On The Floor
Wie europäischer Baller-Techno die US-Charts auf mischt
Superbowl-Wochenende, irgendwo in Auweiowa. Männer trinken, Frauen bringen Bier. Aus der Heimkinoanlage scheppert stur ein House-Beat. Dazu tanzen im engen Animierkostüm aus Leder ein Schwarzer, ein Latino, ein Filipino. Rave-Sirenen heulen im Sekundentakt, auf dem Spielfeld blinkt in riesigen Lettern „Liebe“ aus LED. Es grüßt ein Meer aus Händen, wie in einem aus den Fugen geratenen Tagtraum von Dr. Motte. Und niemand wundert sich. Die diesjährige Halbzeitshow der Black Eyed Peas beim heiligen Sonntagssportfest der Amerikaner war die größte Zuspitzung eines Trends, der längst keiner mehr ist. R’n’B-Songs auf Basis europäischer Clubmusik sind schlicht der neue Standard in Formatradioland. Uffzuffz ist das neue Bummtschack: Jennifer Lopez mit Pitbull, Katy Perry mit Tiesto, Rihanna mit Calvin Harris, Snoop Dogg mit David Guetta, und alle mit RedOne, dem König des Euro-Booms. Der Midi-Midas mit dem eingefrorenen Siegerlächeln steht beispielhaft für das Vierviertel-Einerlei. Denn seine Stücke für Superstars wie Nicole Scherzinger oder Enrique Iglesias sind vor allem eines: wahnsinnig egal. Warum gerade er, warum gerade diese faden, familienverträglich verwaschenen House-Beats der Schrei der Stunde sind, wird unter dem Eindruck seines rasant anwachsenden Katalogs nur noch unverständlicher. Denn eine wirkliche Erklärung gibt es für all das nicht: Der Pop-Sound von 2011 hat weder kulturelle Wurzeln in den USA noch ist er von offensichtlichen europäischen Vorbildern inspiriert. Dazu kommt die Rave-Welle, die längst über kalifornische Hippie-Oasen hinausgeschwappt ist. Die Kids tanzen nicht nur in San Francisco und Venice Beach, sondern auch in New York (Electric Zoo), Detroit (Movement) und Las Vegas (Electric Daisy Carnival). Sogar die Bastionen des US-Alternative-Rock beugen sich dem Willen des Feiervolkes. So raveten in Coachella 2011 Tausende zu Boys Noize und Sasha, Perry Farrell lud sich Afrojack und Busy P auf seine Bühne beim Lollapalooza. Dabei dominierten traniger Tiesto-Trance, krachiger Elektro von Ed Banger & Co., der Reißbrett-House von David Guetta und vor allem Dubstep mit Moshpit-Potenzial, verkörpert vom bleichen Wunderkind Skrillex. Er ist der erste genuine amerikanische Dance-Superstar seiner Generation. Mit seinem comichaft überzeichneten Krawallsound hat der 23-Jährige auch Spuren in der alten Welt hinterlassen, als Streitfigur, aber durchaus auch als Stilikone. Kids in Birmingham wollen klingen wie er, Britney Spears sowieso („Hold It Against Me“). Für 2012 steht die Prominenz Schlange. Im besten Falle wird dabei entrückter Ravepop entstehen wie Rihannas bezauberndes „We Found Love“.