Paulas Popwoche: „You can’t sit with us!“
Paula Irmschler über das „Mean Girls“-Remake, Green Day und ESC- wie auch „Barbie“-Nominierungsboykotte.
Universal will TikTok boykottieren, Musiker:innen wollen Israel boykottieren, BMG will Roger Waters boykottieren, Kim Virginia will, dass Leyla Mike boykottiert, Nicki Minaj boykottiert Megan Thee Stallion oder andersrum, Swifties boykottieren AI-Bilder, diese eine süße Person boykottiert die Idee, mir mal wieder eine DM zu schreiben, aber Leute … I wish we could all get along like we used to in middle school!
Wer boykottiert hier wen? Green Day und Trumps Amerika
Green Day haben beim „New Year’s Rockin‘ Eve“ in New York die Lyrics von „American Idiot“ geändert. Aus „I’m not a part of a redneck agenda“ wurde „I’m not a part of the MAGA agenda“.
So weit, so normal für Green Day. Das Publikum rastete eh aus, weil es nun mal ein Pophit ist. Ich dachte, nur wir Deutschen hören nicht so richtig bei den Lyrics zu, weil wir halt nur so mittelgut Englisch können, aber auch englischsprachige Menschen tun das? Anders ist das darauf folgende Überraschtsein darüber, dass Green Day gegen rechte Vollhonks sind, nicht zu erklären. Das Internet war pikiert. Sind Green Day etwa … Herrimhimmel … LINKS? Dann wurde es aber noch verrückter.
Elon Musk verlautbarte auf X: „Green Day goes from raging against the machine to milquetoastedly raging for it“ und Lara Trump warf der Band vor, nicht mehr Punkrock und Teil der „corporate political agenda“ zu sein. Reiche, rechte Heinis halten sich jetzt also für Punks, woke ist Mainstream und konservativ sein progressiv und Snoop Dogg ist Trump-Supporter und Leute, die mitgrölen, hören nicht zu und glauben, „American Idiot“ ist unpolitisch, ich pack’s nicht mehr.
Punk als Begriff bedeutet jetzt wirklich gar nichts mehr, zumindest das Wort ist tot. So be it. Immerhin, auch wenn der Neujahrsauftritt an Campino auf dem Oktoberfest erinnerte, bleiben Green Day stabil – und veröffentlichten kürzlich, 20 Jahre nach „American Idiot“, einfach wieder ein antiamerikanisches Album (SAVIORS).
Wo waren hier die Petitionen? Das Remake von „Mean Girls“
Ich war wohlwollend as fuck, ich wollte es gut finden. Nein, ich glaube nicht, dass früher alles besser war, im Gegenteil. Mein Lieblingsfilm „Mean Girls“ wird nach 20 Jahren neu aufgelegt? Als Musical? Mit Reneé Rapp als Regina George? Ich gehe sowas von rein!
Erst wollte ich einen Haufen Leute überreden, mit mir da rein zu gehen, weil es so eine große Sache für mich ist, dass es endlich diesen Film gibt. Die meisten waren aber so „Ach, ich kenne das Original nur so halb … “, während ich, ohne Übertreibung, alle Dialoge mitsprechen kann. Zum Glück bin ich dann lieber doch allein gegangen, ich hätte mich voll geschämt. Es war nämlich so öde. Leider!
Man freut sich natürlich, ein paar bekannte Gesichter wiederzusehen – Tina Fey (null gealtert) und Tim Meadows als Lehrer, die diesmal (endlich!) ein Paar sind, und natürlich Lindsay Lohan. Kann sein, dass es noch mehr Wiedersehen gab, hab ich aber vergessen. Die Besetzung ist abgesehen von Rapp und Auli’i Cravalho (als neue Janis total super) aber eher mau (Busy Phillipps als Mutter von Regina George ist perfekt besetzt, aber spielt wie alle viel zu zurückhaltend). Es wurde das Netflix-Prinzip der letzten Jahre angewendet: Hauptfigur weiß und dünn, drumherum diverse Leute, die der weißen dünnen Hauptfigur zu ihrer Selbstfindung verhelfen.
Das ganze Prinzip des ersten „Mean Girls“, der eben eine Satire auf diese weißen Queen Bees war, funktioniert hier irgendwie nicht mehr. Die Dialoge, selbst wenn sie teilweise eins zu eins aus dem ersten Film übernommen wurden, funktionieren nicht mehr, die Witze sind lame, teilweise werden die alten Witze sogar zerstört, weil sie erklärt werden, die Figuren sind nicht mehr überspitzt und drüber (wie gesagt bis auf Rapp und Cravalho). Es ist als hätte man ihnen die Luft rausgesogen.
Die Songs sind schlecht! Sie catchen null, teilweise sind sie sogar richtig peinlich. Und das sage ich als großer Fan von „High School Musical“, „Camp Rock“,„Crazy Ex-Girlfriend“ und der Musicalfolge von „Buffy“!
Aus irgendeinem Grund sind auch ständig Brüste im Bild? Ich verstehe das alles nicht, das ist nichts. Und für wen soll der Film sein? Für Nostalgikerinnen wie mich oder für die neuen Teenies? Außer mir war nur die zweite Gruppe im Film. Sie haben nie gelacht. Sie haben nur einmal gekreischt, und zwar als sie den neuen Schauspieler von Aaron Samuels sahen – ich muss googlen – er heißt, Christopher Briney, wohl bekannt aus „The Summer I Turned Pretty“.
Nee, nee. Spart auch das Geld und schaut euch stattdessen „Bottoms“ bei Prime Video an. Das ist ein total überraschender, witziger und stellenweise weirder Film mit der unglaublichen Ayo Edebiri („The Bear“) und Rachel Sennott. Zwei lesbische Freundinnen suchen nach der großen Liebe und gründen aus diesem Grund einen Fight Club an ihrer Schule.
Die Boykott-Awards
Platz 3: Ich kenne ein neues englisches Wort: snub. Snub, snub, snub, hieß es zuletzt in Online-Medien die ganze Zeit, weil Margot Robbie und Greta Gerwig keinen Oscar bekommen werden. Das muss wegen der Misogynie sein, fanden viele, und natürlich ist alles Mögliche in Hollywood wegen Misogynie. Dieses neueste Skandälchen bestimmt auch. Aber ich glaube, den „Barbie“-Film, in Kooperation mit dem Spielzeughersteller Mattel, durch den blond und jung und schlank mal wieder als herrschendes Weiblichkeitsideal an allen Orten sichtbar war (jaja, die diversen Randfiguren, ich weiß), gibt es auch wegen Misogynie. Deswegen passt das irgendwie alles, die verdienen alle einander und es passt doch auch total super, dass Ryan Gosling als bester NEBENdarsteller nominiert ist? Er hat dann auch ganz brav ein Statement abgegeben. Ist doch süß alles. Er war doch auch wirklich so super als Ken!
Platz 2: Bei diesem Preis scheint es keine inhaltlichen, sondern qualitative Bedenken zu geben. Die GrimmePreis-Nominierungen in diesem Jahr deuten darauf hin, dass es zu wenig gute Anwärter gab, hier aufgedröselt vom Deutschlandfunk:
Meine Theorie: Die Mediatheken sind zu unübersichtlich, man kriegt kaum was mit, bestimmt auch die vom Grimme-Preis. Ich empfehle euch einstweilen „Capital B – Wem gehört Berlin“ – eine sehr gute Doku darüber, wie seit der Wende Investorarschgeigen gemeinsam mit neoliberaler Politik eine Stadt zerstören, und „DRUCK“, die bezaubernde und kurzweilige Teenie-Serie, bei der ich immer noch hoffe, dass es irgendwann eine neue Staffel gibt.
Platz 1: ESC! Schon wieder geht’s los … Immer wenn Leuten mal wieder auffällt, dass Israel beim Eurovision Song Contest mitmacht, wird die angeblich doch so unpolitische Menschenzusammenbring-Veranstaltung doch plötzlich total politisch belegt. Dass es in diesem Jahr diesbezüglich eskalieren würde, war erwartbar. Jetzt haben aber tatsächlich über 1.000 schwedische Musiker:innen einen offenen Brief unterzeichnet, dass die Israelis nicht kommen sollen. Ich kenne von den Acts ehrlich gesagt nur so drei.
Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass der ESC ein Land vom Contest ausschließt, Russland und Belarus durften aus politischen Gründen auch schon nicht mitmachen. Vielleicht sollte man sich mal so langsam festlegen, ob man nun nur für die Menschen und die Kultur ist, ob es überhaupt sowas wie Unpolitischsein gibt und wie man sich so zu Doppelmoral verhält. Bis dahin muss Robyn halt on her own dancen.
Und noch was kann man sich in nächster Zeit vermutlich nicht mehr reinziehen: Pitchfork. Das wird nämlich von GQ geschluckt. Ja, das sind richtig beschissene Neuigkeiten. Aber wir ziehen hier durch, oder? Da könnt ihr offene oder geschlossene Briefe schreiben, wie ihr wollt!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.