Popkolumne, Folge 233

Paulas Popwoche: Der „Barbie“-Film hat mich traurig gemacht


Kann der Film alles dekonstruieren? Paula Irmschler liefert ein halbes Essay über „Barbie“ ab.

Ja, es ist irgendwie Clickbait, aber bei all den Thinkpieces zum „Barbie“-Film (er heißt wirklich einfach „Barbie“) muss man rausstechen. Und ich bin wirklich ein bisschen traurig aufgewacht heute und auch ein bisschen traurig ins Bett gegangen, nachdem ich gestern bei der Preview war. Vorher hatte ich noch sämtliche Rezensionen und Einordnung über den Film gelesen, alle waren voll des Lobes, sogar einen von Dietmar Dath habe ich mir zu Gemüte geführt, aber leider nicht verstanden (glaube er fand ihn auch gut).

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Umfrage: Schaut ihr euch „Barbie“ oder „Oppenheimer“ im Kino an?

Nun erstmal zu meiner Sprechposition. Viele Texte fangen damit an, wie man selbst zu Barbie steht. Ich hatte nie eine, sie war zu teuer. Ich kann nicht sagen, dass mir Barbie gefehlt hat, ich sie wollte, ich fand sie nicht süß oder so (sie war doch so staksig-hart?), mir ging es da genauso wie mit Diddl und Katzen, sie machten nichts mit mir. Es war nicht, weil ich als Kind woke war oder so, aber neidisch war ich immer nur auf bestimmte CDs oder Furbys. Aber ich hatte natürlich begriffen, dass man eine haben musste, da war etwas fundamental Weibliches dran, was Verbindendes, und so hatte ich ein, zwei dieser billigen Barbies, Sandy oder so, aus dem Ramschladen bei uns im Viertel, sozusagen als Ersatzprodukt. Vorzeigbar war das Ding nicht, man konnte es nicht mit in die Schule nehmen, und dabei ging es bei Barbie – zeigen, welche man hatte und wie viel Zubehör on top.

Ich wusste also mit Sandy oder wie sie hieß, wie sich das ungefähr anfühlte, es war underwhelming. Ich habe dann also doch wieder mit meinen größeren Puppen gespielt, die ich gar nicht als meine Kinder angesehen habe (so habe ich es im „Barbie“-Film jetzt erfahren, also, dass das mit den Kindern für alle Mädchen so war …), sondern als meine Freundinnen. Eins noch: Karo aus meinem Kindergarten hat mir mal ihr altes, kaputtes Barbie-Pferd geschenkt, ihm fehlte ein Bein.

Sprechposition anderer Aspekt: Wer die Kolumne liest, weiß, ich liebe das große Event, habe eine Schwäche für fett produziertes Mainstreamzeug, falle auf die Knalligkeit des Konsums gern mal rein, stehe schon mal heulend auf einem Coldplay-Konzert mit Leuchtearmband. Ich bin also offen für so was, okay? Bissl befremdlich fand ich dann aber schon, wieso es 2023 einen „Barbie“-Film geben sollte, ist das nicht irgendwie alles locker 15 Jahre zu spät? Hatte die feministische Debatte sich an Barbie und Tussitum nicht schon abgearbeitet, war nicht der Tenor ungefähr so, dass die Puppe relativ scheiße ist (relativ, weil sie immerhin Berufe hat), aber jede Frau mit ihrem Körper machen soll, was sie will (auch wie Barbie aussehen) und wir lassen das mal so stehen? Ja, aber der Barbie-Konzern Mattel will ja money maken, aber dazu gleich mehr.

Coldplay live 2024: Termine, Tickets, Vorverkauf

Also, who hurt me? Auch wenn es nicht Barbie selbst war, waren es all die Barbies in Echtform. Denn was ist Barbie letztendlich? Die originale Queen B. Die Eine, die Schönste. Hinter ihr müssen wir uns alle anstellen, man kann selbst auch kein anderes ästhetisches Empfinden haben, nichts anderes begehren, eigentlich wollen alle wie Barbie aussehen und / oder mit ihr schlafen. Wenn das nicht so ist, lügt man, es muss nämlich so sein, wir haben uns doch alle drauf geeinigt. Deswegen muss man sich zu ihr verhalten, positiv oder negativ, deshalb muss es jetzt noch einen Film zum Phänomen geben, ich sehe es ein. Die Barbies in meiner Welt hießen dann also Britney und Heidi. Vor allem sie, Heidi Klum, mehr Personifizierung von Barbie geht wahrscheinlich nicht. Man muss sie akzeptieren als diese eine, ob man sich für sie interessiert oder nicht, so sehr wird es einem unter die Nase gerieben. Und sie macht auch diesen Wandel mit, den es auch mit dem Produkt Barbie gab, irgendwo ist da was mit Diversity, aber über allem fläzt die blonde, schlanke, glatte Frau. Ein Leben lang muss man also darum rangeln, entweder so auszusehen oder sich in die Spur zu bringen, so aussehen zu wollen. Oder eine klitzekleine Abweichung davon zu sein, das ist dann originell, dann hat man Ecken und Kanten.

Tipp: Es gibt diese neue Doku über „Germany’s Next Topmodel“ mit ehemaligen Kandidat:innen, die erzählen, was die Sendung mit ihnen gemacht hat:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

 

So funktioniert das alles für mich auch nur halb, wenn Margot Robbie, tolle Schauspielerin, ich als besonders schön annehmen muss. Ich finde sie halt neutral, aber ich weiß, ich muss da mitspielen und sie bewundern, sonst funktioniert es nicht. So war es immer, wird es immer sein. Hinter ihr stehen dann Frauen, die nicht weiß sind, die trans sind, die behindert sind, die dick sind. Auf den Covern der Magazine ist natürlich aber Margot Robbie, die Eine. Wen ich selbst attraktiv finde, wie ich selbst aussehen möchte, ist egal. So eingestellt geht man da also rein.

Und es ist wirklich ein toller Film. Die Handlung ist schnell erzählt: Barbie lebt in ihrer süßen Barbie-Welt, kriegt plötzlich ernste Gedanken und reale Sachen ereignen sich in der perfekt choreografierten Plastikumgebung, wie dass plötzlich ihre Milch abgelaufen ist, oder ihre Füße komplett den Boden berühren, statt so stilettomäßig nur auf den Zehenspitzen. Sie muss dann in die richtige Welt, um zu erfahren, was mit ihrer Besitzerin, also der Person, die mit ihr spielt, los ist. Ken (Ryan Gosling) begleitet sie uneingeladen und entdeckt dabei das Patriarchat.

Wäre das ganze Drumherum nicht so riesig gewesen, das Marketing, das aufgeblasene „wartet’s mal ab, das wird am Ende voll feministisch“, weil ja Feministin Greta Gerwig Regie geführt hat, wäre es einfach ein cooler, netter Sommerfilm. Immer noch seltsam outdated (wobei es Pläne für den Film schon seit 2009 gab), aber bei allem Retro-Kram der vergangenen Jahre nicht besonders auffällig. Es ist eine Geschichte, die an „Truman Show“, „Pleasantville“ oder „Enchanted“ erinnert, halt raus (oder rein) in die perfekte Fake-Welt und daraus ganz dolle was lernen. Es wäre für Gen X und Gen Y eine Nostalgie-Party geworden, die uns an die Spice Girls und „Legally Blond“ erinnert, lustige Musikreferenzen mit den Indigo Girls und Matchbox 20 liefert, Sketche hervorbringt wie bei „Saturday Night Live“ samt dem popfeministischen Humor, den man schon aus „Crazy Ex-Girlfriend“ und von Bo Burnham kennt. Aber es musste ja alles größer sein, es sollte überall sein, es musste der Film des Sommers, wenn nicht sogar des Jahres werden, gestern las ich sogar etwas von des Jahrzehnts, es musste unbedingt maximal gesellschaftliche Relevanz haben. Am Ende ist das mit alldem Drumherum natürlich auch gelungen, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, ich hacke ja hier auch Buchstaben um Buchstaben rein.

Weil dieser Film gut zeigt, wo wir in der Popkultur gerade stehen. Nicht nur wird das Bekannte nochmal abgebildet und reproduziert, sondern auch die Kritik daran schon mitgedacht und eingeflochten – und sogar die Kritik-Kritik UND die Ironie an alldem – und alles zusammen dann vermarktet. Alles gehört mit zum Produkt. Mir wird schwindelig, ich versinke in den Metaebenen. Es liegt sozusagen alles offen und trotzdem machen wir es und das empfinden wir dann als freie Entscheidung. Greta Gerwig lässt zum Beispiel eine jugendliches Mädchen Barbie faschistisch nennen, etwas vom sexualisierten Patriarchat reden, was ganz gut den Blick von Älteren auf die Gen Z zeigt. Wir sehen sie als aufgeklärt, feministisch, mutig, weiter als wir es waren oder sind (man sieht es aktuell daran, wie zwei junge Frauen sich Rammstein entgegenstellen und wie sehr das von Ü30-Jährigen bewundert wird). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie vielleicht Barbie blöd finden, aber die Ansprüche an ihre eigenen Leistungen, ihre eigenen Körper und Gesichter so hoch sind wie noch nie. Die Anfragen für Schönheits-OPs steigen, Mobbing wird stärker, die Suizidversuche bei Jugendlichen werden immer mehr. Teenies brauchen die Barbiepuppe nicht, sie sollen sowieso selbst das Produkt sein.

21 Dinge, die ich beim Deichkind-Konzert gelernt habe

Zum Auflockern ein passendes neues Liedlein, das die Tage erschienen ist:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Aber apropos outdated: Die Ehre von Barbie muss eigentlich auch gar nicht gerettet werden. Auch wenn die Verkaufszahlen in den Nullerjahren mal runtergingen – dank ordentlicher Imagepflege und Diversity-Bestrebungen geht es der Barbie, also dem Konzern Mattel weiterhin super. Es kann aber natürlich nur noch besser werden und besser als sich eine Feministin wie Gerwig ins Boot zu holen, geht natürlich nicht, denn ja, natürlich wurde das Filmprojekt von Mattel angeleiert und ist zumindest in der 2023er Version auch Co-Produzent.

Und dank Gerwig gibt es großartige, feministische Momente in dem Film. Beauty-Standards werden genauso thematisiert wie Belästigung, Sichtbarkeit und Altern. Eine der tragenden Figuren, Gloria (America Ferrera, war im Vornherein nicht auf zahlreichen Magazincovern), spricht eine feministische Rede, die davon handelt, dass Frauen, egal wie sie es machen, es nicht richtig machen können. Die Rede erinnert an „We should all be feminists“ von Chimamanda Ngozi Adichie, popkulturbekannt wurde ein Teil davon durch Beyoncés „Flawless“ („We say to girls: ‘You can have ambition, but not too much / You should aim to be successful, but not too successful …’“). Besonders gelungen finde ich alles rund ums Thema Männlichkeit, denn auch das wird in dem Film klar: Die Frauen machen einiges schon, sprechen miteinander, handeln Bedürfnisse aus, finden sich selbst, denken über Alternativen nach. Und die Männer, also die Kens? Wollen Frauen erobern und prügeln sich. Die Incel- und dann Kriegsandeutungen springen einem nur so ins Gesicht, dann wird auch noch getanzt, einer der lustigsten und gleichzeitig traurigsten Momente des Films. Und dabei sehr glänzend und sehr gut: Ryan Gosling. Das alles ärgert Konservative wie Sau, das ist natürlich gut, das nehmen wir gern mit. Und natürlich sieht das toll aus, pink ist eine tolle Farbe, an Hyperfemininity (hier als Barbiecore) ist nichts falsch, Spaß ist cool.

Und da kommt wieder dieses Wort vorbei, Ambivalenz, ich hasse es. Alles ist gerade immer so ambivalent. Wir wissen, was wieso falsch ist, aber es ist auch irgendwie cool, weil wir uns so wenig Alternativen zutrauen. Mainstreampopkultur hat sich so viel Progressives einverleibt, wir müssen quasi auf unsere Portemonnaies aufpassen. Und man darf sich einfach nicht verarschen lassen, aber ich bin auch dafür anfällig, klar. Zum Beispiel für die Lüge, dass jede:r schön ist wie er/sie ist. Das will ich so sehen und du, der bis hierhin liest, vielleicht auch, das will aber der Markt nicht von uns, denn da geht immer noch mehr. Wie gesagt, wirklich schön ist nur die eine.

Übrigens war ursprünglich mal Amy Schumer für die Rolle der Barbie gedacht, sie wurde dann, weil alles so funktioniert wie es soll, im Internet fies dafür gemobbt, weil sie zu dick sei und ist dann wegen kreativer Differenzen ausgestiegen. Wir können also dick, behindert und trans sein, aber wir müssen wissen, wo unser Platz ist – Netflix macht es seit Jahren nicht anders, es gibt die weiße dünne Hauptperson und drumherum diverse Staffage – und uns wenigstens in Szene setzen können. Wir könnten uns trotzdem Mühe geben, reine Haut zu haben, wenig Behaarung und einen Style. Vor dem Film lief eine Werbung für eine bekannte Beauty-Marke, man kann sich dort jetzt Barbie-Schminke kaufen. Im Film wird dann aber alles dekonstruiert. Oder? Kann der Film das alles dekonstruieren, was er jetzt schon angerichtet hat? Das Geschäft mit den Beauty-OPs boomt, auch mit Barbie wurde dahingehend zuletzt verstärkt geworben. Ich weiß, man soll das System ankacken und nicht einzelne Leute, aber naja, Greta Gerwig, die Feministin, hätte die verheerende Marketingmaschine um ihren Film natürlich auch beeinflussen können. Es ist alles durchkalkuliert, jeder soll jetzt aber in alle Richtungen überrascht sein und am Ende gehen wir alle rein.

Paulas Popwoche: Touch me there in Gelsenkirchen

Ambivalenz, Schmambivalenz, ich bin erschöpft. Wenn etwas so sehr ambivalent ist, ist es vielleicht am Ende auch wieder egal. Das ist das Traurige.

Wie die Faust auf mein Gemütsauge passt da Billie Eilishs „Barbie“-Song:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Gut, dass jetzt erstmal Actors-Streik ist, ich glaube, wir müssen das alles mal sacken lassen. Allen voran (der Schauspieler:innengewerkschaft SAG-AFTRA) steht dabei die fantastische Fran Drescher.

Hier ihre Forderungen:

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Aber auch da wird’s wieder … Ihr wisst es, ambivalent. Kritiken werden laut, dass viele reiche Schauspieler:innen den Streik als Bühne benutzen und sich stylisch inszenieren. Es geht der Begriff „Hot Labor Summer“ rum und darüber muss ich dann doch noch sehr lachen.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

ME