Overground Resistance: Emika im Interview über ihr neues Album „DVA“
Ema Jolly protestiert mit einem Pop-Album gegen politische Unterdrückung und die Berliner Techno-Szene.
Pop hat so sehr gefallen an Dubstep gefunden, dass sich eine Dubstep-Künstlerin schon sehr abgrenzen muss, um ihre Platten nicht im Pop-Regal wiederzufinden. Bei Emikas Debüt-Album bestand diese Gefahr nicht.
Als 2011 ihre selbstbetitelte Platte EMIKA erschien, waren Pop, Techno und Dubstep noch nicht so intim miteinander, wie sie es heute sind. Außerdem war Emika über alle Zweifel erhaben: Ihr Debüt war düster, basslastig, komplex, hart, melodisch und bis in die letzte High-Hat ausproduziert. Es erschien bei dem Label Ninjatunes, wo auch pop-sichere Underground-Acts wie Floating Points, King Midas Sound oder Machinedrum unter Vertrag stehen. Sie selbst hatte Studiotechnik studiert und war Sounddesignerin bei der DJ-Technik-Firma Native Instruments, was zumindest außergewöhnlich für eine Pop-Sängerin wäre. Mit einem anerkennenden Nicken ordnete die nerdige Szene die junge Künstlerin zwischen James Blake und Burial ein, vielleicht nicht ganz so konzeptionell wie Blake und etwas melodischer als Burial, aber doch irgendwo dort.
Hätte sich Emika mit dieser Szene bewegt, ihr Klang wäre auf ihrem zweiten Album wohl noch vertrackter, noch radikaler und technischer geworden, vielleicht noch ein bisschen mehr Noise zwischen den surrenden Bässen. Statt dessen nahm sie DVA auf: elektronisches Songwriting mit melodische Subbässen und hohen, sich überlagernden Stimm-Ebenen. Ein Pop-Album mit klassischem Einschlag. Auf dem Opener singt die tschechische Opernsängerin Michaela Šrůmová mit 28 Streichern, darunter vier Bassisten. Der Titel „DVA“ erinnert dabei verdächtig and Madonnas „MDNA“. Ihre Kollegen dürften sich gefragt haben: ‚Warum?’
Emikas erstes Album war die logische Konsequenz aus ihrer Umwelt. „Ich kam nach Berlin, kam mit Techno in Berührung und habe angefangen bei Native Instruments zu arbeiten. Dabei habe ich einen Teil von mir verloren. Ich wollte mich anpassen und gut in einer Firma sein, wo sonst hauptsächlich smarte, ältere Männer arbeiten. Ich habe mir die Haare schwarz gefärbt, ich habe mir die Haare kurz geschnitten, ich habe Deutsch gelernt, ich bin jeden Tag arbeiten gegangen und wurde eine gute Sounddesignerin“, sagt sie.
Emikas zweites Album ist der Bruch mit der Berliner Szene. Ema Jolly hatte genug, genug von dem Expertentum und sonischer Haarspalterei: „Das erste Album war so mühsam. Es waren 60 Prozent Sound-Design und 40 Prozent Songs. Ich habe so viel Zeit mit der Kompression jeder einzelnen Kick-Drum verbracht. Ich habe das für so viele Jahre gemacht. Und dann dachte ich mir ‚Fuck it’. Was ist aus meiner Musik geworden?“ Also ist sie nach Hause gegangen und hat ein Album mit dem gemacht, was sie hatte: Musik-Software, ihre Stimme und eine klassische Musik-Ausbildung. „Und plötzlich merkte ich, dass ich eigentlich eine Sängerin bin. Warum bin ich davor weggerannt, ich bin eine Sängerin und ich werde singen.“, stellt sie fest. Ironischerweise macht gerade dieser Bruch mit dem Underground DVA zu einer der interessantesten Platten der Bass-Musik.
Auch das Sujet des Albums geht tiefer, als der erste Eindruck vermuten lässt: „DVA“ steht tatsächlich nicht für „Diva“, sondern ist das Tschechische Wort für „zwei“. Emika fischt im dunklen Wasser ihrer Vergangenheit, es geht um die Flucht ihrer Mutter aus dem kommunistischen Prag und um die Zensur in den Staaten des Ostblocks. Im Opener „Hush“ hat sie die Geschichte der Generation ihrer Mutter aufgeschrieben, die vom kommunistischen Regime zum Schweigen gebracht wurde: „Je mehr ich versuchte, etwas über die Geschichte meiner Familie in Tschechien herauszufinden, desto mehr merkte ich, dass sie sich dort kaum an die Hälfte davon erinnern oder erinnern wollen. Auch meine Mutter schweigt bis heute. Also habe ich mir die Worte ausgedacht, die ich gerne von ihr gehört hätte. Sie hat sie für mich ins Tschechische übersetzt.“
Den Song „Young Minds“ schrieb sie nach einem Konzert in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. „Ich habe dort das Gewicht des Regimes gespürt. Es war ein richtiger Underground-Gig mit 2000 Leuten und wir hatten ein bisschen Angst, dass die Polizei auftaucht. Ich habe die Augen der Menschen im Publikum gesehen und mich gefühlt, als würde ich sie füttern. Nach dem Konzert haben mich junge Frauen gefragt, wie das Leben draußen ist. Ihre Fragen haben mich erschüttert.“
Nach ihrem perfektionistisch konstruiertem Debüt EMIKA ist DVA Emikas ambivalenter Pop-Protest geworden: In Tschechien handelt es von den kulturellen Löchern, die das kommunistische Regime hinterlassen hat. In Weißrussland ist es ein kleines Stück Rebellion. In Berlin ist es ein Protest gegen einen elektronischen Underground, der sich in einem avantgardistischen Dogma verrannt hat.