Pop Art


In einer Kölner Galerie wurde unlängst eine Ausstellung eröffnet. Nichts Ungewöhnliches-ließen nicht die Namen der Künstler aufhorchen: Wolfgang Niedecken und BAP-Kollege Manfred "Schmal" Boecker. Die malenden Musiker sind indes gar nicht so rar, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Von John Lennon bis zu Amanda Lear, von den jungen Wilden bis zu den alten Milden - der Seitensprung zu Pinsel und Airbrush-Pistole ist für viele Musiker ein willkommenes Ventil.

Seine Motive findet Commander Cody meist in Musik und Medien: Countrysänger Gene Autry (o.), Komiker Lenny Bruce. Mick Jagger und “ Colombo“ Peter Falk, der „Tom Waits unter den Detektiven“. Seine Materialien sindAcryl und Latex, Pinsel und Airbrush.

Commander Cody

George Frayne, seßhaft in Kalifornien, verdiente sich als „Commander Cody“ vor allem in den 70er Jahren musikalische Meriten. Der Lehrer für Design, Malerei und Bildhauerei hatte die Akademiker-Laufbahn an den Nagel gehängt, um sich ganz der Rockmusik zu widmen. Inzwischen kann er beide Kanäle seiner Kreativität harmonisch miteinander verbinden:.. Malerei ist für mich Therapie. Wenn ich ständig über Musik und das Business grübeln würde, wäre ich heute ein Wrack.“

John May all John May all, gelernter Dekorateur und Werbe-Grafiker, holte mit seiner Gruppe The Bluesbreakers einige der heute prominentesten Rockmusiker ins Rampenlicht: Eric Clapton, Jack Bruce, Peter Green, Mick Fleetwood.. .Seit über einem Jahrzehnt lebt der 51jährige Engländer in Los Angeles und beschäftigt sich gleichermaßen mit Musik und Malerei, wenn auch mit unterschiedlichem Ansatz: “ In der bildenden Kunst hast du die totale Kontrolle: Musik dagegen kommt aus dem Bauch und erhält ihren Reiz gerade aus der Unberechenbarkeit.“ – Das Porträt von Jazz- Trompeter Dizzy Gillesie (o.) entstand bereits 1957.

tat Stevens Eine kindliche Naivität hat sich Cat Stevens (I. ein Selbstporträt) im Malen als auch im Musizieren zu bewahren versucht. Bekannt wurden seine Zeichnungen als Cover-Illustrationen der eigenen Platten (u. „Teaser And The Firecat“). Heute lehnt der gläubige Moslem Musik und Malerei als Irrweg ab.

David Bowle

Daß er nicht nur musikalische, sondern auch schauspielerische Ambitionen hat, ist inzwischen hinlänglich dokumentiert. Weniger bekannt hingegen ist die Tatsache, daß David Bowie gelegentlich auch zu Öl und Leinwandgreift. Links ein Porträt seines Freundes Iggy Pop, dessen neues Album er auch gegenwärtig produziert.

Joni Mitchell

Oft sind es Musikerfreunde, die Joni Mitchell (o. ein Selbstporträt) zu ihren Aquarellen und Ölbildern inspirieren. Das Bild von Jackson Browne in einem Waschsalon in New Orleans malte die ehemalige Kunststudentin 1982 nach einer Fotovorlage.

Illustrationen zu eigenen LPs sind das nächstliegendste Betätigungsfeld für jeden Musiker mit malerischen Ambitionen. Einige Beispiele (v.l.): Captain Beefheart, Joni Mitchell. Der Pyrolator, John Lennon. La Loora. Gene Loves Jezebel und Commander Cody.

Picasso als Popstar? Dali als Acid-Rocker, Gauguin als Gitarrist? Eine bizarre Vorstellung! Die Genannten waren zuallererst Maler. Sonst nichts!

Was aber mit den Doppeltalenten, die in kreativer Vielweiberei zwischen den Musen hin und herpendeln? Sind das Königskinder, von der Natur zweifach beschenkt, oder artistische Nomaden, die – ist eine Weide abgegrast – , flott zur nächsten weiterziehen? Brauchen sie für ihr „Genie“ zwei oder für ihr Mittelmaß mehr als ein Medium?

Nun, eine schlüssige Antwort auf diese Fragen wird es nicht geben. Nimmt man die Popularität als Skala für einen kritischen Richterspruch, dann sind die Zeitgenossen, von denen hier die Rede sein wird, in erster Linie Musiker – und erst in zweiter Maler, Grafiker, Bildhauer, Fotografen.

Das aktuellste Beispiel für den Zwitter-Typus des Maler-Musikers stellt die Kölner Erfolgsgruppe BAP. Sänger und Texter Wolfgang Niedecken und sein Perkussionskollege Manfred „Schmal“ Boecker haben unlängst eine Ausstellung mit ihren „Tagesbildern“ eröffnet. Daß die beiden von der Malerei kommen, seit 1970 zusammen an der Staffelei stehen, gemeinsam ein Atelier benutzten, gemeinsam an der Kunstschule studierten und Examen machten, dürfte vielleicht bekannt sein.

Neu ist allerdings, daß sie auch bei ihrer Arbeit mit Pinsel und Leinwand Gemeinsamkeit demonstrieren. Der alte Mythos vom einsamen Maler ist einem modernen Teamgeist gewichen: „Ich kenne den Schmal seit etwa 16 Jahren“, sagt Niedecken, „und in dieser Zeit haben wir ungefähr sechs Jahre zusammen gewohnt. Das war manchmal so verdreht, daß ich seine Ideen ausgeführt, und er meine Ideen gemalt hat. Insofern wäre es schon reichlich albern, wenn wir die Bilder getrennt signiert hätten. Die ‚Tagesbilder‘ sind die Überprüfung der Behauptung, daß unsere Gehirne parallel laufen.“

Die Teamwork-Praxis im Bereich der bildenden Kunst ist für die Kölner Kunst-Zwillinge nicht neu. In den vergangenen Jahren haben sie größere Projekte zusammen realisiert – die „Wunschbilder“ und die „Was ist Kunst?“-Aktion. „Genau wie die Tagesbilder war auch das jeweils ein Jahres-Projekt, bei dem wir uns mit Kunstvorstellungen, wie sie beim Normalbürger existieren, auseinandergesetzt haben.“

Im Gegensatz zu den Wunschbildern, wo der Kunstbetrachter quasi auf Bestellung sein Lieblingsmotiv malen lassen konnte, handelt es sich bei Klaus Voormann Der frühere Grafiker kam zur Musik wie die Jungfrau zum Kind: Seine Freundin schleppte ihn 1962 in den Hamburger Star-Club, wo eine Gruppe mit dem Namen Beatles spielte. Man freundete sich an, Klaus malte das REVOLVER-Cover und lernte, Baß zu spielen. Das nebenstehende Bild ist für Voormann, der heute vorwiegend als Produzent (Trio, J. Witt u.a.) arbeitet, alles andere als typisch: Er wollte nur die Airbrush-Pistole testen, die sich ein Freund zugelegt hatte.

Ken Wood Ebenfalls aus der Grafiker-Zunft stammt der Stones-Gitarhst. Seine Motive holt ersieh meist aus dem Freundeskreis: Neben Porträts von Mick Jagger und Keith Richards findet sich da auch der verstorbene Komiker John Belushi. Für sein Selbstporträt saß Wood vier Stunden vor dem Spiegel.

den Tagesbildem um eine Art gemaltes Tagebuch.

Gibt es, so fragt man sich (nicht nur) anläßlich des BAP-Beispiels, einen direkten Weg von der Musik zur Malerei? Ist es wirklich der reine Zufall, daß in jeder dritten Künstler- oder Bandbiografie der Hinweis auf irgendeine Kunstschule, aus der die Musiker hervorgegangen sind, zu finden ist?

Vor allem in England war und ist-die Art School Brutstätte unzähliger Musikgruppen. Die Rolling Stones, die Kinks, die Beatles – ein oder zwei Mitglieder kamen direkt aus dem Musentempel in den Probenraum. Keith Richards z.B., der Früh-Beatle Stuart Sutcliffe, Ray Davies und Ron Wood.

Eine ganz typische Karriere machte der frühere Small Faces – und heutige Stones-Gitarrist. Ursprünglich wollte er Bühnenbildner werden. Da es in den Filmstudios jedoch kaum Jobs gab, verdingte er sich als Schildermaler. Aber auch das Interesse an der Gebrauchsmalerei ließ schnell nach, denn „mit Musik konnte man viel mehr Geld machen.“ Wood, der die Cover seiner Soloalben mit Zeichnungen oder Selbstporträts dekoriert, sich dann und wann in der Täte Gallery von alten und neuen Meistern inspirieren läßt, will sich später, wenn er fürs harte Rock’n’Roll-Dasein nicht mehr fit genug ist, verstärkt um die Malerei bemühen.

Wie Wood war auch Blues-Altstar John Mayall Gebrauchsmaier, Grafiker, Dekorateur. Aber anders als der Stone, der die Herstellung von Bildern und Songs für „ziemlich ähnlich“ hält, will Mayall wissen, „daß man beim Malen viel mehr Kontrolle hat. Das Erregende an der Musik ist, daß man nie genau weiß, wohin es geht. Beim Zeichnen bin ich es, der das Bild Stück für Stück zusammensetzt. Beim Musizieren entsteht etwas durch den Austausch mit den anderen. Das halte ich für wesentlich stimulierender.“

Die wohl berühmteste Cover-Illustration stammt von einem Deutschen: Klaus Voormann. Auf Wunsch der Beatles zeichnete er das Cover von REVOLVER.

Voormann, dessen zeichnerische Karriere am siebten Geburtstag mit einem Wassermalkasten begonnen hatte, besuchte die Meisterschule für Grafik und Buchgewerbe, die Meisterschule für Mode, dann Arbeit für „Hör Zu“ und andere Magazine. Und dann kam der Rock’n’Roll: Paddy, Klaus und Gibson, Manfred Mann Band, Session-Bassist, Trio-Manager.

Voormann, der in seiner amerikanischen Zeit für Ringo Starr, George Harrison, John Lennon, Harry Nilsson und Randy Newman in die Saiten griff, meint zu dem Unterschied zwischen Musik und Malerei: “ Wenn ich spiele, geschieht das meist auf einer unbewußten Ebene. Ich höre und fühle, was die anderen tun, und reagiere darauf.

Beim Zeichnen ist das ganz anders. Da hat man alles selbst in der Hand. Doch trotz des Unterschiedes glaube ich, daß ein Künstler jedes Gefühl ausdrücken kann, egal ob mit der Gitarre oder dem Pinsel …“

Diese Meinung teilt nicht jeder. Denn wozu sollte ein Musiker malen wollen, wenn er mit seinem eigentlichen Instrument dasselbe – und dasselbe vielleicht besser – ausdrücken kann?

George Frayne, Bachelor of Science, Master of Fine Arts, Hochschullehrer, Bildhauer und Commander Cody-Sänger und Pianist, sah seine Malerei stets als „Therapie. Das ist meine Art, Probleme zu bewältigen. Wenn ich den ganzen Tag rumsitzen müßte und über Musik und das Business grübeln würde, wäre ich längst ein Nervenbündel.“

Andere haben die Musik als Ausgleich, Zeitvertreib oder Hobby. Relativitätstheoretiker Albert Einstein war, so wird überliefert, ein exzellenter Geiger, und Urwalddoktor und Bach-Kenner Albert Schweitzer konnte selbst in Lambarene nicht von seinen Orgelstudien lassen.

Doch nirgendwo scheint das Hin und Her so verbreitet zu sein wie in der Musik-Branche. Miles Davis malt seine Cover ebenso wie Captain Beefhart, David Bowie porträtiert Iggy Pop, Amanda Lear stand nicht nur Dali Modell, sondern hantiert auch höchstselbst mit Öl und Farbpalette. Das RELICS-Cover stammt aus der Feder von Pink Floyd-Drummer Nick Mason. John Lennon verpackte WALLS & BRIDGES in einer Kinderzeichnung und ließ sich von Yoko Ono zu erotischen Lithographien anregen. John Entwhistle, ausgebildeter Musiktheoretiker, karikierte seine Mitspieler auf THE WHO BY NUMBERS. Bob Dylan, Syd Barrett, Herman Brood, Mitch Ryder, Albert und Markus Oehlen, La Loora-Frontmann Split, Thomas Fehlmann von Palais Schaumburg – sie alle haben mit mehr oder weniger Erfolg eine krative Ergänzung an der Staffelei gesucht.

Daß die Doppelbegabung viel Mittelmaß hervorbringt, wer würde das bestreiten. Anderenfalls wäre Miles Davis wohl nicht als Maßstäbe setzender Trompeter, sondern als Maler von Strichmännchen berühmt geworden. Oder Robert Zimmermann hätte als Van Gogh Amerikas Karriere gemacht und nicht als Bob Dylan.

Schon oft hat man beobachten können, daß Künstler ihrem Medium entfliehen. Singende Schauspieler, schauspielernde Sänger, malende Dichter, dichtende Maler- es scheint so, als würden die Herrschaften in kreativen Dürrezeiten einfach die Seiten wechseln. Kein Bock auf Songschreiben? Malen wir halt!

Daß aber ein künstlerisches Doppelleben auch mehr sein kann als Haupt- und Nebenbegabung, dafür steht etwa Joni Mitchell. Musik und Malerei haben in ihrem Fall immer aufeinander ausgestrahlt. „Als ich noch meine Fantasie- und Rokoko-Bilder malte, war auch meine Musik voller Könige und Königinnen, voller verspielter Adjektive und Ornamente.

In dem Moment, wo meine Zeichnungen einfacher und direkter wurden, wurde auch meine Musik einfacher. Ich nutzte gerade Rhythmen und kräftige Dur-Akkorde. Auch als ich beim Malen die Farben entdeckte, hatte das direkte Auswirkungen auf meine Songs. Ich kolorierte hier wie da. Der Saxofonist Tom Scott übernahm die Funktion von rot und grün, während ich mit meiner Stimme und meiner Gitarre die schwarz-weißen Linien zeichnete.“

Schon die Verwandtschaft des Vokabulars, das man bemüht, will man Musik und Malerei beschreiben, nährt die Vermutung, daß die beiden Medien wie Bruder und Schwester, wie Vetter und Kusine zueinander stehen. Man spricht von Klangund Stimmfarben; man konturiert einen Song mit einer Gitarrenlinie; man koloriert ein Lied mit Pianotupfern, man überzeichnet, karikiert, färbt. Musik also als klingende Malerei und Malerei als Sinfonie in Tönen?

So einfach ist es gewiß nicht. Geht man von dem Motto des Medien-Philosophen Marshall Mc Luhan aus, dann hat der jeweilige Künstler gute Gründe, entweder Gitarre oder Pinsel in die begnadete Hand zu nehmen. Niedecken und Schmal sagen übereinstimmend, daß für sie „beides gleichermaßen wichtig ist.“

Der doppelte Musenkuß – eine feine Sache! Über die Resultate mag man als Außenstehender geteilter Meinung sein und es mit dem alten Delacroix halten: „Talent does whatever it wants to do. Genius does only what it can.“

Für diejenigen unserer Mitmenschen indes, die sich künstlerische Kreativität auf die Fahne geschrieben haben, mag der Austausch zwischen den Disziplinen befruchtend, folgerichtig, wenn nicht gar existentiell notwendig sein. Wie sagte der Wiener Foto-Realist Heinwein:

„Malerei muß sein wie Rockmusik.“