Die da oben

„Princess of Gloss“: Wie es Kim Petras als erste Trans-Sängerin an die Spitze der US-Charts schaffte


Im Land des Graubrots gilt die Pop-Prophetin nichts – anderswo ist Kim Petras umso beliebter. Die aktuelle Hitparaden-Kolumne von Julia Lorenz.

Wenn ein deutscher Popact im Ausland erfolgreicher ist als in Deutschland, spricht das nicht selten sehr für den Popact. Als etwa Tokio Hotel von brünftigen Rocktraditionalisten aus den Mittelstufen des Landes noch böse als Weicheiband verarscht wurden, brachte ihre androgyne Extravaganz die Massen in den USA und Japan zum Ausflippen. Auch Kim Petras wurde zu Beginn ihrer Karriere etwas attestiert, das wohl nur Produzenten in Deutschland als ernsthaften Makel empfinden: Ihre Musik sei „zu sehr Pop“, um erfolgreich zu sein.

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Also ging Petras an den Ort, an dem man gar nicht Pop genug sein kann – nach Los Angeles nämlich. Mit dem Selbstbewusstsein einer Frau, die schon als Teenager nicht verstehen konnte, warum sie kein Star ist, schlug sie sich durch diese Stadt, die normalerweise nicht unbedingt auf junge Bonnerinnen ohne Geld und Kontakte wartet, und veröffentlichte 2019 ihr Debütalbum CLARITY.

Die Geburt eines Teenidols ganz neuer Art

Es war, wenn man so will, die Geburt eines Teenidols ganz neuer Art. Denn zum ersten Mal im Fernsehen zu sehen war Petras schon im Alter von 13 Jahren, als sie bei „Stern TV“ über ihre geschlechtsangleichende Hormonbehandlung erzählte. Rund zwei Jahrzehnte später hat sie etwas geschafft, das niemandem vor ihr gelungen ist: Als erste transgeschlechtliche Sängerin stand sie mit Sam Smith und dem Song „Unholy“ an der Spitze der US-Charts, in Deutschland reichte es immerhin für die Top 5 und einen MTV European Music Award.

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Anders als Künstler*innen wie Arca und SOPHIE inszeniert sich Petras nicht als dezidiert queerer Popstar, sondern als mehr oder minder klassische Teenpop-Kariesbombe. Sound und Stimme der „Princess of Gloss“, wie die „New York Times“ sie einmal nannte, sind eisteesüß und kühl; selbst im unheilvoll dunklen, sexy verschleppten „Unholy“ strahlt Petras eine Zuckrigkeit aus, in die immer ein wenig Gift eingebacken ist. In Deutschland mag man seine Popstars lieber graubrotig. Aber das kümmert Petras, die Überfliegerin, die nun so sehr Pop sein darf, wie sie immer sein wollte, schon lange nicht mehr.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 01/2023.