P.J. Harvey: Dynamische Damenwahl


„Mir erscheint das, was wir jetzt machen, noch nicht annähernd aufregend genug“, sagt Polly Harvey mit einem wegwerfenden Schulterzucken. „Gerade neulich diskutierten wir wieder darüber, daß es so viele Filme gibt, in denen echt neue, zum Teil beängstigende Emotionalbereiche ausgekundschaftet werden. Wo ist die Musik, die ähnliches tut?“ Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint, kommt doch die Antwort von der 21jährigen Ex-Bildhauer-Studentin selbst. Nach nur zwei Maxi-Singles hat sich in Britannien ein derartiger Neugier-Sturm um Pollys intensive Seelenentblätterungen entfacht, daß „Dry“. das Debut-Album des P.J. Harvey genannten Gitarre/Bass/Drums-Trios, auf Anhieb hoch in die Pop-Charts krachte. „Wir verdienen sowas doch überhaupt noch nicht“, seufzt Polly schon fast entmutigt, „die Band fängt doch eben erst an, sich zu verstehen. Wir sind noch viel zu zahm. “ Polly kann sagen, was sie will — „Dry“ hat Saft und ist die originellste Äußerung der britischen Gitarrenszene seit langem. Das rohe Nebeneinander von laut und leise, die Kombination von Singer/Songwriter-Tradition mit krachendem Gitarren-Feedback, dazu Pollys impressionistische. Anmerkungen auf der Geige, ist radikal neuartig. Polly: „Die stillsten Passagen können am aggressivsten wirken. Und aus dem lautesten Lärm kann die tiefste Ruhe entspringen.“ Eine Art Volksweisheit, die sie beim Aufwachsen in der tiefsten englischen Provinz aufpickte? „Daß ich in solcher Abgeschiedenheit aufwuchs, war wohl gut für meine Musik. Ich war auf mich selber angewiesen. Ich weiß nicht, ob’s gut war für mich …“