Plattenschrank


Wer erwartet hätte, die Folkrock-Halbgötter FLEET FOXES könnten eine Vorliebe für Musik der 60er und 70er haben - der liegt richtig. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs der musikalischen Neigungen von Songwriter/Frontmann Robin Pecknold und Keyboarder Casey Wescott. Beim Musikfachsimpeln mit den beiden haben wir zudem ein schönes neues Wort gelernt: „Unfuckwithable u . was das heißt?

The Zombies ODESSEY AND ORACLE (1968) Robin: Das ist meine persönliche Lieblings-60s-Psychedelic-Pla:te. Viel besser als SGT. PEPPERS. Jeder Song… Casey: Wer Song … Robin: Jeder einzelne Song ist absolut verblüffend. Jeder Song basiert auf einer tollen Idee, musikalisch und textlich. Jeder einzelne Song hat einen textlichen Dreh, dreht sich um Themen, die man sonst eher selten hat in Popsongs. Der erste Song ist zum Beispiel ein Brief aus dem Gefängnis. Und klar, die Musik, die Harmonien. Der Hit „Time Of The Season“ ist sogar der Song, der mir am wenigsten am Herzen liegt auf der Platte. Der ist ganz anders als der Rest des Albums, im Grunde fehl am Platz. Die Platte wird ja seit ein paar Jahren als „verlorener Klassiker“ gehypet, und ich bin immer eher skeptisch bei Sachen, die als „Klassiker“ gelten. Wie bei Filmen. Alle reden auf einen en,“Was, du hast ,Der Pate‘ noch nicht gesehen? Du musst den anschauen! ,Der Pate‘ ist der beste Film ÜBERHAUPT!“ Drum habe ich lange Jahre den „Paten“ nicht gesehen, weil ich dachte, das sei eben so ein typischer „guter Film“. Und als ich ihn dann endlich sah, dachte ich nur: „Verdammt nochmal, dieser Film, ist ja der Hammer!“ Weil er wirklich einzigartig und originär ist. Aber diese Platte kanntest du schon vor dem Hype darum und hast sie ganz unvoreingenommen gehört? Robin: Ja. unvoreingenommen. Was ja immer das Beste ist. (dreht das Cover in den Händen) Ich mag nur das Cover nicht besonders. Aber das ist schon das Einzige. Casey: Was ich an der Platte auch mag, ist, dass es sich so natürlich anhört, wie sie spielen. Man könnte sich vorstellen, dass die das genau so live spielen. Die Spielweise und die Ideen, das fühlt sich alles sehr echt und natürlich an.

Bob Dylan BRINGINGITALLBACK HOME (1965) Robin: This is thejam. Das ist genau meins. Meine Lieblingsplatte von Dylan. Die und vielleicht … BLOOD ON IHK TRACKS. Und die Liveplatte von der Albert-Hall-Show von 1966. Das sind die, die ich am meisten höre. Bei HIGHWAV61 REVJS1-TED ging’s dann los mit volle Kanne Acid-Trip-seltsame-Bluesigkeit-Durchgedrehtheit. Das hier ist die Platte direkt davor. Die ist auch schon ein bisschen schräger und eigenartiger als seine ganz frühen, aber sie ist immer noch hauptsächlich akustisch und … Ich liebe sie einfach. Ich liebe „Gates Of Eden“. Und „It’s Alright Ma“. Ich hab sie zum ersten Mal mit 13 gehört, mein Vater hatte sie, sie lag bei uns zu Hause rum. Sie ist einfach perfekt und geht ungerechterweise oft ein bisschen unter. Alle reden immer von HIGHWAY 61 und BLONDE ON BLONDE. Und ich muss sagen, BLONDE ON BLON-DE tut mir gar nicht so viel. Das hier ist die Dylan-Platte, die sich für mich gesund und heilsam anfühlt. Die mich als ganzer Mensch fühlen lässt. Haha! Ja, doch, so gut ist die!

Radiohead KID A (2000) Robin: KID A ist bei Weitem meine liebste Radiohead-Platte. Es ist ihre beste. Casey: Dem schließe ich mich absolut an. Wie sie schon losgeht, mit diesem Keyboard-Sound. Was sie auf dieser Platte klanglich gemacht haben, hat für meine Begriffe echt Maßstäbe gesetzt. Und wie der Sound mit dem Songwriting verflochten ist, fand ich einfach unglaublich. Wie sie gleichzeitig etwas völlig Neues wagten und doch eine gewisse Songform und Melodien behielten – aber diese so weit ausdehnten und abstrahierten. Außerdem samplen sie in „Idioteque“ einen meiner Lieblingskomponisten, Paul Lansky. (siehe „Laderampe“‚, S. 58) Wart ihr vor KID A auch schon Fans? Casey: Ich hatte OK COMPUTER. Ich stand nicht so sehr auf THE BENDS. Das Gitarren-Ding hat mich bei Radiohead nie so gefesselt. Robin: Ich mag THE BENDS nicht. Gut, mir war klar, dass sie besser war als PABLO HONEY. und dass OK COMPUTER ein riesiger Fortschritt war nach THE BENDS. OK COMPUTER ist toll. Aber die hier höre ich mehr als jede andere Radiohead-Platte. This is, like, thejam. Die hier und AMNES1AC, die sind ja irgendwie Zwillingsalben. Diese zwei machen für mich Radiohead aus. It’s ivhat ma.de Wem unfuckwithable.

Casey: Wenn man mit Sounds experimentiert, kann es leicht passieren, dass Musik herauskommt, die sehr, sehr schnell veraltet. Weil man die State-of-the-art-Technologie seiner Zeit verwendet.

Der Moog-Synthesizer auf „Because“ von den Beatles ist ungefähr der einzige Moment in ihrem ganzen Katalog, der entschieden antiquiert wirkt.

Robin: Genau. Casey: Und diese beiden Alben — wie zum Beispiel auch das RICHARD D. JAMES-Album von Aphex Twin – halten sich dermaßen gut über die Jahre. Ich finde, das machen immer noch sehr wenige Musiker: darauf zu achten, Sound-Klischees zu vermeiden und die Technologie maßvoll und weise einzusetzen.

Pink Floyd MEDDLE (1971) Lasst uns von Radiohead direkt weitergehen zu Pink Floyd. Sie würden es lieben. Robin: MEDDLE. Meine liebste Pink-Floyd-Platte. Lieber als DARK SIDF. OF THE MOON. Nicht so ein Riesenstatement. Pink Floyd haben tolle Platten gemacht, aber auch gleich immer solche Monumente. Casey: Da hängt oft einfach zu viel zusätzliches Gewicht mit dran. Eine Stärke, die DARK SIDE OF THE MOON wirklich hat, ist: Es ist ein Album, ein geschlossener Block Musik, der zusammengehört und als Album gehört werden sollte. Robin: Und MEDDI.l- ist die Platte, die man einfach auflegen und genießen kann.

Ohne gravitätischen Ballast. Robin: Genau. Jeden Tag DARK SIDE … hören ist, wie wenn man jeden Tag den Grand Canyon besucht. Das ist einfach ein bisschen viel, (lacht) MEDDLE ist im Vergleich dazu ein Spaziergang im Park. Aber ein sehr ansprechend gestalteter Park.

Judee Sill JUDEE SILL (1971) Robin: Judee Sill ist mein Lieblings-Singer/Songwriter aus den 70ern. Sie hat zwei Alben gemacht mit insgesamt 23 absolut großartigen Songs. Casey: In viel von ihrer Musik hört man so was wie geistliche Musik, Kirchenmusik. In ihrem Melodiegefühl steckt viel von dem drin. Und textlich … Ein Song wie „Jesus Was A Crossmaker“, mit diesem gospeligen Piano und diesem Text – das ist fast so etwas wie agnostische geistliche Musik. Weißt du, was ich meine? Und wie dieser Song dann die Absurdidät von gewissen religiösen Paradigmen offenlegt — es ist echt schwer, so etwas in einem Song so konkret zu machen, ohne dass es dann allzu clever-clever rüberkommt. Und wie sie das anstellt, finde ich einfach unglaublich. Sie behandelt solche schwierige Themen auf eine wirklich einzigartige Weise. Robin: Für mich persönlich würde ich sagen: Je später die 70er Jahre, desto weniger interessiert mich die Musik. Mal grob gesagt. AnJudeeSill finde ich so besonders, dass man das Gefühl hat, sie schreibt gewissermaßen Standards. Vergleichbar vielleicht mit Randy Newman: Da war ein zeitgenössischer Songwriter, der Songs schrieb, die – zumindest was die Musik angeht – auch in den 1920ern hätten entstanden sein können. Die zapfen da so was Zeitloses an. Und das ist so verdammt schwierig als Songwriter. Casey: Und ihre Stimme ist einfach perfekt, alle ihre Performances, auf allen Songs.

Harry Nilsson NILSSON SINGS NEWMAN (1970) Was ist besser an Harry Nilssons Versionen von Randy-Newman-Songs als die Originale von Randy Newman? Ich habe ein paar Songs davon gehört und frage mich: Will ich Randy-Newman-Songs hören, gesungen von einem richtigen Sänger?

Robin: Oh ja, das wirst du wollen, das wirst du! Haha! Casey: Ich habe grad vorhin „Vine St.“ gehört – von dem es auch eine Version von Van Dyke Parks gibt. Wie Nilsson es interpretiert… Harry Nilsson ist ein großartiger Interpret, wie ein Übersetzer. Er macht sich die Songs zu eigen, als kämen sie von ihm. Robin: Er war ein besserer Sänger, als er ein Songwriter war, und sah das offenbar auch selbst so. Er hat ja ganze Alben mit Coverversionen gemacht. Randy-Newman-Covers. Tin-Pan-Alley-Songs. Für A LITTLE TOUCH OF SCHMILSSON IN THE NICHT hat er Frank Sinatras Streicher-Section engagiert, und sie haben eine Platte rausgejammt. Er sagte mal darüber: Es war die letzte Platte, wo meine Stimme noch in Topform war, da wollte ich diese Klassiker aufnehmen. Casey: Wirklich? Das wusste ich gar nicht.

Robin: Ich mag diese Platte und die Songs, die er ausgewählt hat. Auch so ein Album wie MEDDLE: kein grandioses Statement, sondern eine Platte, mit der man zusammenleben kann.

Und was ist mit Randy selbst?

Robin: Von ihm habe ich SAH. AWAV. Und die mag ich, aber … Ich stand auf Harry Nilsson, bevor ich Randy Newman kennenlernte. Und als ich Randy dann mitgekriegt habe, war es über seine Songs für Disney-Filme …

Oh nein!

Robin: … und das war vielleicht nicht der beste Einstieg.

Bob Dylan & The Band THE BASEMENT TAPES (1975) Robin: Meine Lieblingsplatte von The Band ist THE BASEMENT TAPES. Da singt Dylan einen ganzen Haufen, aber auch Levon Helm und die anderen.

Ich habe letztens den Film „Festival Express“ und darin erstmals The Band allein spielen gesehen, ohne die ganzen Gastmusiker in „The Last Waltz“. Und ich habe erstmals RICHTIG kapiert, wie großartig die waren.

Casey: Jeder von denen hat zu den Songs beigetragen, und du spürst jeden dieser Beiträge in jedem der Songs — der Keyboarder zum Beispiel macht ständig lauter ungewöhnliches, überraschendes Zeug. Und dann hat ja auch noch jeder seine eigenen Songs geschrieben … eine unglaubliche Gruppenleistung. Und sie haben alle sehr spezielle, interessante Stimmen.

Und vier von fünf Bandmitgliedern singen! Wie bei dieser anderen Band, den Fleet Foxes. Wie wichtig ist euch der Gesang bei Musik? Ich schätze mal: sehr.

Robin: In der letzten Zeit haben wir uns gegenseitig immer viel aufmerksam gemacht auf Musik mit irgendwie tollen, ungewöhnlichen, abgefahrenen Harmoniegesängen. Klar. Das kommt mit der Musik, die wir machen. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich immer und überall Harmoniegesänge brauche. Nimm zum Beispiel BRINGINC IT ALL BACK HOME. Wenn auf „It’s All Over Now Babv Blue“ und „Maggie’s Farm“ vierstimmige Gesänge wären — ich fand’s bescheuert. Es ist nicht so, dass Harmoniegcsänge irgendetwas besser machen oder dass ich etwas lieber hören will, wenn Harmoniegesänge dabei sind. Es kommt da wirklich auf den Kontext an. ODESSEY& ORACLE wäre zum Beispiel viel weniger interessant ohne die Gesangsharmonien. Weil die zu dem Universum gehören, das diese Platte aufbaut.

Dungen TA DET LUGNT (2004) Robin: Oh mein Gott. Die sind die beste Band überhaupt.

Oho. Die beste überhaupt?

Robin: Von allen neuen, aktiven Bands sind Dungen so ziemlich meine Favoriten. Sie haben den größten sentimentalen Wert für mich. Ich höre sie mehr als alle anderen. Der Bandname bedeutet „Wäldchen“, der Plattentitel „take it easy“. Ich finde sie dermaßen großartig, auch wie sie als Band vorgehen. TA DET LUGNT ist Psychedelic-Musik, aber nicht soft wie ODESSEY& ORACLE, sondern eher schroff und rau. Es klingt wie Musik aus irgendeiner seltsamen schwedischen Fernsehshow aus den 60s oder 70s, wie ein Soundtrack, mit wiederkehrenden Melodien und komplexen Songfolgen. Und auf der Platte danach haben sie dann was ganz anderes gemacht. Das war nicht „Ta De Lugnt 2“, sondern diesmal zehn sehr eigenständige, abgezirkelte Songs. Und auf der neuen Platte namens 4 vom letzten Jahr: Jazz! Zum größten Teil ohne Gesang, durch die Bank Klavier und mit dem Besen geschlagene Drums – aber dazu dann noch crazy bratende Gitarren. Die lassen sich auf keinerlei Regeln ein. Diese Platten sind absolut nicht vorhersehbar, da gibt’s nichts Offensichtliches. Er (Dungen-Chef Gustav Ejstes; Anm.) folgt einfach seinen Impulsen. Zu der Platte vor der neuen gab’s keine Interviews und Konzerte, weil er zu dieser Zeit gerade dann aufging, HipHop-DJ zu werden, und sich darin vertiefte, zu lernen, wie das geht. Und für die Platte vor der nahm er Unterricht bei so einem schwedischen Meister-Geiger. Das war seine Freizeitbeschättigung: Bei diesem Meister-Geiger die Geige studieren. Absolut großartig. Der Typ spielt kein Spiel mit, der hat keine Agenda. Er macht einfach, was er will. Und das ist grandios.