Pop-Elite in deutschen Studios
Deutsche Aufnahmestudios bekommen immer öfter Besuch aus dem Ausland. Glamour-Star Marc Bolan war vor zwei Jahren der Erste, der zu Plattenaufzeichnungen nach Deutschland kam. Nach dem T.Rex-Einstand im Münchner ‚Musicland‘-Studio vertraute sich wenig später auch Eric Burdon einem deutschen Toningenieur an. Dieter Dierks übernahm in seinem Studio in Stommeln bei Köln die Aufnahmeleitung für einige Tracks der Animals-LP „Stop“, die gerade hier veröffentlicht wurde. Ende 1973 feierten sogar die Rolling Stones ihren Einzug in ein deutsches Tonstudio. Im Münchner ‚Musicland‘ entstand das Album ‚It’s Only Rock’n’Roll‘, und seitdem rollen die Steine immer häufiger in Bayern ein.
Durch die Zusammenarbeit mit der ‚härtesten Gruppe der Welt‘ geadelt, entwickelte sich das Münchner Super-Studio zum Treffpunkt der internationalen Rock-Elite.
Uriah Heep und die Faces nahmen im ‚Musicland‘-Studio ihre letzten Alben auf, und Gruppen wie Deep Purple und T. Rex gehören zu den ständigen Gästen.
Jon Lord, Eberhard Schoencr und ihre Begleiter Tony Ashton, Pete York, David Coverdale und Glenn Hughes arbeiteten hier an der Abmischung ihres Rock/Klassik-Werkes mit dem Münchener Kammerorchester, und Richie Blackmore bereitete in denselben Räumen seinen Alleingang mit ‚Rainbow‘ vor. Während sich Paper Lace zur Aufnahme einer Single einen Tag im Münchener ‚Union‘-Studio einmietete, inszenierte ME das Treffen von Marc Bolan und Donovan im ‚Musicland‘, und zuletzt machten auch Sweet einen Abstecher dorthin.
Ist es ein neuer Trend, in Deutschland zu produzieren? Sind unsere Studios und Toningenieure mittlerweile besser als ihre ausländische Konkurrenz?
Mick Jagger winkt ab: „Alle wirklich guten Studios auf der ganzen Welt haben inzwischen den gleichen hohen Standard. Es gibt da kaum noch Unterschiede. Deshalb können wir uns auch gut etwas Abwechslung gönnen. In einer neuen Umgebung kommen einem auch viel eher neue Einfälle. Außerdem sind wir auswärts viel ungestörter. Da gibt es weniger geschäftliche Reibereien und private Probleme.“
Durch das Beispiel von Jagger & Co. ermuntert, kamen später die Stones-Freunde Faces ins ‚Musicland‘, und auch die ganze Purple-Familie weiß die Abwechslung zu schätzen – schließlich ist München eine Weltstadt mit attraktivem Freizeit-Angebot. David Coverdale hat hier seine derzeitige Freundin kennengelernt, und fragt man Glenn Hughes danach, warum er so gerne – nicht nur zu Plattenaufnahmen – in München ist, so erhält man prompt die Antwort: „Wegen dem Bier und den Weibern!“ Richie Blackmore allerdings würde seine Platten lieber in Hamburg einspielen. „Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl, und die Hansestadt mag ich besonders“, grinst Richie, „aber dort gibt es kein so gutes Studio wie das Münchner ‚Musicland‘.“ Daß es für LP-Aufnahmen außerhalb der englischen und amerikanischen Grenzen auch handfeste finanzielle Gründe gibt, wissen viele Gruppen schamhaft zu verschweigen.
Erst Marc Bolan enthüllte im Frühjahr bei seinem zweiten Aufenthalt im Münchner ‚Musicland‘ die wahren Gründe, warum englische Rockgruppen so gerne und oft in deutsche Studios gehen.
Bolan: „Wir können kaum noch in England produzieren – aus Steuergründen. Zu Hause müssen wir für alle Produktionskosten von der Studiomiete bis hin zu den Honoraren für die Sessionmusiker hohe Steuern zahlen – das Finanzamt kassiert bis zu 98 Prozent …“ Kein Wunder, daß viele englische Rockstars auswandern – auch zu Plattenaufzeichnungen. So haben sich neben Pink Floyd und Roxy Music auch David Bowie und UFO nach den Arbeitsbedingungen in deutschen Studios erkundigt. Und in diesen Tagen ist nach der neuen Formation von Deep Purple auch wieder ein alter Bekannter zu Gast im Münchner ‚Musicland‘ – der unvergessene Ex-Purple-Sänger Ian Gillan produziert sein erstes Solo-Album.