischen einzelnen Songs – weil es ein „Dazwischen“ oftmals gar nicht gibt. Major Lazer ballern mit Beats, Konfetti- und Glitzerkanonen munter drauf los. Sie fordern das Publikum auf, ihre Oberkörper freizulegen und mit ihren T-Shirts zu wirbeln, initiieren Sprechchöre („We say ‚Major‘, you say ‚Lazer‘“) und haben sogar eine kleine Choreografie mitgebracht: Zuerst sollen die Menschen ein bisschen auf der Stelle hüpfen, dann wie ein angeknipstes Kaninchen nach links und wieder nach rechts hoppeljoggen. Diplo, seine Jungs und seine Tänzerinnen machen motiviert wie es sonst nur Mallorca-Animateure sein können mit, und damit am Ende niemand mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus landet, blinkt die jeweilige Laufrichtung mit kleinen roten Pfeilen auf den gigantischen Leinwänden auf. Die trampelnden Lollapalooza-Besucher pulvern dabei so viel Staub in die trocken heiße Luft, dass die ersten zu husten und immer mehr Mama-Papa-Kind-Grüppchen kopfschüttelnd zu flüchten beginnen. Und das erste Mal an diesem Wochenende fühlt es sich wunderbar richtig an, sich genau dieses Publikum an einen fernen Ort zu wünschen: zum Beispiel zum Abzappeln in die angrenzende Kidzapalooza-Kinderdisko, oder zum Milchschaumschlürfen in den Prenzlauer Berg.

Jördis Hagemeier

Radiohead

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Radiohead machen es gemeineren Popmusikfans und Lolla-Eventtouristen natürlich leicht, sie nicht zu mögen. Die britische Ausnahmeband schafft es seit Jahren, den einst erprobten klassischen Rocksong zugunsten von Anspruchsvollerem derart aufzugeben, dass es an ein Wunder grenzt, dass nicht viel mehr Parodien von ihnen existieren – und dass sie als Headliner noch immer solche Massen anziehen. Wer an diesem Wochenende Hits hören will, ist hier, am Sonntagabend auf der Hauptbühne, jedenfalls fehl am Platze, möchte man im Vorfeld meinen. Was Thom Yorke und Co. in ihrem zweistündigen Set schließlich boten, überraschte dennoch und dürfte ihre alten und neuen Fans vereinen.

Die ersten fünf Songs von Radioheads zehntem Berlin-Konzert, das 15 Jahre nach ihrer Show in der Parkbühne ebenfalls an einem 11. September stattfindet, stammten allesamt vom neuen Album A MOON SHAPED POOL. Sogar in gleicher Reihenfolge, von der ersten Single „Burn The Witch“ bis „Ful Stop“. Kritiker durften spätestens hier befürchten, dass auch die nächsten anderthalb Stunden eine selbstverliebte Muckershow werden. Aber von wegen: Mit „2 + 2 = 5“ und „Lotus Flower“ folgen potentielle Lieblingslieder der Post-„OK COMPUTER“-Ära, mit „No Surprises“ eine erste Zeitreise in die späten Neunziger. Am beeindruckendsten aber drücken sich die besonders basslastigen und gitarrenarmen KID-A-Klassiker „Everything In Its Right Place“ und „Idiotheque“ durch den Treptower Park. Die doppelten Drums und die bildgewaltige Bühnenshow tun da nur Ihr Übriges.

Und dann spielen sie „Creep“. Die Hitsingle ihres Debüts „Pablo Honey“ aus dem Jahr 1993, die sie ihren Konzertbesuchern jahrelang verweigerten und erst jetzt, während ihrer aktuellen Tour, wieder ins Programm aufnahmen. Wie viele Festivalbesucher in dem Moment wohl dachten: „Ach, scheiße, DAS sind Radiohead?“. Falls die dann noch stehengeblieben sein und den Konzertabschluss „Karma Police“ (inklusive mitsingendem Publikum) gehört haben sollten, müssten Thom Yorke, Jonny und Colin Greenwood, Ed O’Brien und Phil Selway auch die Ungläubigsten bekehrt haben: Doch, doch, Radiohead sind noch immer eine der größten Bands dieses Planeten.

Fabian Soethof

Andreas Meixensperger
Andreas Meixensperger
Andreas Meixensperger