Pech in der Liebe


...und auch kein Glück im Spiel: Virginia Jetzt! waren die Band, die sich nicht mehr spürte. Gottlob gibt es noch die Provinz. Die packt dich und stellt dich wieder richtig herum hin.

Thomas Dörschel, der Songschreiber und Kopf von Virginia Jetzt!, grinst, während er das sagt: „Wir haben uns alle vier von unseren Freundinnen getrennt.“ Im Hintergrund läuft „Why Does It Always Rain On Me?“ von Travis. Mathias Hielscher, der Bassist, rutscht ein Stück auf seinem Stuhl nach vorn, bevor er mit konspirativem Unterton spricht: „Wir wurden getrennt, so müssen wir das doch immer sagen!“ Und dabei grinst auch er. Nehmen die uns auf den Arm?

Dabei war die Frage nach dem Was-ist-denn-eigentlich-passiert? doch absolut berechtigt. Lange hatte man von der Kapelle aus Berlin nichts gehört. Das Album Anfänger war bereits zwei Jahre alt, als im Spätsommer 2006 ein neues Lebenszeichen gesendet wurde: eine EP mit dem etwas undurchsichtigen Titel BITTE BLEIB NICHT, WENN DU GEHST. Sie Stand im ziemlich krassen Gegensatz zu allem, was wir bisher von Virginia Jetzt! kannten, wer hat angst VOR Virginia jetzt (2003) und Anfänger (2004) hattender Gruppe das Etikett „Mädchenband“ verschafft (Aber Jungs, wer möchte eigentlich nicht in einer „Mädchenband“ sein?!). Ihre Songs waren ausgesprochen gefühlsbetonte, in die Liebe verliebte Indiepopsongs mit wenig „lndie“ und viel Pop – und wurden deshalb nicht selten als „Schlager“ verunglimpft.

Doch mit ihrer späten Spätsommer- EP hauten sie den Mädchen wie den Jungen plötzlich ein Rockbrett um die Ohren. M it einer Wut und einer Verzweiflung, die man von dieser Band nicht kannte, schreit der Titelsong die Gefühle eines Menschen hinaus, der gerade eine tragische Trennung hinter sich hat… Was heißt da „Alle Trennungen sind tragisch!“ ?! „Das Schlimmste, was es gibt, ist nicht, dass man sich trennt – sondern sich trennt, obwohl man sich liebt“, heißt es in dem Song. Und der Song hat Recht.

Die EP war der Vorbote zum dritten Album land unter, das zuweilen noch düsterer und verzweifelter, ver allem aber erwachsener klingt als Virginia Jetzt! bisher. Was also ist passiert? „Es sind einfach zweieinhalb Jahre vergangen“ ‚, sagt Mathias. „Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Dinge verändern. Ein Kollege hat mal gesagt, seine Band sei noch zu jung, um sich zu wiederholen. Das trifft auch auf uns zu, zumindest, was die Musik betrifft. UnddieTexte… „Thomas unterbricht ihn: „Da ist das Gleiche anwendbar. Es ist nicht interessant, ein Thema noch mal aus dergleichen Perspektive zu betrachten. Deswegen hat es diesmal einen anderen Kontext, es ist ernster… Beim letzten Album war mir wichtig, dass bei all den Stücken, die auch schon von Schmerz und Trennungsängsten handelten, immernoch ein Stückchen Hoffnung, ein Ausweg zu sehen war. Das wurde jetzt unerheblich.“

Gar keine Hoffnung mehr? So weit war es mit Thomas gekommen. So weit kam es aber auch beinahe mit Virginia Jetzt!. Schon während der Tour zu Anfänger begann eine Entwicklung, die Mathias wiederum mit dem Leben in einer Zweierbeziehung vergleicht: Die Band ist überall gemeinsam, spielt zusammen, schläft gemeinsam im Nightliner, sieht sich jeden Tag — und dann hat man sich irgendwann plötzlieh nichts mehr zu sagen. Mathias: „Man denkt ja, man muss sich gar nichts mehr erzählen, weil man sich jeden Tag sieht. Doch dann stellt man fest: Im Endeffekt sind wir viel weiter voneinander entfernt, als wir dachten.“

Als Virginia Jetzt! sich im Frühjahr 2006 trafen, um am neuen Album zu arbeiten, sahen sich Thomas Dörschel, Mathias Hielscher, Nino Skrotzki und Angelo Gräbs mit einem Problem konfrontiert, das sich in einer Band mit so gravierenden Konversationsproblemen früher oder später breitmachen muss: Ihre neuen Lieder wollten sich nicht fügen. Obwohl sich die Band vorher doch ausgiebig darüber unterhalten hatte, was geschehen soll. Die Musik sollte lebendiger klingen, die Band als Band hörbar, klarer wahrnehmbarsein, die Produktion in den Hintergrund treten.

Doch wie soll das funktionieren, wenn die Band sich selbst nicht mehr als Band wahrnehmen kann? Das Gefühl, nicht mehr fähig zu sein, gemeinsam Musik zu machen, drückte kräftig auf die Stimmung. Es gab endlose Gespräche, Diskussionen, Streitereien.

.rAngelo hat später festgestellt, dass wir in der Zeit ein fach immer zwei Stunden zu lang geprobt haben. Wir hätten viel früher Schluss machen sollen …“, sagt Mathias. tr Aberes ist ja auch gut, so was malzu erleben und zu schauen, wie man da wieder zusammenkommt.“

Der Tag, die Stunde, die Minute, in denen Virginia Jetzt! endlich „Land in Sicht!“ vermelden konnten, ist nicht dokumentiert. Aber Mathias versucht zu formulieren, wie sich das anfühlt, wenn es wieder funktioniert: „Das war so ein Moment, in dem Musik passiert, in dem man gar nicht mehr darüber nachdenken muss, Verschwitzt und glucklich – von links: Angelo Grabs, Mathias Hielscher, Thomas Dörschel und Nino Strotzki was man jetzt macht man macht es einfach, und alle haben das Gefühl, dass es das Richtige ist.“ Die Band spielte und nahm auf und erlebte letztlich sogar ihre bislang entspannteste Studiozeit.

Als lan d unter im Kasten war, zog die Band los, auf Überlandfahrt, Jugendzentren rocken. Auch für diese Idee war die „Anfänger-Tour“ ausschlaggebend gewesen: „Wenn man schon anfängt zu schwärmen, wiegeil es doch war, in Bayreuth im Glashaus vor 100 Leuten zu spielen …“, sinniert Mathias. „Wirhabengemerkt, dass es uns wichtig ist, nach dem Konzert mit den Leuten abzuhängen. Das ging aber irgendwann nicht mehr, weil die Konzerte zu groß geworden sind.“

Deshalb stiegen Virginia Jetzt! im Herbstin einen Kleinbus, fuhren durch die Provinz und spielten in Städten wie Clausthal-Zellerfeld (Oberharz), Schmalkalden (Thüringen), Künzelsau (bei Stuttgart), Ebersberg (Oberbayern) und Worpswede (bei Lüneburg). Mit einer Kamera im Gepäck, die alles für einen unterhaltsamen Videoblog festhielt, erlebte das Quartett tolle Konzerte und schöne Geschichten. Mathias: Wenn du in einem kleinen Raum spielst, und der ist voll und alle Leute explodieren und du kannst noch das Gesicht des Typen sehen, der ganz hinten in der Ecke steht, dann ist das ’ne ganz andere Energie als in einem Tausender-Laden. Du triffst auch krasse Leute, etwa den überengagierten, tiefgläubigen Juz-Typen, der dir erstmal jeden Raum und jedes Bild einzeln zeigen muss, der am liebsten noch eine Stadtrundfahrt zu seinen Eltern machen würde. THOMAS: Oder du hast Leute, denen du erstmal erklären musst, dass du Veganer in der Band hast, und die überhaupt nicht wissen, was das ist.

Mathias: Alle geben sich viel mehr Mühe, wir selbst ja auch. Wenn man den ganzen Tag so richtig bemuttert wird oder wenn man Jugendliche trifft, die 16 Jahre alt sind und den Club komplett selbst verwalten, will man denen auch etwas zurückgeben. »>www.virginia-jetzt.de tr*