Paul McCartney


Stehen die Wings nach Lindas Babypause wieder einmal an einem Wendepunkt? In diesen Tagen erscheint ihr neues Album "Waterwings", das auf einem schwimmenden Studio vor den Jungfrauen-Inseln aufgenommen wurde ohne den Gitarristen Jimmy McCulloch und ohne den Drummer Joe English. Über die Plattenaufnahmen, über die neue Single, einen Wings-Film und über eine geplante Tournee räch Paul McCartney mit unserem Londoner Korrespondenten Ray Bonici.

McCartney ist fröhlich wie immer. Er hat schließlich auch allen Grund dazu, denn die Familie McCartney bekam vor einigen Wochen Nachwuchs. Es ist Paul erster Sohn. Paul sieht jünger aus mit schulterlangem Haar. Er ist noch immer sehr gesprächig und humorvoll und wahrscheinlich der einzige Musiker, der alle Warnungen vor dem Rauchen starker, filterloser Zigaretten ignoriert. Als ich ihn traf, war er gerade mit dem „Wings Over America“-Film beschäftigt, den das englische Fernsehen im Frühjahr zeigen will. „Während unserer Amerika-Tour wurde ungeheuer viel gedreht“, meint Paul. „Das Material ist gut, aber die Tonqualität ist nicht besonders. Die wollen wir nun elektronisch verbessern. Ein neuer Soundtrack kommt nicht in Frage, das würde die Live-Atmosphäre zerstören. Das Ganze soll zu einem Dokumentarfilm verarbeitet werden. Wenn der Streifen gut wird, wollen wir ihn als Konzertfilm für die Fans erweitern.“

Ein Film über die Wings-Tournee durch die USA

Im vergangenen Jahr haben sich die Wings auf die Studioarbeit konzentriert. Weil Linda das Baby erwartete, wollten sie keine Konzerte geben. „Es wäre wohl alles ein wenig hektisch geworden“, meint Paul, „wenn wir von der Bühne gehastet wären und gesagt hätten: ‚Sorry, Leute, wir bekommen unser Baby. Entschuldigt uns Für eine Minute.‘ Das wollten wir Linda ersparen, darum verbrachten wir die meiste Zeit im Studio. Dafür haben wir eine Menge neues Material parat, wenn wir – wenn alles klappt im Frühjahr wieder auf Tournee gehen.“

Die Aufnahmen für „Waterwings“ begannen in den Londoner Abbey Road Studios und wurden auf drei gecharterten Booten vor den Jungfrauen-Inseln fortgesetzt. In der regnerischen Londoner Atmosphäre waren der Band die Sessions von Tag zu Tag langweiliger geworden. Da schwärmte ihnen ein alter Freund und Techniker der Band, Geoff Emerick, von Hawaii vor, wo er gerade zusammen mit George Martin am neuen America-Album gearbeitet hatte. Paul: „Geoff erzählte uns, wie wunderschön es gewesen sei, im sonnigen Hawaii zu arbeiten. Wir wurden natürlich neidisch, und ich schlug vor, die Aufnahmen im Ausland fortzusetzen. Es macht ja auch viel mehr Spaß, weil man dort wieder neue Anregungen bekommt. Denny, der früher schon einmal ein schwimmendes Studio von Record Plant besucht hatte, fand, es sei eine großartige Idee, auf einem Boot zu produzieren.“

Drei Schiffe für eine Langspielplatte

„Erst konnte ich mich mit dieser Idee überhaupt nicht anfreunden, weil ich persönlich nicht so sehr auf Schiffe stehe“, meint Paul weiter. „Außerdem glaubte ich nicht daran, daß es funktionieren könnte. Aber je mehr wir darüber redeten, desto aufregender kam es uns vor. ,Wir brauchen sowieso eine Unterbrechung‘, dachte ich, also tun wir’s.‘ Insgesamt haben wir drei Schiffe gechartert; eins für die Crew, eins für’s Studio und eins für uns. Record Plant hat uns dann tonnenweise die nötige Ausrüstung aus den Staaten herbeigeschafft und auf den Booten installiert.“

„Es war schon ziemlich abenteuerlich, als wir damals nach Lagos gingen, um ,Band On The Run‘ zu produzieren; aber die Idee mit den Jungfraueninseln war in der Tat großartig. Immerhin bestand die Gefahr, daß Salzwasser in die Geräte kommt oder daß sie einfach nicht arbeiten. Mit neuen Studios muß man sich mindestens ein paar Wochen lang vertraut machen, um sämtliche Kniffe und Tricks herauszubekommen. Aber wir hatten verdammtes Glück. Schon am ersten Tag haben wir einen kompletten Titel aufgenommen. Alle Tracks klingen genauso gut wie normale Studio-Aufnahmen.“

Wertvolle Elektronik dümpelt tonnenweise in der Karibik

Bei relaxter Arbeitsweise schafften es Paul, Linda und Gitarrist Denny Lane, neun Titel in einem Monat aufzunehmen. Den größten Teil des Materials hatten sie allerdings schon zuhause geschrieben. „Es herrscht schon ein anderes Feeling als normalerweise bei Studioaufnahmen“, erklärt Paul. „Es hat uns dort draußen doch ziemlichen Aufschwung gegeben. Ich hoffe nur, daß wir die Aufnahmen beim Überarbeiten in den Abbey Road Studios in dieser regnerischen Atmosphäre nicht langweilig gemacht haben“, meint er dann lachend.

Im Dezember warfen die Wings eine Single mit zwei A-Seiten auf den Markt: „Mull Of Kyntyre/Girls School“. Natürlich setzte sich „Mull Of Kyntyre“ in England sofort an die Spitze der Hitliste und auch in den deutschen Charts landete er aus dem Nichts auf Nummer 29. Dieser McCartney/Lane-Song ist von schottischen Traditionais inspiriert. Es ist ein Song über die Weite des westlichen Hochlands von Schottland, wo Paul seine Farm besitzt. „Ich liebe Schottland und kenne Kyntyre schon lange“, sagt er. „Es ist ein schöner Flecken. Es ist ständig nebelig dort. Wir wohnen oben auf dem Hügel, und manchmal kommt es uns vor, als säßen wir über den Wolken“.

Die Inspiration zu dem Song hatten Paul und Denny schon im Sommer 1976. „Ich dachte immer, daß die meisten schottischen Melodien, die man heutzutage hört, alte, überarbeitete Stücke sind. So haben wir beschlossen, einen neuen Song zu basteln, der so richtig schottisch klingt. Wir haben die örtliche Campletown Pipe Band zusammengetrommelt und die Melodien in deren spezieller Tonleiter gespielt, weil man mit dem Dudelsack nur in einer bestimmten Tonart spielen kann.“Girls School“ dagegen ist ein völlig anderer, rockiger Song für alle, die zur Musik lieber herumhotten. Paul ließ sich durch Pornofilm-Annoncen in amerikanischen Zeitungen zu diesem Titel inspirieren: „Yuki“, „School Mistress“, „Curly Head“ oder wie sie alle heißen. Paul: „Ich fand diese Titel alle so witzig, daß ich sie in diesen Song einwebte.“ Beide Songs wurden in Singleversionen eigens für die Radiopromotion aufgenommen, da man sich auf der LP nicht so genau an die von Programmgestaltern bevorzugte Songkürze halten wollte.

Vorerst kein Zuwachs mehr bei Wings: Ersatzleute für Jimmy McCulloch und Joe English will Paul nicht engagieren

„vergib, daß ,Hey Jude sieben Minuten lang war; wir haben damals nie darüber nachgedacht“, meint Paul. „Heutzutage ist es anders. Die Programmgestalter haben mittlerweile größeren Einfluß in den Radiostationen.“

Die Wings haben zwei Mitglieder verloren: Gitarrist Jimmy Mc Culloch und Drummer Joe English. Jimmies Ausstieg kam ziemlich überraschend, nachdem er schon vier Jahre lang dabei gewesen war. „Mit Jimmy war es halt so eine Sache“, erklärt Paul. „Er wollte bestimmte Dinge anders machen, und darum wurde es schwierig, mit ihm zusammenzuspielen. Da staute sich natürlich einiges an. So hat er sich eben entschieden zu gehen und bei den Small Faces mitzuspielen. Mit Joe war es eine andere Sache. Er hatte genug von England. Er wollte mehr Zeit für seine Familie haben, mit der er auf einem Bauernhof in Georgia, USA lebt. Er wollte nur nach Hause. Glücklicherweise hatten die beiden für das neue Album ihren Teil schon vorgelegt, so daß es für uns noch ganz gut lief.

Jetzt sind die Wings genau an dem Punkt angelangt, an dem sie auch bei den Aufnahmen zu „Band On The Run“ standen. Halten sie nun Ausschau nach neuen Leuten? „Eigentlich nicht“, sagt Paul. „Wir hatten zwar schon einige gute und interessante Angebote, aber wir brauchen niemanden, bis wir wieder live auftreten. Bei den Aufnahmen spielten Denny und ich Die Fotos auf diesen beiden Seiten zeigen Paulchen nicht mehr in der sonnigen Karibik, sondern daheim in den von Regen, Whisky und Öl durchtränkten schottischen Hochlanden. Auf dem Bild links sitzt Mister Paul McCartney wie man sieht im Sommersonnenschein und komponiert vermutlich gerade wieder ein neues schottisches Volkslied. Fotografiert hat ihn dabei übrigens Linda McCartney. Rechts dann das große Erinnerungsfoto zur „Mull Of Kyntyre“-Session:

Paul, Linda und Denny Laine mit der original schottischen „Campletown Pipe Band“. Warum, fragen wir uns hier in der Redaktion, hat Paul eigentlich keinen Schottenrock an?

Gitarre, und ich kann auch ein wenig Schlagzeug spielen. Ich bin zwar kein guter Techniker, aber ich kann einen gleichmäßigen Beat halten. Bei den LP’s ,Paul McCartney‘ und ,Band On The Run‘ habe ich auch Schlagzeug gespielt.“

Sieht Paul denn nun als zukünftige Basis der Wings sich selbst, Linda, Denny plus einige lose engagierte Mitspieler? „Nun, Denny würde auch nur ein Sideman sein, wenn er sich als solcher betrachten würde. Es liegt ganz einfach an den Leuten, die einsteigen. Wenn man sich einer etablierten Gruppe anschließt, muß man nur hineinpassen und sich als einer von ihnen fühlen. Vielleicht brauchen wir auch gar keine neuen Mitglieder. Wir haben darüber gesprochen, in kleineren Hallen und Clubs zu spielen, etwas ganz anderes zu machen. Aber ich will so etwas jetzt nicht voraussagen; es wird nur vielleicht so sein.“

Paul will nicht als Einsiedler enden

Paul besitzt den Ruf, seine Songs schnell zu Papier zu bringen und sie binnen kurzer Zeit zu Evergreens zu machen. Seit Jahren wird er als Superstar gefeiert. Wie kommt er sich jung wie er ist – als Legende vor? Paul wehrt ab: „Das wird mich hoffentlich nie berühren. Ich habe mich damals einer Gruppe nur für ein wenig Spaß angeschlossen. Diese Band, die Beatles, existiert nun nicht mehr, aber wir haben in jener Zeit viel daraus gemacht. Aber was die Legende betrifft, sage ich mir: ,Ich bin immer noch ich und werde das weitermachen, was ich jetzt tue.‘ Ich versuche eben, alles ein wenig herunterzuspielen, weil ich nicht einer von diesen unfaßbaren Superstars werden will. Das gibt mir nichts. Du hast vielleicht die Sendung über Howard Hughes im Fernsehen gesehen, und genau so etwas versuche ich zu vermeiden. Man kapselt sich sonst zu sehr ab und wird verrückt dabei. Natürlich gefällt es mir, daß ich mir sagen kann: ,Dein Name steht unter mehr Hits als der von irgendeinem anderen lebenden Songschreiber‘. Aber ich drehe deswegen noch lange nicht durch. Sonst glaubt man eines Tages an die eigene Legende, und wenn du dann ein Album machst, das sich wie ,Wings Wild Life‘ nicht verkauft, bist du arg getroffen.“

Paul: „Die britische Szene ist im Moment großartig und gesund!“

Paul ist der treueste Beatle; ihm ist es noch nie in den Sinn gekommen, England zu verlassen. Er kann es sich selbst kaum erklären, was ihn auf zahlreichen Auslandsreisen immer wieder in seine regnerische Heimat zieht. Vielleicht hält ihn die musikalische Szene noch immer gefangen. „Ich glaube, sie ist im Moment großartig und auch sehr gesund“, betont er. „Vor wenigen Jahren gab es nur die alten etablierten Gruppen, während wir es jetzt mit einer ganz neuen Welle unter den jungen Leuten zu tun haben, und das macht die Sache so frisch. Ich will mich da nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen. Nimm Punk zum Beispiel. Ich betrachte ihn als Mode, einfach als anderen Musikstil, aber er ist gut. Unsere Tochter Heather steht auf Punk. Sie spielt ihn ununterbrochen, so lernen wir durch sie eine Menge, weil wir nicht mehr so drinstecken. Es kann also schon sein, daß ich wegen der gesunden musikalischen Situation hier bleibe, und weil ich all die verdammten Kritiker ignoriere. Die Leute verlangen immer mehr von dir, sie wollen, daß du Übermenschliches zustande bringst. Aber ich halte das alles unter Kontrolle und mache alles von Mal zu Mal ein wenig besser. Wenn ich wieder Konzerte gebe, vermutlich im Frühjahr, werde ich neue Ideen präsentieren.“