Queen
21 Jahre lang existierte das Phänomen Queen, bis am 24. November 1991 Freddie Mercury an den Folgen von AIDS verstarb. Fast vier Jahre nach seinem tragischen Tod erscheint das letzte Werk 'Made in Heaven'.
Frühsommer 1991. Der ehemals so flamboyante Sänger sitzt, zusammengesunken in einem Rollstuhl, allein im Aufnahmeraum des Mountain Studios in Montreux. Vor ihm eine Batterie von Mikrophonen. Im Kontrollraum warten Brian May, John Deacon und Roger Taylor, bis sich ihr Freund wieder erholt. Freddie Mercury bei den Aufnahmen zu ‚Mother Love‘, dem letzten Song für ‚Made in Heaven‘, eine CD, die er selbst nie hören wird. Seit Monaten weiß Freddie Mercury, daß er stirbt, und daß ihm und seiner Band Queen nicht mehr viel Zeit bleibt, um das endgültig letzte Werk zu vollenden. „Schreibt für mich, was immer ihr könnt“, hatte er seinem Freund Brian May gesagt. „Ich werde es singen und euch so viel Material geben, wie ich kann.“ Und Brian schreibt und schreibt. Trotz übergroßer Schmerzen und der unglaublichen Belastung, den Tod stets vor Augen zu haben, singt Mercury die Gesangsspuren für elf neue Songs ein. ‚Made In Heaven‘ soll das Werk heißen. Einen treffenderen Titel gibt es wohl kaum. Laut May das wohl persönlichste und vielleicht beste Queen Album, das es je gab: „Als wir sofort nach der Arbeit an Mnnuendo‘ neue Songs aufnahmen, wußten wir — allen voran Freddie — , daß uns die Zeit davonlief. Man hatte Freddie gesagt, daß er es nicht schaffen würde, also blieben wir in der Nähe des Studios in Montreux. Wir bereiteten die Songs vor und warteten, bis er sich gut genug fühlte, um einige Stunden arbeiten zu können. Und dann haben wir das Beste aus ihm herausgeholt.“ May macht eine kurze Pause. „Wir wußten ja nie, ob er es morgen noch einmal schaffen würde, ob wir nicht an seiner letzten Session arbeiten.“ Vier Jahre nach dem Tod des charismatischen Sängers vollenden die drei verbliebenen Bandmitglieder das Album. Vier Jahre Arbeit für elf Songs, zehn davon ganz neu, darunter ‚A Winter’s Tale‘ (‚Eine Wintergeschichte‘), der letzte Song, den Mercury selbst geschrieben hat.
Angefangen hatte alles im wilden London Ende der sechziger Jahre, in kleinen Boutiquen und Antik-Shops des Kensington Markets, betrieben von extrovertierten Sonderlingen die Clapton vergötterten und Hendrix imitierten, die auf die Konventionen der dahinsiechenden Kolonialmacht England
pfiffen und ihre Mitbürger mit gewollt schockierendem Gehabe provozierten. Freddie Mercury und Roger Meddows-Taylor besaßen einen kleinen Laden im Kensington Market und teilten sich eine Wohnung in Shepherd’s Bush. Taylor hatte zuvor mit dem Gitarristen Brian May und Tim Staffel die Band Smile gegründet, die über semiprofessionellen Status jedoch nicht hinauskam: Außer einem Auftritt als Joe Cockers Support-Act in der Royal Albert Hall und einer Single-Veröffentlichung in den USA tat sich nicht viel. Nach heftigen Streitereien verließ Staffel das Trio schließlich im Sommer des lahres 1970.
Und dann kam Freddie. Zuvor hatte er sich schon mit seiner eigenen Band Wreckage erfolglos versucht. Erst als er bei seinem Freund Taylor einstieg, fand der am 5. September 1946 als Frederick Bulsara in Sansibar geborene Showman seine Rolle als schillernder Agent provocateur. Der Band den Namen Queen zu geben, das englischen Schimpfwort für Homosexuelle, war nur der Anfang. Mercury gefiel sich immer mehr in der Rolle des eitlen, effektheischenden Selbstdarstellers und erschuf für sich eine Kunstfigur des Rock’n’Roll-Helden. „Immer wenn ich auftrete“, gestand er in einem Interview, „spiele ich eine Rolle, einmal die des Machos, einmal die der Primadonna. Ich sah dabei früher ziemlich lächerlich aus, aber es hat funktioniert.“ Wie geschmiert, könnte man meinen. Über die Jahre verkauften Queen weltweit über 130 Millionen Alben. ‚Made In Heaven‘, das 23. Album der Band, wird sicherlich auch kein Ladenhüter werden.
Queen war eine magische und gleichzeitig explosive Mischung aus vier zusammengewürfelten Genies. Neben Showman Mercury stand Brian May, der eigentlich Astronom werden wollte, dann aber mit seiner „Gitarrensoundologie“ Fans und Experten überraschte: „No Synthesizers“ stand auf den Plattenhüllen, weil keiner glauben wollte, daß der Queen-Sound nur aus modifizierten Frequenzstrukturen von Mays selbstkonstruierten Gitarren und der Overdrive Power seines Vox 40 Amps stammen sollte. John Deacon, Queens Bassist, war neben den beiden Stars Mercury und May eher der Unauffällige, der ruhende Pol der Band – und gleichzeitig einer der wichtigsten Songschreiber von Queen. Mit ‚You’re My Best Friend‘, ‚Spread Your Wings‘, ‚Another One Bites The Dust‘ oder ‚I Want To Break Free‘ schrieb Deacon einige der größten Hits der Band. Roger Taylor, Schlagzeuger der Truppe, entpuppte sich als Allround-Talent. In ‚News Of The World‘ spielte er die Gitarren- und Bassparts der von ihm geschriebenen Stücke selber, und Hits wie ‚Radio GaGa‘ und ‚A Kind Of Magic‘ stammen von ihm. Doch mit dem nahenden Tod des theatralischen Frontmanns wurde zunehmend klar, daß mit Mercury auch Queen sterben würde.
Das Ende hatte sich schon lange vorher angekündigt -— fünf Jahre vor Mercurys Tod mit dem Song ‚Who Wants To Live Forever‘. Als Mercury im Jahr 1991 die Regie zum Video ‚I’m Going Slightly Mad‘ führte, verbarg er seine schon weit fortgeschrittene Krankheit hinter verfremdeten Schwarzweiß-Bildern und dickem Bühnen-Make-up. Roger Taylor heute: „Es war die perfekte Tarnung.“ Zwei der Songs von ‚Innuendo‘, jenem Album, das Anfang 1991 erschien, deuteten auf den nahen Tod des Sängers hin: ‚The Show Must Go On‘ und ‚These Are The Days Of Our Lives‘ markierten Mercurys Abschied von seinen Fans. Brian May: „Das war Freddies Good Bye.“ Eines der letzten Telefonate Mercurys, der seine Fans am Ende eines späten Videos wissen läßt, daß er sie immer noch liebt (‚I still love you‘) ist ebenfalls überliefert: „Ich will die Welt nicht verändern. Für mich ist Glück das Wichtigste auf der Welt. Wenn ich glücklich bin, spiegelt sich das in meiner Arbeit wider.“