Preis für Popkultur: Blond und die doppelte Nina
Der Herbst der Awards geht weiter. 1.000 Gäste kommen ins Colosseum Filmtheater und erleben einen bewegenden Abend
Am Donnerstagabend (23. November) ist im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg zum siebten Mal der Preis für Popkultur verliehen worden. Award-reiche Wochen nehmen damit ein vorläufiges Ende.
Rund 1.000 Gäste müssen zuvor durch den „Blade Runner“-artigen Regen huschen. Einigermaßen trocken geföhnt, ließ man dann im historischen Kinobau Colosseum an der Schönhauser Allee die popkulturelle Kuh fliegen.
Es ist an Sebastian Zabel, Chefredakteur der deutschen Ausgabe des ROLLING STONE, das Laudatio-Fass aufzumachen. In der erklärungsbedürftigen wie hochnotwendigen Kategorie „Gelebte Popkultur“, eine Auszeichnung für engagierte Macher, gibt es die erste Auszeichnung. Es gewinnt die c/o pop aus Köln, die nach dem Dahinsiechen der Popkomm seit 20 Jahren wertvolle Grassroots-Arbeit im römischen Teil Deutschlands leistet, die schon lange weit über ein April- oder Mai-Wochenende im Trend-Stadtviertel Ehrenfeld hinausgeht.
MUSIXEXPRESS-Redakteurin Hella Wittenberg stellt den Gewinner-Act in der Kategorie „Lieblingsbands“ vor. „Es gibt diese Bands, die alles überdauern. Ich rede jetzt nicht von Mitgliederwechseln, neue Platten-Deals und musikalische Neufindungen im Wandel der Zeit“, sagt Wittenberg. „Ich meine die Gruppen, die so ganz nah an uns dran sind; sich fest bei uns im Herzen eingenistet haben. Die wir vielleicht schon als Poster im „Jugendzimmer“ hatten, jetzt stolz auf Shirts und Caps durch die Gegend tragen und die Special-Vinyl-Editionen gut einsortiert im Schrank haben.“
Und damit hat Sie recht: „Und auch wenn die Partner:innen wechseln – diese eine Band bleibt.“ Und auf das Siegertreppchen steigt: Die Band Provinz.
Man staunt: beim „Preis der Popkultur“ werden also auch Künstlerinnen und Künstler prämiert, die draußen im Lande bekannt sind. Leicht zu bemängeln ist die „Berlin-Lastigkeit“ des deutschen Award-Herbstes. Dass Provinz aus dem oberschwäbischen Örtchen Vogt in der Nähe der Puzzle-Spiel-Metropole Ravensburg die Kategorie „Lieblingsband“ für sich entscheidet, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Jury doch sehr zwischen Kotti und Charlottengrad unterwegs ist. Hier wäre ein wenig mehr Forschergeist auch außerhalb Berlins zu wünschen.
Nun nimmt die Kinosaal-Sause Fahrt auf. Radio-Eins-Legende Silke Super, die seit 12 Jahren beim RBB für Ahnung im Äther sorgt, verteilt die Trophäe im Suchgebiet „Lieblingsalbum“. Super betont, dass sie auch in Zeiten der Playlisten an die Dramaturgie der „Langrille“ glaubt. Das „*innen“ bei den Ansagen geht den meisten Medien-Profis mittlerweile locker vom Hocker über die Lippen. Und auch sonst ist man zwar woke, aber auch latent lustig.
Die Wahlberliner Maryam.fyi etwa sagt bewegende Worte zur Situation im Iran, insbesondere über die Rolle der Frau dort, und holt sich langanhaltende Standing Ovations. Damit unterscheidet sich der weitgehend frei finanzierte „Preis für Popkultur“ vom neuen „Polyton“, der alles anders machen will, und bei seinem Debüt in einer Event-Location in Tempelhof doch eher für Verwirrung gesorgt hat.
Positiv bemerkbar macht sich im Colosseum die weitgehende Abwesenheit der Politik. Keine gestanzte Sonntagsreden von irgendwelchen Bundestags-Menschen, die dann mit dem Fahr-Service zum nächsten Grüß-August-Termin düsen.
Gewinnerin des Abends ist eindeutig die Berliner Erfolgs-Rapperin Nina Chuba, die in gleich zwei Kategorien abräumt. Silke Super öffnet den Umschlag für Chubas Album „Glas“ Die rappende Sängerin ist auch „Lieblingskünstlerin“, das „*in“ schließt männliche Crooner dabei keineswegs aus.
Der „Lieblingssong“ geht an das Berliner Urgestein Peter Fox mit seinem „Zukunft Pink“ (feat. Inéz). Das „Lieblingsvideo“ namens „Lächel doch mal“ geht an Shirin David. Der „Hoffnungsvollste Newcomer“ geht an das Duo Blumengarten, die innerhalb von zwei Wochen gleich drei Auszeichnungen einheimsen. Man darf gespannt sein, wie sich diese Vorschusslorbeeren auf die weitere Karriere des Duos auswirken wird.
Es gibt sogar einen inhaltlichen Link zum „Polyton“-Award, mit den „Produktionslieblingen des Jahres“. Die Gewinner Suena & Lucry haben mit „Polyton“-Performer Herbert Grönemeyer an dessen neuer Single „Kaltes Berlin“ geschraubt.
Zurecht geht die „Beeindruckendste Liveshow“ an das Chemnitzer Trio Blond mit ihrem Releasekonzert des Albums „Perlen“. Damit wäre dann auch die ehemalige DDR mit einem Award vertreten.
Für 2024 sei den Machern und Macherinnen ans Herz gelegt, alle Poly-Preise dieser Welt doch einfach wieder zusammenzulegen. Vielleicht ja im Preis für Popkultur? Das spart Zeit, Nerven und letztlich auch die Penunsen der Steuerzahler.
GEWINNER*INNEN PREIS FÜR POPKULTUR 2023
Lieblingskünstler*in:
Nina Chuba
Lieblingsband:
Provinz
Lieblingsproduzent*in:
Suena & Lucry
Lieblingsalbum:
Nina Chuba – Glas
Lieblingssong:
Peter Fox – Zukunft Pink (feat. Inéz)
Lieblingsvideo:
Shirin David – Lächel doch mal
Hoffnungsvollste*r Newcomer*in:
Blumengarten
Beeindruckendste Liveshow:
Blond – Perlen (Album Releasekonzert)
Gelebte Popkultur:
20 Jahre c/o pop Festival