R.E.M.


Nach sechs Jahren Tour-Abstinenz treten R.E.M. den Beweis an, daß sie live immer noch zur Oberliga gehören - trotz einiger Hindernisse.

Sechs Jahre hatte man R.E.M. nicht mehr live gesehen, als Anfang ’95 der Startschuß zur großen ‚Monster‘-Welttournee erfolgte. Lange Jahre sowohl für diejenigen, die die vier Alternative Rock-Pioniere bereits seit deren Indie-Tagen verehren als auch für Hunderttausende, die R.E.M. mit den Alben ‚Out Of Time‘ und ‚Automatic For The People‘ zu Mega-Stars gemacht haben. Doch vor allem dem auf die Band wartenden Fan in Deutschland sollte noch so manche Enttäuschung blühen. Die jedoch erstmal hinten anstand angesichts des Schocks über den herben Schlag, der die Band am 2. März trifft: bei einem Konzert in Lausanne kippt Drummer Bill Berry plötzlich Buchstäblich vom Hocker. Diagnose: Gehirnblutung. Berrys Zustand bessert sich dankenswerterweise bald, doch der zweieinhalbmonatigen Zwangspause, die seine völlige Genesung erfordert, fallen sämtliche Deutschland-Termine der ‚Monster‘-Tournee zum Opfer. Ersatzweise werden für Juli einige Open Air-Termine anberaumt. Doch da plagen Bassist Mike Mills auf einmal heftige Beschwerden um die Leibesmitte. Diagnose diesmal: Darmverschluß. Folge: Leute, die Tickets für das Würzburger Konzert ergattert hatten, schauten abermals in die Röhre. Aus den insgesamt für Deutschland geplanten 13 Gigs waren also gerade mal stolze vier geworden.

Was halb so tragisch wäre, würden R.E.M. nicht auch nach sechs tourlosen Jahren noch ihrem Ruf als grandiose Live-Band vollauf gerecht. Einiges hat sich geändert, aus den mittelgroßen Clubs von damals sind Stadien worden, doch den erweiterten Rahmen verstehen Michael Stipe und seine Mannen mühelos zu füllen. Seit den Aufnahmen zu ‚Monster‘ hat die vier Herrschaften nach eigener Aussage wieder die pralle Lebenslust gepackt, und so präsentiert man sich denn auch. Neben geschmacklich leicht abgründigen Auswüchsen wie Mike ‚Mills‘ augenzwinkernd zur Schau getragenem Glitzer-Anzug beschert dieser optimistische Sinneswandel dem Zuschauer ein ausgewachsenes, saftig-kraftvolles (Alternative) Rockkonzert —- wer hätte das zu Zeiten des grüblerisch-melancholischen ‚Automatic For The People‘ von ihnen erwartet? Natürlich gibt’s stille, schöne Momente, etwa beim schier herzzerreißenden ‚Everybody Hurts‘, doch zumeist dominiert vor allem das etwas unberechenbare in Michael Stipe. Sang er eben noch mit wahrer Inbrunst ins beidhändig umklammerte Mikro, wirft er sich im nächsten Moment schon wieder in sarkastisch überzogene Rockstar-Posen, wirbelt exaltiert zuckend über die Bühne -— Stipe wirkt wie eine von seltsamen Wallungen getriebene Diva, die definitiv in anderen Sphären schwebt als der Großteil des Publikums. Das freut sich derweil über die gefällige Songauswahl, die alles umfaßt, was das Ohr begehrt: Klassiker wie ‚It’s The End Of The World…‘ oder ‚Radio Free Europe‘, Mitsingtaugliches á la ‚Man On The Moon‘ oder ‚Losing My Religion‘ und natürlich den Power-Glam-Pop von ‚Monster‘. Dazu werden sporadisch die neuen Songs ‚Departure‘ und ‚Undertow‘, zwei auffallend kräftige Rocker, ins Programm aufgenommen.

Wochen später: den wenigen deutschen Fans, denen das Glück sprich das körperliche Wohlbefinden der Musiker hold gewesen war, klingen die Akkorde von Peter Buck noch in den Ohren, da hat man im R.E.M.-Tourtross mal wieder den Doktor im Haus: Als dritten in der Band hat es Stipe erwischt, er muß sich einer Leistenbruch-Operation unterziehen. Irgendwelche höheren Mächte scheinen etwas gegen die Live-Band R.E.M. zu haben. Sollte dem so sein und sollten sich zudem die Gerüchte bewahrheiten, die von der letzten Tour der Vier aus Athens/Georgia unkten: schade wär’s.