Popkolumne, Folge 209

Über ein Interview mit Panik Panzer & einen Shitstorm gegen Die Toten Hosen und „Rock am Ring“: Volkmanns Popwoche im Überblick


Das Thema Panzer bestimmt aktuell die News. Leider dreht sich dabei alles um Waffenlieferungen an die Ukraine – keine Rede dagegen von dem Rap-CEO der Antilopen Gang. Höchste Zeit daher, die Perspektive zu wechseln: Linus Volkmann spricht in seiner neuen Kolumne mit Panik Panzer anlässlich dessen ersten Buchs. Dazu noch ein Shitstorm gegen die Toten Hosen – und der neue Track von Mariybu.

Bei einer Lieblingsband hat man die Mitglieder nicht nur vor Augen, sondern man weiß auch genau, wen man am Stärksten findet. Dieses Prinzip hat uns spätestens das Boyband-Jahrzehnt, also die Neunziger, eingetrichtert – aber vermutlich kennt man es schon aus Zeiten von Black Sabbath, Beatles oder Minnesänger-Allstar-Groups aus dem Mittelalter. Ich weiß meine daher stets auswendig. Mein liebster Tocotronic war immer Arne Zank, bei den Ärzten Farin Urlaub, bei den Toten Hosen, der eine, der aussieht wie ein Pferd und bei den Spice Girls Sporty Spice a.k.a. Mel C.

Schwierig fand ich eine solche Hierarchisierung dagegen bei der Antilopen Gang. Der Schöne, der Schwierige, der Lustige. Mmh… wenn ich vor die schreckliche Wahl gestellt würde, welcher der drei nicht einem herabstürzenden Meteoriten überlassen werden sollte, ich würde Panik Panzer nehmen. Er besitzt diese feurige Mischung aus unbedarftem Kumpeltyp und Dämon.

Und man darf nicht vergessen: Panzer ist auch das letzte Geheimnis der Antilopen Gang. Seine Kollegen Koljah und Danger Dan (der auch noch sein Bruder ist) haben schon lange alle ihre Karten auf dem Tisch. Danger Dans Klavier-Platte DAS IST ALLES VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT kennt dabei mittlerweile sogar dein alter Deutschlehrer. Doch was ist mit Panik Panzer? Auf dem letzten Mix-Tape der Antilopen Gang findet sich auch eines der raren Stücke des aschblonden Mannes. Es heißt „DIY CEO“, darauf inszeniert er sich als emsiger Selfmade-Geschäftsmann mit Erfolgsgarantie, eine kenntnisreiche Pervertierung des FDP-lastigen Kollegah-Prinzips.

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Ebenfalls einen guten Einblick in die Panzer-Faszination gibt der Antilopen-Ballermann-Hit, den sie unter dem Alias Die Rheinischen Frohnaturen performen. Hier kommt diese sinistre Feelgood-Haltung seiner Figur perfekt zur Geltung.
Kein Wunder, dass die Rufe nach einer Panik-Panzer-Solo-Platte immer lauter wurden.

Die Antwort darauf überraschte mal wieder: Panik Panzer veröffentlicht nun sein erstes … Buch. Eine durchgeknallte Biographie mit hohem Mockumentary-Anteil, geschrieben hat er zusammen mit Freund, Musiker (ehemals bei Die Shitlers) und Soziologen Martin Seeliger. Der größte Teil entstand bei einem gemeinsamen Urlaub auf Ibiza, der Rest auf einer Bank in der Hasenheide. Der Titel ihres Werks: „Panik Panzer – Der beste Mensch der Welt: Wie ich es schaffte, die Spitze der Nahrungskette zu erklimmen“.

Also, ich habe schon Leute aus weit geringeren Anlässen interviewt. Dann mal hallo an Martin und Tobias (alias Panik Panzer)!

Kumpeltyp und Dämon: Der Mann Panik Panzer (und Martin Seeliger) im Interview

„Das Buch sehe ich als direkte Reaktion auf die ständigen und nervigen Fragen, wann denn endlich mein Solo-Album kommt. Ich werde das seit 15 Jahren gefragt, das setzt mich sehr unter Druck!“

Wie habt ihr euch kennengelernt?

MARTIN SEELIGER: Wir sind uns zuerst im Internet begegnet oder haben einander dort registriert. Das passierte im HipHop-Partisan-Forum, das war um die Jahrtausendwende ein Ort, an dem sich politisch interessierte Rap-Fans über Musik, Weltbilder und Utopien austauschten. Persönlich getroffen haben wir uns allerdings erst etliche Jahre später, ich weiß noch, das fand in Aachen statt. Verabredet waren wir an einem Busbahnhof und ich fühlte mich schon auf dem Weg sehr bedrängt – zum Beispiel von irischen Touristen, die mit im Bus saßen. Ich bin recht soziophob und fragte mich: Wie soll die Begegnung mit diesem Fremden denn gleich werden, wenn mir der Weg bereits zu viel ist? Doch es lief ganz wunderbar, wir gingen ins Autonome Zentrum, tranken Weizenbier und zogen dann noch weiter.

PANIK PANZER: Lustigerweise ging es mir genauso. Ich hatte Martin zuerst unter einem Vorwand abgesagt, weil mir die Vorstellung so unangenehm erschien, mich mit einer Person zu treffen, die ich nur aus dem Netz kenne. Am Ende hat man sich nichts zu sagen und kann nicht weg aus der Situation. Doch dann habe ich mich gelangweilt und entschloss mich, das Wagnis einzugehen und zog den Vorwand zurück – beziehungsweise erfand einen neuen, warum ich jetzt doch könnte.

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Bei den Antilopen-Ultras regt sich immer wieder der Wunsch, Panik Panzer solle – wie die anderen beiden – endlich seine Solo-Platte machen. Auf dem letzten Antilopen-Mix-Tape (ANTILOPEN GELDWÄSCHE) befindet sich ein sehr schöner Panik-Panzer-Song („DIY CEO“) und hat das Begehren erneut angefacht. Ist dieses Buch hier ein Prokrastinations-Ergebnis? Statt der Platte schreibe ich euch halt meine Biographie?

PANIK PANZER: Das Buch sehe ich als direkte Reaktion auf die ständigen und nervigen Fragen, wann denn endlich mein Solo-Album kommt. Ich werde das seit 15 Jahren gefragt, das setzt mich sehr unter Druck!

Danger Dan hat auch viel kaputt gemacht mit seinem Riesenerfolg, oder? Was soll man da denn jetzt noch hinterher schieben?

PANIK PANZER: Genau, stell dir vor, ich komme mit so einem halbgaren 40-jähriger-Boomer-macht-moderne-Rapmusik-mit-Autotune-Album, das wäre gar nicht zu ertragen. Gerade im Angesicht von Daniels [Danger Dan] Erfolg.

Die Kapitel sind sehr unterhaltsam, manchmal richtig übergeschnappt, es geht um Flugzeugabstürze, Drogen, Knast und das perfekte Rührei-Rezept. Konntet ihr beim Arbeiten immer nüchtern bleiben?

MARTIN SEELIGER: Ja, schon. Auf Ibiza haben wir zwei Mal richtig gesoffen, aber da waren die nächsten Tage unangenehm. Ich mochte es mehr, dass wir da gesund lebten, joggen gegangen sind – wir waren auch nie am Strand, haben die Wohnung quasi nicht verlassen. Nur einmal hat es uns betrunken dorthin gezogen und ich habe im Sand gleich meinen Schlüssel verloren. Darauf war uns klar: Da gehen wir nicht mehr hin!

Versteht ihr das ganze Projekt auch als Kommentar auf all diese hingewichsten Rapper-Biographien der Jetztzeit?

PANIK PANZER: Ich möchte das nicht als Persiflage verstanden wissen. Dafür ist mir das Projekt zu ernst – und dafür ist mir auch mein eigenes Fantum hinsichtlich Rapper-Biographien zu unironisch. Und wenn wir hier und da in so einen Duktus verfallen sind, den man vielleicht auch in der Kollegah-Biographie finden würde, dann ist das nicht als Kritik gemeint. Es spiegelt eher eine unbewusste Inspiration, weil wir beide schon vieles in der Art gelesen haben.

Mit dem Riva-Verlag erscheint das Buch bei einem eher berüchtigten Laden. Hier sieht man zumindest keine Literat*innen im Programm, sondern HipHop-Promis wie Kollegah oder auch followerreiche Geister wie dieser Twitch-Typ Montana Black. Wie kamt ihr denn dorthin?

PANIK PANZER: Ich hatte glücklicherweise noch einen Kontakt zu dem Verlag. Wir hatten nämlich etwa eine Woche, nachdem wir mit der Antilopen Gang 2017 auf Platz 1 der deutschen Albumcharts gingen, eine Mail vom Riva-Verlag bekommen, ob wir nicht bei ihnen ein Buch rausbringen wollen. Ich denke, dort sitzt ein Praktikant, der jede Woche schaut, wer auf Platz 1 ist – und wenn das ein deutschsprachiger Act ist, kriegt er direkt eine Nachricht. Diese Mailadresse hatte ich also noch, schrieb hin – und der Fisch hat sofort angebissen.

Das Buch „Panik Panzer – Der beste Mensch der Welt“ erscheint am 19. Februar, im März werden Panik Panzer und Martin Seeliger gemeinsam auf Lesereise gehen. Tickets dafür sind ab Ende dieser Woche verfügbar.

Hass am Ring: Pantera vs. Die Toten Hosen vs. Das Internet

Das letzte Jahr habe ich echt mitgefühlt mit der ganzen Veranstaltungsbranche. Schlechte Besucherzahlen breiteten sich trotz Öffnung aus wie Corona, die Live-Welt litt an Long-Covid. So hatte ich selbst für die großen Marken noch ein aufmunterndes Tätscheln übrig: „Wird schon wieder für eure nervigen Giga-Events! Euer rückwärtsgewandtes Herren-Booking wird bald wieder auf die Beine kommen. Nicht heulen. Hier habt ihr ein kleines Steak.“

Heute ist die Normalität im Live-Betrieb zwar noch immer nicht zurück, aber doch ein großes Stück näher gekommen. Insofern hält sich sicher das Mitleid der meisten Musikfans in Grenzen, wenn man mal wieder auf Rock im Park / Rock am Ring schaut – und feststellen darf, deren aktuelles PR-Szenario gleicht einer „Essensprüfung“ im Dschungelcamp.

Also Ungenießbares, Ekel und viel Geschrei. Aufhänger in diesem speziellen Fall: Pantera wurden von rechtsradikalen Ausfällen ihres Sängers Phil Anselmo eingeholt. Ein Hitlergruß auf der Bühne – und auch drumherum sprudelten unappettitliche Details (White-Power-Bezüge, erstmal öffentliche Nicht-Entschuldigungen) in die „Diskussion“. In der darauf folgenden professionellen Reue des Musikers sahen die meisten dann auch nur noch den Willen zur Schadensbegrenzung.

Pantera seien nicht tragbar bei Rock im Park, wo sie groß als Headliner prangten. Der Veranstalter sah das allerdings anders und hoffte, das gegen alle Stimmen durchziehen zu können. Doch als auch Die Toten Hosen mit einem Statement auf Instagram den Druck erhöhten, kam wirklich Bewegung in die Sache. Die Veranstalter mussten sich schlussendlich von Pantera lossagen. Um den bereits heraufbeschworenen Imageschaden nicht noch weiter anschwellen zu lassen.

Dass dieses „Einsehen“ beziehungsweise Krisenmanagement trotzdem keine gute Presse mehr erzeugte, dürfte niemand wundern. Bei all dem sollte allerdings vermerkt werden, dass auch Die Toten Hosen nicht gut aus diesem Shitstorm-Showdown herauskamen. Ihr Statement, in dem sie rechtfertigten, warum sie ihre Teilnahme an dem Event trotz Pantera und berechtigter Zweifel noch nicht abgesagt hatten, las sich für viele Social-Media-Aktivist*innen nicht entschieden genug. Stimmt. Es formulierte zwar kritisch, aber auch defensiv und abwägend. Klar, Die Toten Hosen sind kein Punk-Account mit 39 Followern, zogen mit ihren gequält wirkenden Worten aber dennoch denkbar unbewaffnet in das Minenfeld „Meinungsaustausch im Internet“.

Ich möchte dennoch ganz deutlich sagen, dass es mich persönlich befremdet hat, wie eine Band, die seit Jahrzehnten antifaschistische Projekte auf informeller wie offizieller Ebene unterstützt, für so ein ungelenkes Statement dann gerichtet wurde. Campino war als einziger bei der letztmaligen ECHO-Verleihung aufgestanden und hatte sich mit einem (ebenfalls eher hakeligen) Redebeitrag gegen die Holocaust-Lines von Kollegah und Farid Bang positioniert. Dem ECHO gab genau das damals den Rest, wie auch diesmal die Intervention der Hosen die Entscheidung gegen Pantera maßgeblich beeinflusst haben dürfte. Von Jamel und unzähligen Soli-Aktionen nicht muss man eigentlich auch nicht anfangen. Aber vielleicht doch?

Denn dass alle jene Accounts, die sie die letzten Tage nicht nur verlacht, digital bespuckt oder mitunter in die rechte Ecke gestellt haben, sich an dieser Stelle nun noch mal mit einer Relativierung blicken lassen werden, ist zu bezweifeln. Panteras Auftritt ist off, dafür kommen jetzt die Foo Fighters – und diejenigen, die diesen Umstand mit herbeigeführt haben, sind um einen Shitstorm reicher.

Das ist Internet 2023. Geil ist was anderes.

Abstecher ins Hitdezernat (I)

Mariybu
Am 10. März erscheint das Debüt-Album einer Künstlerin, deren Eierstock-Merch („Digga jetzt gibt’s Stress / ich hab PMS“) ich schon vor Jahren mal begeistert erstand. Musikalisch hat sich viel getan bei Mariybu, der neue Vorab-Track zeigt die Hamburgerin mellow bis düster. „Ganz raus“ erzählt von Weltflucht, der animierte Clip erinnert an „I’m Blue“ von Eiffel 65, aber vor allem ist das Musik, in die man sich reinfühlt. Beruhigend und aufregend gleichermaßen. Das ist ein blurry Song für die eigene Endlosschleife des Moments, dem sogar der Einsatz von Autotune nichts anhaben kann. Ich lieb’s!

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Abstecher ins Hitdezernat (II)

Daniel Decker
Wer sein Indie-Sammelalbum wirklich gut pflegt, beim Immergut-Festival schon mittags auf dem Platz steht und gern kleine coole Labels mag, kennt möglicherweise Daniel Decker. Unter’m Radar brennt noch Licht: Seit Jahrzehnten versorgt der Wahl-Berliner seine Fans mit einem wandelbarem Sound und kleinen Hits. Gerade geht sein Singles-Serie zu Ende, jeden Monat ein neues Stück in einem anderen Genre-Gewand. „Neville“, der Closing-Song zu diesem Projekt, gefällt mir besonders gut. Ein „Film Noir“-Instrumental, das sich so rau anhört wie die knorrige Wüste, die es zu beschreiben scheint. Ist der letzte Satz eigentlich noch präziser Musikjournalismus oder bereits hirni-mäßiges Eso-Gelalle? Urteilt selbst. Aber vor allem: Hört doch mal bei Daniel Decker rein.

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Disclaimer der Redaktion: Decker hat selbst mal für den Verlag gearbeitet, in dem der Musikexpress erscheint – und damit unmittelbar an dieser Homepage hier.

Aktuelles über Ikonen: Paulas Popwoche im Überblick

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