Paulas Popwoche: Pregnancy-Vibes in der Popkultur
Paula Irmschler plädiert für mehr Toleranz beim Thema Nichtmutterwerden.

Leev Lück,
Thema Gleichzeitigkeiten! Die Welt wird von Leuten regiert, die das schöne Leben kaputt machen wollen – und vor meiner Tür stehen Mäuse, Hippies, ein Elch (?) und paar Clowns und köpfen einen Sekt – Alaaf!
Aber: Abgesehen von Tagesaktuellem, dem Stand der Welt und Geschehnissen vor der eigenen Haustür beschäftigen einen auch immer wieder die guten alten Scherereien, die in der eigenen Biografie angelegt sind oder angelegt sein sollen.
Zum Beispiel bin ich 35 Jahre alt, sozusagen weiblich gelesen und werde dementsprechend immer wieder angehalten dazu, mich mit dem Thema KINDERKRIEGEN zu beschäftigen, weil Menschen davon ausgehen, dass einen das in diesem Alter besonders umtreibt, unter anderem Menschen, die Popkultur zubereiten.
Die Frage nach dem „Kinderkriegen“ scheint dabei meist gleichbedeutend mit der Frage „Wie findest du Kinder?“ Weil Leute immer noch glauben, dass Menschen mit Uterus, die Kinder mögen, auch welche bekommen sollten und welche, die keine bekommen, obwohl sie könnten, sie wohl nicht mögen. Bei Männern ist die Entscheidung, ob sie Kinder annehmen, bei Frauen, ob sie sie bekommen.
Warum ich davon rede: Ich war in dem Film „We Live In Time“ mit Florence Pugh und Andrew Garfield. Beides tolle Schauspieler*innen, die Geschichte ist lieb – es ist einfach eine intime, authentische Liebesgeschichte von Anfang bis Ende.
Allerdings gingen meine Freundin und ich aus dem Film und fühlten uns ideologisch total verarscht. Es war nämlich so: Nach einer tollen Annäherung der Protagonist*innen Almut und Tobias stritten die beiden sich über die Kinderfrage. Sie wollte keine, er schon. So weit, so normal. Doch dann passierte etwas, was in Filmen und Serien zu oft passiert: Sie ändert ihre Meinung. Und zwar nicht nur einfach so, sondern wegen höherer Umstände, in diesem Fall durch Krebs, genauer Eierstockkrebs. Sie beschließt (trotz dessen, dass das gefährlich für sie ist!) einen Eierstock zu behalten, um ein Kind zu bekommen. Sie bekommt es, das Leben fügt sich (magischerweise kann man sich mit dem Kind dann auch ein schönes Haus im Grünen leisten), der Krebs bricht wieder aus, sie stirbt.
Natürlich kann man das erzählen, man kann alles erzählen, nur erzählt man es fast nie so: Eine Frau will kein Kind und bekommt kein Kind, ihr Partner ist damit okay, weil er ja mit der Frau zusammen sein will und die beiden kümmern sich auf andere Weisen um andere Leute oder halt nicht.
Ein paar Tage zuvor hatte ich außerdem erst die letzte Staffel der Singlefrauen-in-New-York-suchen-nach-Liebe-und-Selbsterfüllung-Serie „Harlem” gesehen und war diesbezüglich schon satt.
Camille (Meagan Good) will die ersten beiden Staffeln lang kein Kind, ihre große Liebe zerbricht sogar daran. Dann heißt es sie kann keine Kinder bekommen. Staffel 3 aber beginnt damit, dass sie doch schwanger wird und man denkt: Na, dann wird sie es wohl nicht bekommen, was? Sie will es ja nicht.” Pustekuchen!
Die Erzählungen von Schwangerschaften und Abbrüchen laufen so halt nicht ab. Camille entscheidet sich, wegen dieser höheren Macht, dafür, die Schwangerschaft fortzusetzen. Irgendwie ist es ja auch ein Wunder, sie dachte ja, sie könnte gar nicht. Außerdem kommt sie dann drauf, dass sie nur keine Kinder wollte wegen ihrer Traumata aus der eigenen Kindheit. Es muss immer driftige Gründe geben für Abtrünnige.
Sowas gibt es natürlich, aber können wir bitte eine einzige Frau bekommen, die nicht wie ein unentschlossenes Mädchen dargestellt wird, das nur auf den richtigen Pfad geführt werden muss? Können wir Frauen bekommen, die nicht ihr Leben lang um die Frage Mutterwerden oder Nichtmutterwerden kreisen?
Es gab sie ungefähr einmal in der mainstreamigen Popkultur. Und zwar in Gestalt von Cristina Yang aus „Grey’s Anatomy” (siehe Staffel 8, Folge 1). Sie wird schwanger von ihrem Partner Owen, der flippt aus, als sie einen Abbruch will, obwohl er ihre Einstellung dazu kennt.
Und nur das ist für sie der Verlust, der zählt: Ihr Partner ist nicht bereit, sie so zu lieben, wie sie ist. Auch ihre Freundin Meredith reagiert nicht so solidarisch, wie Cristina es sich wünscht, denn sie will abwägen, verhandeln, aber Cristina will einfach keine Mutter sein. Sie sagt auch, dass sie Kinder mag, schließlich hilft sie Meredith auch bei der Erziehung, aber sie will eben keines bekommen. Fertig aus. Sie sagt es, sie macht es, der Abbruch selbst ist keine große Sache.
Nur weil man eine Gebärmutter hat, muss man nämlich keine Beziehung zu ihr haben, das darf man wirklich nicht vergessen. Als ich mal selbst vor einem Abbruch stand, hatte ich das alles im Kopf: Nachdenklich in die Ferne gucken, Pro-Contra-Listen erstellen, „es“ schon spüren, eine riesige lebensentscheidende Frage daraus machen, Kinder auf der Straße länger angucken, höhere Mächte bedenken, düstere Krankenhausflure, Verurteilungen, sich in letzter Minute umentscheiden, mögliche Reue und so weiter. Heute weiß ich, dass die wenigsten Sachen davon intuitiv aus mir kamen, sondern Bilder aus der Popkultur waren. Ich wollte kein Kind, ich brach die Option auf ein Kind ab (auch nicht vergessen: nicht jede Schwangerschaft führt zu einem Kind, vor allem in so einem frühen Stadium ist das einfach unsicher), so viel mehr war es nicht.
Man kann sich jederzeit umentscheiden, wie mit allem im Leben, es ist zum Beispiel toll, dass immer mehr Frauen auch später Kinder kriegen (können), dass sie das auch ohne Mann an ihrer Seite tun und so weiter. Aber wir brauchen dringend auch die Erzählungen über Frauen, die einfach nicht gebären wollen. Und die sich natürlich wie die meisten echten Frauen „trotzdem“ genug um andere Menschen kümmern. So wie in „How I Met Your Mother”: Robyn will keine Kinder, kann keine bekommen, beteiligt sich aber an der Erziehung der Kinder ihrer Freunde, gleichzeitig lebt sie ihr Leben so wie sie es will und hat fünf Hunde.
„I need someone to get it”, fleht Cristina Meredith in „Grey’s Anatomy” an und das ist es. Rafft es bitte einfach.
„Grey’s Anatomy” rafft es wirklich schon eine ganze Weile. Die Themen Kinderwunsch und Schwangerschaftsabbrüche werden dort wie sonst nirgendwo häufig untergebracht, immer auch politisch und vielfältig in ihrer Erzählung. Vor allem nach der Aufhebung von Roe versus Wade gab es einige Folgen, die sich damit beschäftigt haben. Dabei geht es teilweise regelrecht pädagogisch zu – wenn die Politik versagt, müssen wohl Kulturprodukte ran und den Menschen ihre Rechte, ihre Körper und ihre Möglichkeiten erklären.
Die Serie „Maude” hatte bereits 1972 eine Folge zum Thema Abtreibung, also genau in der Zeit, in der Roe versus Wade verabschiedet wurde. Auch dort wird ganz viel aufgeklärt, übrigens auch zum Thema Vasektomie (überhaupt ist hier die Männnerolle auch ganz toll erzählt). Klar, das Verhältnis zum Alter ist aus heutiger Sicht ganz seltsam – und vieles andere ebenso, aber man kann es wirklich nicht fassen, dass das über 50 Jahre her ist – und wo wir heute teilweise wieder stehen.