Radau Brüder Oasis
Ohne Streit läuft nichts. Trotzdem können die Gebrüder Gallagher nicht voneinander lassen. Oasis-Intimus Paolo Hewitt schrieb jetzt das Buch zur Band. ME/Sounds bringt exklusiv und vorab Auszüge aus der deutschen Übersetzung.
Im Bus hatte Noel die „Sun“ aufgeschlagen und brüllte: „Liam, komm her.“ „Was denn?“ „Guck dir das an.“ Noel blätterte zur Klatschspalte, wo ein Foto von Liam beim Gig im Virgin Megastore abgebildet war. Seine Augäpfel waren bis oberhalb der Lider verdreht. Er sah aus, als wäre er halb blind. „Na und? Ich war total auf E. Was erwartest du denn da?“ „Ich erwarte, daß Pop-Sänger irgendwie besser aussehen als so“, erklärte Noel mit offensichtlicher Schadenfreude. Im Hotel singen alle runter zur Bar, außer Noel. Er stand am Fahrstuhl, seine weiße Adidas-Tasche in der Hand. Einer seiner Freunde sprach ihn an. „Was machst du denn jetzt, Noel?“ „Ich geh’auf mein Zimmer.“ „Willst du ’ne Linie?“ „Nee, für mich nicht.““Ganz sicher?“ Der Freund hatte offensichtlich noch nie erlebt,daß Noel ablehnte, wenn man ihm Kokain anbot.“Ich muß morgen früh raus und zurück nach London“, erklärte Noel.“Ich gebe einen kurzen Akustikgig bei XFM (ein privater Radiosender/Anmerkung der Red.), und den möchte ich nicht vergeigen. Kommst du zum Konzert in Bournemouth? Na, dann sehen wir uns ja.“ …Es wurde fünf, bevor der letzte ins Bett fiel. Der nächste Tag war ein Reisetag. …Liam hatte ein Video des Films „Head“ mit den Monkees dabei. „Head“ ist ein dick aufgetragener psychedelischer Film aus dem Jahr 1968, den der Hollywood-Schauspieler Jack Nicholson geschrieben hatte, um das saubere Image der Monkees zu zerstören. Während riesige Staubsauger die Monkees in Höhlen verteilten oder sie aus unersichtlichen Gründen in einer Wüste mit italienischen Soldaten sprachen, sagte Liam:“Solchen Blödsinn sollten wir auch machen. Einen total abgefahrenen Scheißfilm drehen, der allen Leuten die Köpfe verdreht. Das wäre verdammt geil.“ So, wie er es sagte, klang es wie eine Drohung. An der Raststätte entdeckten Liam, Alan und Bonehead einen Fotoautomaten.
Dort konnte man sich zusammen mit dem Abbild von Prominenten fotografieren lassen. Liam ließ sich erstaunlicherweise mit United-Kicker Eric Cantona ablichten. Alan White ebenfalls. Bonehead ließ seinen Kopf mitten in ein Take-That-Bild pflanzen. „Ich laß die Pressestelle eine Mitteilung rausgeben, und dann schicke ich das an den ,NME“‚, witzelte er. „Und sag‘ denen, ich wäre der Ersatz für Robbie Williams. Stellt euch vor, Bonehead wird der Neue bei Take That.“ „Mach das bloß nicht“, sagte Liam.“Die Vollidioten glauben dir das glatt.“ …Der Bus erreichte Bournemouth gegen sieben. Es war eine lange Fahrt gewesen. Jason, Noels Gitarrenroadie, schlenderte in die Lobby, als die anderen gerade eincheckten.“Ich wünsche Ihnen allen einen guten Abend“, begann er in überzogenem Schnösel-Akzent. „Hier ist nicht viel los, meine Herren.“ Die Crew war über Nacht gefahren und hatte sich schon in der Stadt umgesehen. „Da gibt’s eine Bar, die ganz gut sein soll. Wenn Sie sich bitte in etwa einer Stunde in der Hotelbar versammeln würden, dann können wir gemeinsam losziehen.““Geht klar“, sagte Bonehead. Eine Stunde später saßen die Roadcrew und die Bandmitglieder von Oasis in der Bar. Drei Mädchen aus Birmingham saßen in der Nähe. Sie hatten einen einwöchigen Urlaub rund um das Konzert in Bournemouth geplant. Zwei von ihnen sahen recht gut aus, und sie ernteten jede Menge Aufmerksamkeit. Ihre Freundin, die‘ aus dem Spiel raus war, hatte sich entschlossen.die Mutterrolle zu übernehmen und auf die beiden anderen aufzupassen. Sie hielt das für ratsam, weil Liam ganz offensichtlich eine gewisse Anziehungskraft auf ihre beiden Freundinnen ausübte, und der hatte gerade einen besonders starken Cocktail entdeckt. Innerhalb von zwanzig Minuten hatte er drei davon heruntergekippt und war in ziemlich gehobener Stimmung. „Ist dir schon mal aufgefallen“, sagte er zu Bonehead, „daß Buchstaben richtige Wörter werden können?“ „Wie meinst du das?““Na, paß auf. U.R.A.Q.T.“ Ausgesprochen lautete das „You are a cutie““Du bist echt niedlich.““Von mir aus, sollen sie doch.“ Bonehead dachte einen Augenblick nach, und Liam sah mit sich und der Welt zufrieden aus. Wörter waren nicht sein Ding. Er haßte es zum Beispiel, mit seinem Namen zu unterschreiben. Dafür hatte die Schule gesorgt. Die hatte ihm Angst vor Stift und Papier eingeimpft. Er konnte sich vor 20.000 Leuten hinstellen und ihnen so richtig was vormachen. Kein Problem. Aber seine Achillesferse waren Wörter. Wörter machten ihm angst. Wörter zeigten ihm, daß es zwei Arten von Menschen auf der Welt gab. Die, die wußten, wie man Musik schreibt, und die, die wußten, wie man sie macht. Liam gehörte zu den letzteren. Instinkt, kein Überlegen. „Liam?““Was?““U.R.O.K“, sagte Bonehead. Wenig später verließen sie alle die Bar. Ein paar von ihnen wollten etwas essen gehen. Liam und Co. blieben bei den Mädchen, die eine Bar kannten, wo es billige Drinks gab. Als Liam eintrat, hielten die Leute inne und starrten ihn an. Aber nur wenige trauten sich an ihn heran. Eine halbe Stunde später verkrümelte er sich mit Paul, einem der Roadies, aufs Klo. Sie hatten gerade ein bißchen Kokain geschnupft, als plötzlich jemand gegen die Tür trommelte. Es war der Rausschmeißer, der gesehen hatte, wie sie beide zusammen in die Toilette gegangen waren. „Scheiße!“ Liam und Paul starrten sich an. „Was denn?“, brüllte Liam zu dem Rausschmeißer hinüber.“lch möchte schwer hoffen, daß ihr da nicht zu zweit drin seid.“ Paul sammelte sich als erster. Er öffnete den Riegel, und die beiden kamen heraus. „Hör mal“, begann er, „ich weiß, was du denkst, aber so ist das gar nicht. Seine Freundin hat gerade mit ihm Schluß gemacht, und ich wollte mit ihm darüber reden, unter uns, du verstehst schon. Ich meine, da draußen hat er keine Ruhe, und er ist ziemlich durcheinander.“ Paul und der Rausschmeißer sahen Liam an. Ein paar Krümel Kokain rieselten aus seiner Nase. Paul wußte, daß weitere Erklärungen sinnlos waren. „Ich glaub‘ dir nicht“, sagte der Rausschmeißer. „Okay, Alter, dann die ganze Wahrheit“, sagte Liam. „Er und ich, wir sind schwul und haben es da drin getrieben.“ „So, ihr zwei, raus jetzt.“ Der Rausschmeißer wollte Liam am Arm packen. Liam trat einen Zentimeter zurück und fixierte ihn mit kaltem Blick. „Hör zu, Alter, wir hauen ja schon ab aus deiner blöden Pinte, aber Hände weg von meinem Mantel. Okay. Hände weg von meinem Mantel.“ Der Rausschmeißer überdachte kurz die Lage, trat dann zurück und ließ Liam an sich vorbeigehen, raus in die kalte Oktoberluft.
Wieder im Hotel gab es Fußball im Fernsehen. …Paul, Liam und die drei Mädchen zogen sich in ein Zimmer zurück, um sich das Spiel anzugucken. In dem Zimmer standen zwei Einzelbetten. Liam saß bei den beiden Hübschen. Paul redete mit „Mama“. Aber trotz Liams eindeutigen Vorschlägen passierte nichts mehr an diesem Abend. „Mama“ war nicht dazu zu bewegen, ohne ihre Brut davonzuziehen. Sie wollten bleiben. Das war klar. Das sagten sie auch jedesmal, wenn ihre Freun mal pinkeln ging. Aber „Mama“ war unerbittlich. Ohne sie würde sie sich nicht von der Stelle ‚rühren. Schließlich machten sie sich zögernd auf zu der Pension, in der sie abgestiegen waren. Liam versprach, sie alle auf die Gästeliste zu setzen. „Die Häßliche setze ich nicht mit drauf“, erklärte er hinterhältig, nachdem sie gegangen waren.“Die kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.“ Liam wußte nicht recht, was er jetzt machen sollte. Und er war betrunken und aufgedreht. Ins Bett gehen kam nicht in Frage. Nicht in diesem Zustand, und nicht um diese Zeit. Er schnappte sich das Telefon und bestellte noch ein paar Drinks, zog das bißchen Koks heraus, das noch übrig war, begann, es zu zerkleinern und fing an zu reden. Zuerst über seinen Namen. Er haßte William. Viel zu lang. Aber dann hatte er noch John und Paul zwischen dem William und dem Gallagher, und da das die Namen der besten Songwriter aller Zeiten waren, war das ein gutes Zeichen. Dann fiel der Name seines Bruders. Unausweichlich. „Denk nur mal dran, wie er mich aus seiner Wohnung rausgeschmissen hat“, sagte Liam mit sanfter Entrüstung, wie über jemanden, der sich tagelang nicht gewaschen hat.“Die Hälfte von der Bude gehört mir. Ich bin sein Bruder, die Hälfte gehört mir.“ Das war Liams Logik. Aber er ärgerte sich gar nicht so sehr über einen Hinauswurf wie diesen. Nein. Es ging ums Geld. Es war alles ganz einfach strukturiert; alle Mitglieder von Oasis bekamen denselben Anteil des Umsatzes von Platten und Konzerten, sie bekamen eine wöchentliche Zahlung. Außer Noel, für den durch die Tantiemen
und die Verlagsrechte an den Songs gesorgt war. Dieses Stück des Kuchens wurde nicht aufgeteilt. Für Liam war das nicht in Ordnung. „Wenn ich der Songwriter wäre bin ich ja nicht, aber wenn ich’s wäre -, würde ich das Geld auch in den Topf mit reinwerfen. Es unter allen aufteilen. Nicht alles für mich behalten.“ Denn schließlich, warum war die Band so erfolgreich? Lag das nur an den Songs? Oder spielten da auch andere Dinge eine Rolle? Zum Beispiel Liams Beitrag. Oder daß sie sich alle auf Tour den Arsch aufrissen. Er mochte es nicht, wenn Noel sich mit dieser Geldgeschichte beschäftigte. Es veränderte ihn. Das war wie 1994, als sie zum erstenmal in New York gewesen waren. Die Plattenfirma hatte sie zum Essen eingeladen, und dieser Idiot von Epic hatte gesagt, sie hätten „Glück gehabt“. Glück gehabt? Glück, daß sie bei diesem Label unterschreiben durften. Scheiße, Glück gehabt? Wir? Liam ging auf ihn zu: „Ihr habt ein verdammtes Schwein, daß ihr uns habt, nicht umgekehrt.“ Und Noel hatte bloß dagesessen und gar nix gesagt, sich wie ein Scheiß-Businessman verhalten.
Liam hatte angefangen, sich zu ärgern und war auch auf Noel losgegangen. Liam liebte seinen Bruder, das konnte doch jeder sehen, oder? Aber manchmal hatte er das Gefühl, als ob von Noel nie etwas zurückkäme. Er senkte den Kopf und begann, von dem Gig in Newcastle zu erzählen, wo Noel auf der Bühne eins übergezogen bekommen hatte. Dabei wurde Liam richtig sauer, als seine Gedanken über den Gig aus ihm herausbrachen. Am Anfang, sagte er, hatte die Band im Grunde diese Einstellung gehabt: „Ihr habt ein verdammtes Glück, daß ihr alle diese Songs von uns kriegt. Und dann kommt ihr auf die Bühne und haut dem Typen, der sie geschrieben hat, eine rein? Nee, Alter, das läuft nicht. Das ist nicht korrekt. Also habe ich mir den Kerl geschnappt und ihn wieder runter ins Publikum geschubst. Ich hab’dem Arschloch voll die Fresse poliert.“ Liam stand auf und zeigte einen harten, blitzschnellen Schlag. „Wusch! Noel wollte weitermachen. Ich hab’gesagt, nee, wir gehen jetzt. Noel sagte, ,mir gehts gut, wir geben’s denen‘. Ich hab’gesagt, nix, das war’s, wir gehen. Also sind wir raus, und ich hab‘ mir dann gedacht, nee, das laß ich mir nicht gefallen. Also bin ich wieder auf die Bühne, hab‘ mich ans Mikro gestellt und gesagt, okay, ich nehme es mit euch allen auf. Nicht alle dreißig von euch Wichsern auf einmal, aber einen nach dem anderen. Und ich polier‘ euch die Fresse, daß ihr nicht mehr geradeaus gucken könnt. Also, wer traut sich?“ Liams Stimme ging eine Oktave nach unten.“Nicht einer kam hoch zu mir.,Los, wer traut sich?‘ Nicht einer.“ Bitterkeit und eine Spur von Enttäuschung schwangen in seiner Rede mit. „Und das wollen unsere Fans sein.“ Liam setzte sich wied; und schüttelte den Kopf. Das erinnerte ihn an etwas anderes. Wie damals bei dem Video für „Some Might Say“, und was er sich da alles hatte anhören müssen. Das war echt mörderisch gewesen. Sie kommen aus New York zurück und gehen in das Hotel, in das man sie eingebucht hat, und da sieht er zum erstenmal das Drehbuch für das Video. „Und das ist voll mit Scheiße. Ich, auf dem Beifahrersitz im Auto, wie ich singe. Dann Schnitt, und wieder ich in einem Cafe, wie ich Eier und Baked Beans esse. Total Scheiße, verstehst du? Ich hab mir das durchgelesen und gesagt, ihr könnt mich mal, das mach‘ ich nicht. Diese Platte, ,Some Might Say‘, ist einfach zu wichtig. Für mich ist das ein Song wie „Imagine‘.“ Und Liam singt: ,“Some might say they don’t believe in heaven/ go and tell it to the man who lives in hell‘. Der Song ist viel zu wichtig.“ Am ersten Drehtag sagt Liam also „fuck off“ und weigert sich, auf den Set zu kommen. Bleibt in seinem Hotelzimmer. Das kostet die Band zwanzig Riesen. Aber scheiß drauf. Liam sagt, die bezahlt er. Guigsy und Bonehead reden mit ihm. Ihnen gefällt das Drehbuch auch nicht. „Für euch geht das in Ordnung“, erklärt Liam. „Ihr müßt da nur stehen und Gitarre spielen. Aber ich muß das singen, verdammt nochmal. Also, ich geh‘ hin und werd‘ ihnen sagen, daß der Song sowieso Nummer 1 wird. Wir brauchen kein so beschissenes Video.“ Liam zufolge wurde er danach für die nächsten zwei Wochen von der Band und vom Management geschnitten. Dann wurde die Single Nummer 1. Marcus rief Liam an dem Tag an, als das geschah. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte sein Manager. „Ich hab’s dir doch gesagt“, antwortete Liam. Vorfälle wie diese überzeugen Liam von seiner Geistesverwandtschaft mit John Lennon. Sie hatten dieselbe rebellische Natur. Liam folgt ihr immer, ohne sie zu hinterfragen, und das ist zweifellos einer der Gründe für den Erfolg von Oasis. Es ist aber derselbe Geist, an dem Oasis auch immer wieder zu zerbrechen droht. Nicht, daß Liam einen der übrigen Beatles treffen wollte. Vergiß es. Wenn er jemals Paul McCartney begegnet, würde er „Wie geht’s denn“ sagen, und das wär’s. Respekt, ja schon, aber eigentlich scheißegal. Was die Rolling Stones angeht: Nachdem, was die mit Brian Jones gemacht haben, ihn rauszuschmeißen, obwohl er doch die Band war, und dann ein Interview zu geben, ein Scheiß-Interview, an dem Tag, als er starb, die sollten sich was schämen. Nein, so würde Oasis niemals werden. Sie sind die offenste Band, die es je gab, und dieses nächste Album, das ist es. Dieses Album wird den Leuten den Verstand rausblasen. Wörtlich. Da gibt’s kein Pardon. Sechs Monate sind bei der Arbeit an diesem Scheißding draufgegangen, und alles, jede einzelne Note, stimmt jetzt. Und dann? Und dann wird eines Tages eine Oasis-Platte erscheinen, und unten, wo die Autoren der Songs angegeben werden, wird dann stehen, Gallagher und Gallagher, denn das ist Liams größter Ehrgeiz. Das ist seine Mission. Einen Song schreiben und den herausbringen. Deswegen wird er auch Gitarrespielen lernen. „Vielleicht dauert es vier Monate, vielleicht auch zehn Jahre, aber eines Tages werde ich’s ihnen zeigen. Ich werde es ihnen vorspielen und sagen,,so,da seht ihr’s‘.“ …George Michael, Keren Woodward und Sarah Dallin, der frühere Wham!-Frontmann und zwei Mädchen von Bananarama, stehen da und gucken sich Oasis im „Boumemouth International Centre“ an. Die 8oer Jahre betrachten die Neunziger. Ein Oasis-Fan erkennt George. Der Rest der Menge ist total auf die Band fixiert. Oasis haben gerade mit „Champagne Supernova“ begonnen, da passiert es. Jemand kippt einen ganzen Becher Bier über Liam. Der Alkohol durchtränkt sein blaues Paisley-Hemd, und jeder in dieser Halle denkt dasselbe: Was wird er jetzt machen? Wie wird er reagieren? Überleg mal. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Erstens: von der Bühne gehen; zweitens: runterspringen ins Publikum und dem Blödmann eine knallen. Liam tut nichts dergleichen. Er fängt an, im Kreis zu gehen. Immer rundherum, kreisend wie ein Geier. Die Band spielt weiter, behält ihn aber immer im Auge. Und dann macht Liam seinen Zug. Er geht zum Mikrofon und singt, als wäre nichts geschehen. Die Menge jubelt ihm lauthals zu.
In der Hotelbar (…) sitzt der ehemalige Wham-Star mit Keren und Sarah. Liam kommt herein und setzt sich zu ihnen. Er hat Keren und Sarah schon einmal in Japan getroffen, bei einer Party in einem Hotel, wo sie immer wieder in Klamotten in den Swimmingpool gesprungen sind und die Manager und Kellner verzweifelt brüllten, sie sollten damit aufhören. …Noel kommt rein und nickt George zu. Er hat mit ihm schon in der Halle ein bißchen geredet. Nicht, weil er ein großer Fan von ihm wäre, aber weil er der Meinung ist, daß jeder, der sich als Songwriter versucht, zumindest ein paar Worte wert ist. Noel respektiert die meisten Leute in diesem Bereich. Er sieht es so, wenn sie auch nur die Hälfte von dem durchmachen,
was in ihm vorgeht, dann haben sie etwas Anerkennung verdient. Nur von den Songwritern, die Noel selbst wirklich inspiriert hatten, wollte er mehr als nur einen kurzen Drink und einen kleinen Schwatz. Diese Leute – die Marrs, die Wellers – wollte er wirklich kennenlernen, ihre Motivationen durchschauen. Dann würde er vielleicht auch Antworten für sich selbst darin finden.
Noel Gallagher erwacht in seiner Koje im Bus, gähnt und zieht den Vorhang zurück. …Während Noel noch dasitzt und sich die Augen reibt (…) geht Liam an Noel vorbei, um seine Sachen hinten aus dem Bus zu holen. „Meine Stimme ist im Arsch“, sagt er. „Und was soll ich da dran machen?“ gibt Noel zurück. „Du bist doch bloß neidisch, weil sie besser ist als deine.“ „Im Moment ja wohl nicht. Du solltest mal mit dieser Partyscheiße aufhören und dich wie ein Profi benehmen.“ Liam nimmt seine Tasche und geht dann wieder nach vorn zum Ausgang. „Damit kennst du dich ja so gut aus, nicht wahr?“ brüllt er zurück. Ja, das tu ich“, antwortet Noel. „Weißt du, was dein Problem ist?“ Liam bleibt stehen und sieht seinen Bruder an. „Na, da bin ich aber neugierig. Was ist denn mein Problem?“ will er wissen.“Du solltest mal aufhören, überall rumzurennen, von wegen, seht her zu mir, seht her zu mir, ich will die ganze Aufmerksamkeit. Das wäre schon alles.“ Liam sagt „Ach, du kannst mich mal“ und geht. Selbst er ist zu müde zum Streiten. Noel springt aus dem Bett auf den Boden, sucht seine Sachen zusammen und geht den Gang des Busses hinunter. Wie auch die anderen ist er von dieser Woche jetzt ziemlich geschafft. Zu viele lange Nächte, zu wenig Schlaf. Und was das Schlimmste ist: Meg wird heute abend zu ihnen stoßen, und dafür ist Noel momentan überhaupt nicht in Stimmung. Nicht, weil er sie nicht sehen will, aber genau das ist es ja, was die Tourneen in einem anrichten: Man steckt in einer Seifenblase und gerät zwangsläufig in einen geistigen Zustand, der für die Leute von außen schwer zu durchdringen ist, ganz gleich, wie nah sie einem stehen. Noel möchte einfach dieses Konzert geben und dann nach Hause fahren und ausruhen…. Das Konzert lief gut. Das Publikum rastete aus. Die Band spielte gut. Danach trödelte niemand mehr allzu lange backstage herum. …Der Bus fuhr sie (…) ins Hotel, und es dauerte nicht lange, da bekamen Noel und Meg Streit. …Meg war guter Laune, freute sich, Noel zu sehen und mit ihren Freundinnen zusammenzusein. …Meg war in Partystimmung. Sie war bei Noel, sie war unter Freunden. Sie war guter Laune, deswegen trank sie ziemlich viel, und Noel fing an, sich immer mehr zu ärgern. Schließlich ging er auf sie los und erklärte, daß er es hasse, wenn sie blau sei.“Wieso?““Weil du dich dann immer wiederholst. Du erzählst fünfmal dasselbe.““Und wie lange willst du mir das jetzt übelnehmen?“ wollte Meg wissen. Ihre blauen Augen wurden schmal, während sie auf die Antwort wartete. „Bis die Tour zu Ende ist“,fauchte Noel.