Prügelknabe
Motorradfahren sei ihm wichtiger als Filme zu drehen. Nichtsdestrotrotz ist Mickey Rourke in den nächsten Wochen gleich mit zwei Filmen auf der Leinwand vertreten: Als Franz von Assisi mimt er in "Franziskus" einen eher untypischen Charakter. Die Rolle des geprügelten Boxers in "Homeboy" kommt seinem Naturell da schon eher entgegen...
Echte Männer werden keine Schauspieler. Lokomotivführer vielleicht – nein, auch nichts mehr, ist doch die Ruß- und Schweiß-Romantik ins Museum verbannt. Fußballer wäre nicht schlecht, oder Rennfahrer. Noch besser: Boxer. Da spielt all das eine Rolle, was einen echten Mann ausmacht: Mut, Wut und Blut.
Mickey Rourke wollte kein Schauspieler werden. Das beeilt er sich, bei jeder Gelegenheit zu erklären. Manchmal entschuldigt er sich regelrecht für seinen Beruf. Stolz sei er wirklich nicht darauf.
Mickey Rourke wollte Boxer werden. In Miami, wo er mit Mutter und Stiefvater aufwuchs, trainierte er ein paar Jahre, teilte Schläge aus und steckte ein. Vielleicht trainierte er nicht genug, wie er heute glaubt, vielleicht hatte er irgendwann einfach die Schnauze voll. Mit 22 Jahren ließ er den Ring hinter sich, ging nach New York und nahm Schauspielunterricht.
15 Jahre später kehrt der Kämpfer zurück – und alle sollen zusehen. „Homeboy“ heißt der Film über einen Boxer, dessen Birne bereits weichgeklopft ist, als er das erste Mal ins Bild kommt. Rourke spielt die Rolle, von ihm stammt die Story, er wählte Macher und Mitspieler. Christopher Walken, der den windigen Manager mit Drang zum nervösen Kleinkriminellen mimt, wurde von Rourke schon 1979 auf eine Mitwirkung angesprochen. Damals standen beide für Michael Ciminos Desaster „Heaven’s Gate“ vor der Kamera, dem zweiten Film in Rourkes Karriere (Spielbergs „1941“ war der erste). Rourkes Rolle fiel komplett den verzweifelten Kürzungen der United Artists-Bosse zum Opfer.
Schlechte Voraussetzungen, um einen „sehr persönlichen Film“ (Rourke) wie „Homeboy“ durchzusetzen. Das sollte sich ändern.
Aus Rourkes wiederbelebten Boxerträumen wurde kein „Rocky“ und kein „Wie ein wilder Stier“. Michael Seresin, dessen Arbeit als Kameramann bei „Angel Heart“ Rourkes Wertschätzung fand, sorgt bei seiner ersten Regiearbeit für schöne Bilder. Die Figuren werden von ihm aber ebenso sich selbst überlassen, wie vom Drehbuch. Was zählt, ist die Wir-verstehen-uns-ohne-große-Worte-Gestik der eingeschworenen Boxer- und Biker-Gemeinde. Für Emotionen sorgen die Tränen über vergangene Zeiten und Chancen und die schon beinahe aufgegebene Suche nach wahrer Freundschaft und Liebe. Dazwischen drehen sich Karrusselpferde in der Abenddämmerung vor einem menschenleeren Strand.
„Homebov“ hat also alle Qualitäten, die auch den durchschnittlichen Peter Maffay-Song ausmachen – nur keine rechte Story. Wahrscheinlich kommt Rourke damit auch durch, hat er sich doch spätestens seit „Barfly“ als begabter Selbstdarsteller etabliert. Die Frage an „Homeboy“ lautet deshalb nicht: Wie gut ist Rourke? sondern vielmehr: Wie stellt er sich diesmal an?
„Es klingt seltsam, aber Mickey liebt es, wenn er angegriffen wird“, erklärt „Hombeboy“-Produzent Allan Marshall, denn „das bringt ihn in Schwung. Unter Druck arbeitet er auch besser.“ Wer angegriffen wird, der muß sich verteidigen. Angegriffen wurde Mickey Rourke auf dem Festival in Cannes im Mai. Dort stellte er den Film vor, in dem er Franz von Assisi darstellt, der seinen ganzen Reichtum verschenkte, um sich Gott zuzuwenden. Und wie steht’s um Ihren Reichtum?, wollte ein Journalist wissen. Rourke erwiderte, daß er einen Teil seiner Gage Organisationen in Nordirland zukommen habe lassen. Die britischen Boulevardblätter stempelten ihn tagsdarauf zum IRA-Sponsor.
Selbst wenn Mickey Rourke von keinem Menschen angegriffen wird, scheint er sich noch als Prügelknabe zu fühlen. Sein Bedürfnis, sich zu rechtfertigen ist immens. Ob es für seine Freunde von den Hell’s Angels ist, für seine Bodyguards mit Vorstrafenregister oder für seine zehnjährige Ehe mit Debra Feuer, deren Karriere er in „Hombeboy“ auf die Sprünge helfen will, von der er aber getrennt lebt.
Mickey Rourke, 35, gehört nicht in die Reihe gleichaltriger Kollegen wie Tom Hanks, Michael Keaton oder William Hurt. Schon gar nicht gehört er zu den jüngeren und voll austauschbar gebliebenen Gesichtern des sogenannten Brat Packs, mögen darunter auch bessere Schauspieler sein. Eher taugt Grimasseur Jack Nicholson zum Vergleich.
Teddybär-Knopfaugen, sparsam dosiertes Mona Lisa-Lächeln im unrasierten Underdog-Gesicht, stets drei Schritte hinter dem Tempo des Films herhinken und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, über dem Ganzen zu stehen – da hat einer seine Form gefunden. Mickey Rourke spielt Franz von Assisi‘, das klingt so wie Mickey Mouse erobert den Kampfstern Galactica‘ und warum auch nicht? Mickey Rourke wollte nie Schauspieler werden. Das hat er ; mittlerweile auch nicht mehr nötig.