Oscars 2014 – Das Nachbeben


Die Oscars sind gelaufen, die Trophäen vergeben, alle Dankesreden vorgetragen: Was uns die Oscar-Verleihung 2014 gelehrt hat.

Das Prozedere bleibt jedes Jahr das gleiche: Der Umschlag mit dem Gewinner für „Bester Film“ ist noch nicht einmal auf die Bühne gebracht worden, da wird schon fleißig über den Wert der Oscar-Zeremonie spekuliert. Zu brav? Zu bunt? Zu wasauchimmer? Den Wünschen nach Glitzer, Glamour und Niveau –  wurzelnd in einer zunehmend verblassenden glamourösen Vergangenheit einerseits, genährt aus den eigenen Ansprüchen andererseits – wurde dabei dieses Jahr mehr denn je entsprochen: Eine blutjunge Oscargewinnerin mit Herz, eine handzahme Moderatorin und einige Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack.

Doch was haben wir wirklich mitgenommen aus der Oscar-Nacht? Hier die wichtigsten Punkte im Überblick.

Jennifer Lawrences PR-Berater sind Gold wert

Mal ehrlich: Wer hatte im Lauf des letzten Jahres nicht J-Law ins Herz geschlossen? Wohl nur böse Menschen mit noch böseren Absichten, denn mit entwaffnender Natürlichkeit, tapsigem „Girl Next Door“-Charme und einem Repertoire von Blockbuster bis Arthaus hatte Lawrence mühelos die Zuneigung des Publikums gewonnen.

Mit Missgeschick auf dem Roten Teppich, expliziter Erwähnung durch Gastgeberin Ellen während des Anfangsmonologs und einem „Ach-wie-sympathisch“-Moment während ihrer eigenen Anmoderation, untermauerte J-Law ihren Status als neuer Liebling der Nation. Oder etwa doch nicht? Denn in Kombination mit dem geschickt gestreuten Image von Lawrence als unangestrengtes Naturtalent – muss keine Texte lernen, weiß impulsiv was richtig für eine Rolle ist – gibt es bei den amerikanischen Entertainment-Autoren bereits einige Vertreter, die glauben, J-Law würde das Publikum „katnissen“ und schlicht geschickt mit ihrem Image kokettieren.

Was wir gelernt haben: Ehrlich gesagt wenig. Höchstens, dass wir mit dem Post unserer J-Law-GIF-Sammlung erst einmal ein wenig warten.

Alle Toten sind gleich

Mit nur geringfügigen Unterschieden in der Länge der Einblendungen und mit der Stummschaltung des Publikumsapplauses erschien das „In Memoriam“-Segment der diesjährigen Oscars erstmals seit Langem nicht als Beliebtheitswettbewerb. Eine angemessene Angelegenheit, auch wenn einige prominente Namen seltsamerweise nicht zu lesen waren. „Dazed And Confused“-Produzent James Jacks, „Glee“-Star Corey Monteith und Vorlagengeber Tom Clancy beispielsweise.

Was wir gelernt haben: Dass Hollywood etwas gelernt hat: Es ist nicht der Lautstärkepegel des Applauses, der zählt.

Ohne Twitter nichts los?

Wurde im Vorfeld bereits vermutet, dass die Wahl von Twitter-Königin Ellen DeGeneres mit über 27 Millionen Followern den etwas verzweifelten Versuch darstellte, die Oscar-Show in die sozialen Netzwerke zu hieven, so bestätigte sich das bereits mit dem ersten Ellen-Selfie wenige Minuten nach Beginn: Die Oscars sollen jünger und relevanter werden, Twitter ist ein Mittel dazu.

Was dann folgen sollte, erstaunte nicht schlecht: 14,7 Millionen Tweets begleiteten die Oscar-Verleihung, wobei Ellens All-Star-Selfie mit knapp einer Millionen Retweets innerhalb der ersten Stunde zwischenzeitlich Twitter zum Erliegen brachte. Und damit – wie David Neuman von Prime Visibility überrascht feststellte – einen der „Meilensteine der Social Media-Geschichte“ darstellte. Mit 70.000 Tweets pro Minute sind die Oscars damit zwar noch weit abgeschlagen im Vergleich zu Twitter-Großevents wie der Papstwahl (132.000 Tweets pro Minute) oder Obamas Wiederwahl (327.452 Tweets pro Minute), als TV-Großereignis aber auf dem Weg Richtung Superbowl-Werten (24,9 Millionen Tweets).

Was wir gelernt haben: Ohne Second Screen mit seinen prominenten Gag-Lieferanten wie @pattonoswalt oder die Live-Lästereien von @PerezHilton sind die Oscars nur halb so lustig.

Auch Füllmaterial will untergebracht werden

Wir verstehen ja noch die Anbiederung an das kommerziell sehr viel erfolgreichere Blockbusterkino. Wir verstehen auch die Vorliebe für emotionale Zusammenschnitte toller Filme. Nur: In Zeiten, in denen jeder Laptop-Filmemacher ähnliche Clips produzieren kann und in denen selbst einfache Trailer-Premieren zu medialen Ereignissen werden – looking at you „Guardians Of The Galaxy“ – wirken die Hommage-Montagen wie strategisch gestreute Bierhol- oder Klopausen. Denn ersichtlichen Publikumsmehrwert gab es keinen.

Wenn dann auch noch eine reichlich unmotivierte Bette Midler ihren Standard „Wind Beneath My Wings“ trällert und Pink ähnlich grundlos aber zumindest musikalisch überzeugend das „Wizard Of Oz“ -Lied „Somewhere Over The Rainbow“ schmachtet, wundert man sich nicht, dass die Oscar-Zeremonie so lang dauert. Deshalb die gleiche Bitte wie in der letzten „Homeland“-Staffel: more killer, less filler.

Was wir gelernt haben: Pink lebt noch. Und die Oscar-Academy weiß doch, dass Superheldenfilme existieren.

It’s the host, stupid!

Auf der Suche nach garantierten Verjüngungskuren, mit denen die Oscars auch wieder für werberelevante Zielgruppen interessant werden, setzte man letztes Jahr auf den nie um einen schlechten Scherz verlegenen „Family Guy“-Schöpfer Seth MacFarlane: scharfzüngige Seitenhiebe, respektlose Gags und die Abkehr von der allgegenwärtigen „political correctness“ wurden erwartet.
Was folgte, waren dann eher eine Reihe Dummer-Jungen-Scherze, die öfter für betretenes Schweigen denn für ausgelassenes Gelächter sorgten. Weshalb nun mit Ellen DeGeneres eine Moderatorin gefunden wurde, die a) höchst bühnenerfahren b) extremst starbefreundet und c) schön entspannt gleich drei Oscar-Tugenden mitbrachte. Spätestens, nachdem sie die wunderbar ungekünstelte und ehrlich gesagt nicht soooo witzige Pizza-Bestellung auf drei Segmente ausgebreitet hatte, war deutlich, dass Ellen DeGeneres wie eine Swarovsky-besetzte Jogginghose wirkte: Irgendwie glamourös, aber gleichzeitig gemütlich und vertraut.

Was wir gelernt haben: Manchmal ist es doch besser, sich auf vertraute Tugenden zu verlassen. Ellen darf gerne zurückkommen. Wie wäre es ansonsten mit Tina Fey und Amy Poehler?

Bitte nicht belasten!

Mit den Einblicken in das Wahlverhalten der Academy-Mitglieder hatte die Online-Publikation Indiewire bereits in den Tagen vor der Preisverleihung einiges an Staub aufgewirbelt: Von den vier Befragten hatten drei den späteren „Best Picture“-Gewinner „12 Years A Slave“ nicht gesehen, zwei sich aber nicht davon abhalten lassen, dennoch für den Film ihre Stimme abzugeben.

Die Ausrede: Zu belastend das Thema, zu schwermütig der Film. Dass Steve McQueens bewegendes Sklavereidrama dennoch den Preis abräumte, mag an einem seltsamen Filmverständnis liegen. Man glaubt, er habe ihn halt verdient. Was hier ohne Frage funktioniert, im Fall der Dokumentations-Entscheidung aber seine hässliche Seite zeigt. Denn wer allen Ernstes glaubt, dass im Wettbewerberfeld aus dem schockierenden „The Act Of Killing“, dem investigativen „Dirty Wars“ und dem wichtigen „The Square“ ausgerechnet der gute aber pappsüßliche „20 Feet From Stardom“ die beste, weil wichtigste Dokumentation war, sollte sich einem Realitäts- wie Prioritätencheck unterziehen.

Was wir gelernt haben: Wer den Doku-Oscar gewinnen will, sollte sich Randfiguren und Underdogs des Showgeschäfts widmen (siehe „Searching For Sugar Man“). Das kann die Academy nachvollziehen.

Der amerikanische Traum bleibt unantastbar

Seltsam erscheint es schon, dass ausgerechnet jene beiden Filme mit der größten Internetresonanz – „American Hustle“ und „The Wolf Of Wall Street“ – hinter den Erwartungen zurückblieben: „American Hustle“ 0 von 10 und TWOWS mit 0 von 5. Was bei einigen Hollywood-Insidern durchklang: Beide Filme würden zwar humorvoll und lässig, dennoch aber mit einer gehörigen Portion Zynismus am Ideal des amerikanischen Traums kratzen.

Was in Hinblick auf die Gewinnerfilme als durchweg plausible These erscheint: „12 Years A Slave“ als kollektive, filmische Schuldaufarbeitung und Glaube an die Selbstheilungskräfte der Nation, „Gravity“ als packender Selbstfindungsritt durch die Erdstratosphäre und „Dallas Buyers Club“ als Gutmenschen-Drama mit liberalem Herzen zählen zu den großen Gewinnern des Abends.

Was wir gelernt haben: Die Mischung aus Zynismus und Sarkasmus funktioniert an der Kinokasse, nicht aber bei der Academy.