Popkolumne, Folge 202

Pogendroblem: Ohne diese Band kannst du 2022 vergessen


Eine der aufwühlendsten Punkbands der Stunde heißt komisch und kommt aus Köln. Von ihr stammt der markante Slogan: „Keine Freiheit für neuen deutschen Männerschweiß“. Pogendroblem legen außerdem ein Faible für Hits und Utopien an den Tag. Linus Volkmann widmet ihnen die aktuelle Popkolumne. Okay, ein Gastauftritt von Christiane Rösinger ist auch drin.

Pogendroblem, das sind Benta, Georg, Lauritz und Frieder. In den Zehner Jahren ging es los für sie, die erste Platte erschien dann 2018, hieß „Erziehung zur Müdigkeit“. Zeit verging, mit Benta kam eine neue Schlagzeugerin dazu und Pogendroblem veröffentlichten eine viel beachtete Szene-Doku namens „Auf der Suche nach der Utopie“.

Nun erscheint ihr erstes Album auf einem größeren Label. Audiolith aus Hamburg gibt die Platte mit dem Schlangentitel „Alles was ich noch habe, sind meine Kompetenzen“ heraus. Darauf offenbaren Pogendroblem fürs Hauruck-Genre Punk eine ziemliche Reflexionstiefe. Das soll aus diesem schlauen Album aber kein Soziologie-Seminar mit Uffta-Uffta-Beat machen. Bei Pogendroblem möge man sich ihre Gewitztheit mit akademischem Swag einfach als Mehrwert vorstellen, den die Band manch anderen aktuellen Punk-Acts voraushat.

Foto: Leon Woermann

Dieses Plus wirkt sich zum Glück nicht negativ auf die energetische Musik aus. Die klingt immer noch roh, unmittelbar, hektisch. Bei einem Live-Auftritt in Köln, bei dem die vier als Vorgruppe von Team Scheisse aufliefen, habe ich mich total in ihren Song „Wie betäubst du dich?“ verknallt. Seitdem gedieh der Wunsch, mit dieser hochinteressanten Band auch mal ein Interview zu führen. Dies ist jetzt geschehen. Love my life beziehungsweise hier ein Auszug aus dem Talk.

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Eure erste Platte „Erziehung zur Müdigkeit“ stammt aus dem Jahr 2018. Ich hatte die damals wahrgenommen, aber sie hat mich eher kalt gelassen. Ich hielt euch für eine von vielen Bands, die irgendwann mal in das Turbostaat-Fass gefallen sind – und deren Art zu texten und Songs zu schreiben, nie wirklich darüber hinauskommt. Dieser Vorbehalt hat sich für mich nun komplett aufgelöst. Auch wenn ihr euch musikalisch sicher nicht um 180 Grad gedreht habt, ist die Magie für mich jetzt eine ganz andere. Welche Entwicklung hat die Band genommen?

FRIEDER: Ein großer Unterschied ist natürlich erstmal, dass wir nicht mehr gezwungen sind, die neue Platte im Keller unseres Bassisten aufzunehmen.

GEORG: Ich könnte da bestimmt ein langwieriges Resümée ziehen, aber sag du doch lieber erstmal, Benta…

BENTA: Was soll ich sagen, ich war vorher noch nicht dabei. Und kann nur sagen, ich habe mir die Band nicht angehört, bevor ich eingestiegen bin.

Da hätte doch auch eine böse Überraschung auf dich lauern können.

BENTA: Stimmt, aber ist am Ende ja alles ganz okay gelaufen. [lacht] Mein Eindruck jedenfalls: Pogendroblem ist mit der Zeit ein wenig poppiger geworden, möglicherweise liegt das auch an meinem Einfluss.

GEORG: Uns hat es zu Anfang viel Zeit gekostet, Teil einer DIY-Punkszene zu werden, denn wir kommen alle eher aus Suburbs, aus der Peripherie und sind erst zum Studieren nach Köln gezogen. Das war die Zeit, in denen auch der Aufstieg der AfD stattfand, was uns sicher sehr politisiert hat. Aber wir waren eben noch sehr jung und befanden uns noch auf Erkundung. Uns ging es viel ums Rumfahren, um den Austausch mit anderen Bands und Szenen. So war bei dem Debüt-Album „Erziehung zur Müdigkeit“ noch viel Zufälliges dabei. Für mich setzt der Paradigmenwechsel an, als wir uns irgendwann entschieden hatten, einen Antrag bei der Initiative Musik einzureichen. Die nehmen überhaupt keinen Einfluss auf die Musik, aber es bleibt nicht aus, dass man bei sowas seine eigenen Ziele definiert, dass man Promo-Pläne baut und sich so dann zwangsläufig auch die eigene Herangehensweise ans Veröfentlichen von Musik wandelt. Mit der Förderung ging eine Professionalisierung einher, die bei uns bewirkt hat, dass wir von einer Kellerband zu einem Act auf dem Label Audiolith geworden sind. Und inhaltlich hat sich genauso viel getan, wir haben den Blick geöffnet für andere Themen – und dass Benta eingestiegen ist, das hat auch viel verändert.

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Ein ganz zentrales Projekt ist euer Doku-Kurzfilm „Auf der Suche nach der Utopie“. Ein sehr beherztes Mosaik, das nach den Träumen in der eigenen Subkultur fragt. Wie kam es dazu?

GEORG: Das war damals vor allem das Projekt von mir und Lauritz [Bass] – und es kam ziemlich „konzepty“ daher, also mit angeschlossenem Bildungsmaterial zum Thema Utopie und sowas. Den Aufhänger zu all dem weiß ich gar nicht mehr genau. Uns hat immer schon die Punkszene und die Cuteness von all diesen verstreuten DIY-Räumen berührt. Zu der Zeit war Utopie ein ziemliches Buzzword – und der Film wollte sich damit auseinandersetzen, dass der Linken, also nicht der Partei, unterstellt wird, sie besäße gar keine Utopie mehr. Zusammen mit unserer Platte „Ich – Wir“ stand am Ende dann ein ziemlich konzeptionelles Werk.

Und welche Utopien sind hängengeblieben für euch durch dieses Projekt?

GEORG: Ich habe aus der Sache seinerzeit auch meine Masterarbeit gemacht und mir deshalb alles wirklich sehr genau angeschaut. Meine These ist, dass Punk eine utopische Praxis sein kann. Eine Praxis, die gut darin ist, Räume zu bespielen und zu öffnen, auf dass man eine andere Art des Fühlens darin lernen kann. Das klingt jetzt vielleicht ziemlich emo, aber mir ist aufgefallen, dass viele Befragte im Film große Begriffe wie Anarchismus, Kommunismus oder Identitätspolitik benannt haben. Aber immer wenn danach dann konkreter gefragt wurde, sind sie geswichted und haben letztlich Emotionen beschrieben. Gute Vibes, ein Gefühl von Empowerment und so. DIY-Punk kann also bestenfalls Orte schaffen, die diskriminierungsarm sind und sich möglichst weit dem kapitalistischen Alltag entheben. In der Form kann Punk tatsächlich utopische Praxis sein.

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Ihr habt vorab den Song „Lass dein Shirt an“ veröffentlicht – mit unter anderem dem Slogan „Keine Freiheit für neuen deutschen Männerschweiß“. Die Diskussionen darüber, wie sich oberkörperfreie Macker und gewaltfreie Räume in die Quere kommen, ist in der autonomen Punkszene schon älter. Aber euer Stück hat dennoch ganz viel Staub aufgewirbelt. Viele Typen fühlen sich auf den Schlips getreten.

BENTA: Die Vehemenz der Reaktionen hat uns auch überrascht, da merkt man wieder, wie sehr man in Bubbles lebt. In denen gibt es dann Dinge, die keiner Diskussion bedürfen und plötzlich gehst du mit so einem Thema in „die echte Welt“ und alle regen sich unfassbar auf.

GEORG: Für uns ist es ein wichtiges Thema, dass Rücksicht vor der Bühne genommen wird und dass dort nicht nur halbnackte Typen beim Pogo zum Zug kommen. Dazu machen wir auch regelmäßig Ansagen bei Konzerten, aber auf die Gefahr hin, dass das auch mal vergessen werden könnte, haben wir dieses Lied geschrieben. Das kann man live gut vorweg stellen. Und weil wir gar nicht dachten, dass das so eine Resonanz erzeugt, ist der Take des Songs auch ziemlich goofy: Lass dein Shirt an, damit die Leute die geilen Parolen darauf lesen können? Das schrammt ja schon an einem Dad Joke vorbei und unsere Sorge vorab war eher, dass es als nicht radikal genug verstanden wird. Die Welle, die das jetzt schlug, hat uns völlig überrascht.

„Ärger ist auch eine Form von Aufmerksamkeit“, sagt Milhouse in einer Folge der Simpsons. Facht ihr den PR-Boost, der in dieser Empörung von vielen Alt-Punks schlummert an oder wollt ihr das lieber klein halten?

GEORG: Wir haben auf der Seite vom Plastic Bomb, bei denen das Video Premiere hatte, vielen Kommentarschreibern auch was geantwortet und bei Instagram ein Sammelpost gemacht mit einer Auswahl der besten Reaktionen auf das Stück. Es ist sicher nicht unser Hauptkonzept, Öl ins Feuer zu gießen, aber dieser Schlagabtausch im Netz war einfach auch lustig und nicht ernst zu nehmen. Klar kam da auch persönlicher Hate gerade gegen mich als Sänger auf, aber es hat uns in der Form nicht wirklich treffen können.

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„Alles, was ich noch habe, sind meine Kompetenzen“ von Pogendroblem ist am 18. November 2022 bei Audiolith erschienen. Jüngste Singleauskopplung ist das von der Band gemeinsam geschriebene Stück „Wiedersehen“.

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Und nun zu etwas völlig anderem (Christiane Rösinger)

„Was jetzt kommt“ (Ventil Verlag)

Wisst ihr, Leute, Popmusik kann man auch mal ganz metaphysisch schätzen. Einfach tanzen, Beats durch sich durch strömen beziehungsweise die eigene Stimmung verstärken lassen – sei sie euphorisch oder auch melancholisch. Völlig legitim. Aber ganz unter uns: Mir persönlich sind Songtexte einfach beschissen wichtig. Gerade bei deutschen Acts geht es mir auch um‘s Hinhören und ich werde dementsprechend wütend, wenn es mal wieder bei einem Radiosender hinter vorgehaltener Hand heißt, man wolle am liebsten nur Lieder spielen, deren Texte nicht beim Bügeln stören. Ich sag, wie es ist: Keine Ehre, Radio-Ottos, wenn das eure (automatisierte) Playlisten-Praxis ist. Denn es gibt unzählige Musiker*innen, in deren Worte man einfach eintauchen möchte, da sage ich nun wirklich nichts Neues oder Revolutionäres.

Dieses Bedürfnis versucht der popaffine Ventil Verlag aus Mainz nun mit einer neuen Buchreihe zu triggern. Hey, bei mir hat es auf jeden Fall geklappt. Schließlich geht es hier vornehmlich um Lyriker*innen des hochproduktiven Indie-Segments und man muss sich nicht am Gesamtwerk von, was weiß ich, Wolfgang Niedecken oder Silbermond abarbeiten.
Nein, „Ausgewählte Songtexte“ wühlt in der blühenden Nische, in der sich heimliche Stars wie Bernd Begemann und Carsten Friedrichs (Superpunk, Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen) befinden. Oder eben auch Christiane Rösinger, einst Lassie Singers oder Britta oder eben auch solo. Ihre bunte, aber nie grelle Sprache ist dabei ebenso reichhaltig wie die tausend Alltagsthemen, denen Rösinger immer wieder eine neue Emotion oder originellen Twist abzuringen weiß.


Das Buch dazu stellt dabei mehr als nur wild zusammenkopierte Lyrics aus, man hört Rösinger selbst über ihre unterschiedlichen Bandprojekte sprechen und ein nerdiges Glossar entziffert diverse rätselhafte Wendungen oder Anspielungen aus den Texten. Was zum Beispiel ist eine „Quarterlifecrisis“ und worauf bezieht sich bei Britta der Claim „Ich bin zwei Öltanks“?

Hier finden sich neben Rösinger-Klassikern wie „Mein zukünftiger Ex-Freund“ oder „Die Pärchenlüge“ natürlich noch ganz viele Stücke, bei denen man nicht sofort den Refrain singt statt liest. Diese nun über ihren Text (neu) zu entdecken und dann nachzuhören – genau das macht den Reiz des Kompendiums aus.

Wer sich überdies auch für das Konzept Weihnachten interessiert, der sei hiermit darauf hingewiesen: Dieses Buch kann man bestimmt auch super verschenken. Make Rösinger fame (again)!

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One Larifari: Paulas Popwoche im Überblick

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Leon Woermann
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