Im Plattenschrank von Carl Cox: Die Lieblingsalben des Techno-DJs
Mit über 60 ist das britische Powerhouse immer noch auf Sendung.

Ob in der Haçienda, auf Ibiza oder im House of Commons – es gab in den letzten 40 Jahren kaum eine legendäre Party, auf der Carl Cox nicht aufgelegt hätte. Zum Album ELECTRONIC GENERATIONS und für die ME-Ausgabe 11/22 gewährte er uns Einblick in seine heilige Plattensammlung.
Über Funk und die frühen Entwicklungen des HipHop gelangte Carl Cox zum Techno. In den Neunzigern machte sich der Engländer vor allem über Mixe und Remixe einen Namen, bevor 1996 sein Debütalbum erschien. Ein Markenzeichen von Carl Cox als DJ ist, mit drei statt zwei Plattenspielern aufzulegen. In dem Kultfilm über die britische Rave-Szene „Human Traffic“ ist er außerdem in der Rolle des Clubbesitzers Pablo Hassan auch als Schauspieler zu sehen. Cox feierte in diesem Sommer seinen 60. Geburtstag.
Jean-Michel Jarre – OXYGÈNE (1976)
Carl Cox: Ich weiß noch, wie ich damals im Plattenladen stand und dieses verrückt aussehende Album sah. OXYGÈNE, PT. 1, PT. 2. Seltsam! Wieso macht man ein Album, das aus verschiedenen Parts besteht? Ich dachte: „Hä? Genial!“ Dieses Album ist legendär, auch weil Jarre damit die Live-Electronic-Shows erfunden hat. Es ist ein kontinuierlicher Mix, der dich auf eine Reise mitnimmt, wie ein Filmsoundtrack ohne Film. Wenn sich die junge Generation das heute anhört, mit ihren kurzen Aufmerksamkeitsspannen, geht das wahrscheinlich so (singt die Titelmelodie): „Dü düdü düüdü – nein, okay, das mag ich nicht. Interessiert mich nicht, dazu kann ich kein TikTok machen.“ (lacht laut) Die wissen nicht, was sie verpassen.
The Police – SYNCHRONICITY (1983)
Als ich zum ersten Mal The Police gehört hab, war ich mir sicher, dass die schwarz sind. Der Gesang war Reggae: Schwarz. Die Bassline (singt Bass nach): eindeutig Schwarz. Und die Drums, okay, die hätten weiß, grün oder was auch immer sein können, aber: tight! Und als ich sie dann sah, war ich so: What? Drei weiße Typen? Außerdem klingt der Sound so fett, als wären mindestens zehn Leute in der Band. Das Geniale war, dass sie Reggae mit Pop vermischt haben, ein einzigartiges Cross-Over. SYNCHRONICITY liebe ich, weil es so chaotisch ist. Von „Mother“, was einfach nur Vocals über Gitarre legt, bis zu „Every Breath You Take“ – eine echte Pop-Sensation!
Das war gleichzeitig ihr letztes Album als Band. Wie stehst du zu Stings Solo-Sachen?
Als sie sich getrennt haben, war ich echt traurig. Dann kommt Sting um die Ecke und singt über Bäume, den Mond und die Sterne und redet über Tantra-Sex. Da war ich dann so: „Nee Leute, ich bin raus, schönes Leben euch noch!“ (lacht) Aber The Police: Liebe ich!
Diana Ross – DIANA (1980)
Niemand klingt wie Diana Ross. Und sie ist so divenhaft – bei ihrer Show auf dem Glastonbury dieses Jahr kam sie mit dieser Perücke und einem weißen Kleid raus, erster Song: „I’m Coming Out“. Dieser Track hat schon damals alle umgehauen. Ich meine, auf dem Album sind nur acht Tracks und daraus sind sechs Hits geworden – was für eine Bilanz!
Incognito – JAZZ FUNK (1981)
Incognito – oh mein Gott! Die haben letzte Woche auf meiner Geburtstagsparty zum Sechzigsten gespielt. Damals, als Jazzfunk-Musik von UK-Bands der heiße Scheiß war, bin ich denen mit meinen Kumpels im Bus hinterhergereist. Ihr erstes Release war „Parisienne Girl“. Dazu hab ich mir den Arsch abgetanzt. Ihre Musikalität ist unerreicht, alle sind so in synch, entspannt, aber der Funk, die Energie, der Jazz – Incognito bleiben einer meiner absoluten Lieblings-Jazzfunk-Bands. Neben Bands wie Breakfast Club, High Tension oder Light Of The World natürlich. Diese Coverversionen von „Always There“, „Nights Over Egypt“ – die können einfach alles. Ich würde mich schämen, wenn ich sie hier in dieser Liste nicht erwähnt hätte.
Carl Cox – AT THE END OF THE CLICHÉ (1996)
Dein erstes Studioalbum. Wie kam es dazu?
Ich dachte damals, ich hab echt viele Remixe gemacht und meine Ideen und meinen Sound anderen Leuten gegeben. Es war an der Zeit, dass ich selbst Produzent wurde. Auf diesem Album hab ich alles selbst gemacht, Songwriting, Arrangement, alles. Außer die Zusammenarbeit mit Dieter Meyer von Yello. Ich hatte damals einen Remix von „L’Hotel“ für Yello aufgestellt – und ihn in ein Trance-Monster verwandelt. Im Gegenzug durfte ich ihr Studio benutzen. Also reiste ich zu ihnen in die Schweiz. Ich dachte: „Wie bin ich denn hier gelandet – mit diesen Typen?“ Weil die so großartig sind! Wir haben einen Track namens „Musky“ geschrieben. Den hab ich eben noch mal gehört, um mich an den Sound zu erinnern, weil das so lange her ist. Und er klingt großartig. Die Streicher, die Energie – da hört man die Fusion aus Yello und meiner Musik. Ich kam da an und die Ideen flossen nur so aus uns heraus. Der Titeltrack „Phoebus Apollo“ (singt Vocals) war sehr trancy und wurde im UK ein großer Hit.
Klingt sehr smooth für ein erstes Album.
Der Albumprozess war trotzdem nicht einfach, weil das Album auf einem Majorlabel namens Edel Records rauskam. Die hatten Chartshits in ganz Europa rausgebracht und wollten dasselbe mit mir machen. Aber ich hatte keine Lust auf den Ausverkauf. Ich wollte nicht ins Radio und Millionen von Platten raushauen. Ich hab mein Herz und meine Seele in diese Platte gesteckt, um eine künstlerische Erzählung zu schaffen, so wie ich es wollte. Und am Ende haben sie das auch respektiert.
Laurent Garnier – UNREASONABLE BEHAVIOUR (2000)
Laurent Garnier ist einer deiner Wegbegleiter, ihr habt häufig zusammen aufgelegt. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Ich kenne Laurent, seit er ein Kind war. Als ich ihn das erste Mal traf, dachte ich, Laurent sei aus Manchester, weil er den Akzent so perfekt drauf hatte. Und dann erzählt er mir, dass er aus Paris nach England kam, um dort zu spielen. Und ich so: „Wer zur Hölle bist du?“ (lacht) Laurent hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie er die Musik fühlt und wie sie gehört werden soll. Er will nicht nur zwei Stunden spielen, sondern fünf. Das geht mir genauso! Ich hab in ihm einen Seelenverwandten gefunden. Dieses Album ist wahrscheinlich das Beste, was er jemals rausgebracht hat. Als „The Man With The Red Face“ rauskam, war das ein definierender Moment für ihn. Das Stück dauert ewig, zehn Minuten oder so. Das ist 22 Jahre alt und klingt so frisch. Er war wirklich seiner Zeit voraus.