Oh mein Gott, das ist ja ein Song!“
Die schöne Frau mit den langen braunen Haaren spitzt die Ohren und deutet auf das riesige Fenster ihrer Hotelsuite in Berlin Mitte. Sie lacht. „Das ist meine Musik, das kommt von draußen von der Eislauffläche.“ Unten kreisen die Schlittschuhläufer, oben strahlt die erfolgreichste Chansonsängerin Frankreichs und freut sich, dass sie das Unmögliche geschafft hat: die Wiedergeburt eines Mannequins als Sängerin. Ein Supermodel, eine Tochter aus gutem Haus, eine skandalumwitterte Millionenerbin. Und doch: Ganz leise und unspektakulär überzeugte Carla Bruni die Menschen. Viel war da nicht. Eine Gitarre und eine Stimme. Aber was für eine Stimme! Als sie sechs Jahre alt war, brachte ihre Mutter sie zum Spezialisten. „Warum klingt meine Tochter wie ein Barkeeper?“ Der Arzt habe der Mutter erklärt: Raue Stimmen entstehen, wenn die Stimmbänder sehr dick sind und weit auseinanderstehen. „Wenn da Luft durchkommt, klingt es wie eine Raspel.“ Und so raspelte, schnurrte und seufzte sich Carla Bruni vor vier Jahren an die Spitze. Mehr als zwei Millionen Mal verkaufte sich quelqu’un m’a dit, und auch in Deutschland wird die ruhige Platte bald Platin-Status erreichen. Auf Konzerte von Carla Bruni mussten die Leute allerdings einige Zeit warten. Stellungnahme Management: Sie sei zu schüchtern. Doch auch diese Hürde schaffte die gebürtige Italienerin, deren Familie nach Frankreich umgezogen war, als Anfang der/90er-Jahre Industriellenkinder von den linksextremistischen Roten Brigaden entfuhrt worden waren. 2004 gab sich Carla einen Ruck und trat in einem Pariser Theater auf. „£5 war fantastisch. Die Leute haben applaudiert, wenn ich mich verspielt habe. „Bruni hatte in ihrer vierjährigen Musiker-Karriere allerdings kaum genug Lieder geschrieben, um ein ganzes Konzert bestreiten zu können. Das ändert sich nun, endlich. Auch wenn sie uns als Texterin weiterhin etwas schuldig bleibt. Denn Carla Bruni singt Gedichte. Klassische angelsächsische Lyrik hat die 38-jährige Sängerin für ihr neues Album mit dem Titel NO PROMISES vertont. Musikalisch ist sie sich treu geblieben. Es sind ein paar I nstrumente dazugekommen, hier eine Mundharmonika, dort eine Rockgitarre. Aber diese Texte! Komplizierte Texte voller Zweifel und Einsamkeit, aber auch voller Humor und Tiefe. Texte übrigens auch, für die selbst englische Muttersprachler ein Wörterbuch benötigen.
Sie erzählt: „Ich habe auf Englisch geschrieben und brauchte Inspirationen. Also kaufte ich mir einen Packen englischer Gedichtbände. In diese Gedichte habe ich mich dann einfach verliebt.“ Angezogen hat sie vor allem der „Sound“, ihr Rhythmus, ihr Flow. Sie schwärmt: Dieses Poem des englischen Dichters W. H. Auden, das sei doch „eine Art Rap“. „Hör dir das an: Ladies and gentlemen, sitting here/Eating and drinking and warming a chair/ Feeling and thinking and drawing your breath/Who ’s sitting next to you.It may be Death.'“
Carla Bruni rezitiert und singt während des Interviews immer wieder. Ihre Beschäftigung mit den Klassikern moderner Lyrik ist keine Pose, sondern Leidenschaft. „Ich bin beim Blättern auf ‚Before The World Was Made‘ von William Butler Yeats gestoßen und habe gedacht: ,Oh mein Gott, das ist ja ein Song!‘ Dann habe ich einfach dazu gespielt und ihn aufgenommen.“ Auch die Zeitlosigkeit dieser Texte hat es Bruni angetan. „Hör dir ‚Promises Like Pie-Crust‘ von Christina Rossetti an! Sie wirft Dinge über Bord, die Frauen damals akzeptieren mussten. Sie hat das 1882 geschrieben, und ich fühle 2006 dasselbe. Unsere Kleidung und unsere Frisuren haben sich verändert, die Seelen nicht.“
Hatte sie denn keine Skrupel, sich mit der hohen Literatur anzulegen? Ja, aber nur am Anfang. Man muss es einfach machen. Nicht zu viel darüber reden. Wie beim Sex. Wenn du beschreiben müsstest, aufweiche Weise er deine Brustwarze streichelt, das hat keinen Sinn. Die Details kümmern dich nicht, wenn du spielst. „“Mach es wie Serge Gainsbourg! „, sagte sie sich. Ehre die Klassiker und arbeite mit ihnen. „Gainsbourg schrieb Texte zu Chopin-Melodien. Das Skandallied ,Lemon Incest‘ beispielsweise.“ Und schon singt sie wieder. Brunis Chuzpe ist es zu verdanken, dass sich auf NO PROMISES kein Körnchen Staub oder bildungsbürgerliche Attitüde eingeschlichen hat. „Ich hab‘ in die Gedichte nicht eingegriffen. In wenigen Fällen hab‘ ich eine Zeile zweimal gesungen.“ W. B. Yeats, Emily Dikkinson, Dorothy Parker, Auden und Walter de la Mare werden ihr vergeben. Carla Brunis Vorteil ist ihr Background: Der Vater Großindustrieller, Kunstsammler, Zwölftonkomponist, die Mutter Konzertpianistin, wurde sie von klein auf in Kultur geradezu gebadet. Zwei Flügel standen im Haus. „Gespielt wurde ununterbrochen. Grieg, Rachmaninoff, Mozart, Chopin, Beethouen auf dem einen, die komplizierten Kompositionen von Alberto Bruni Tedeschi auf dem anderen.“ Mittendrin saß Carla mit ihren Platten von Dylan, Cohen, den Stones und Joni Mitchell. Französische und italienische Liedermacher gehörten genauso zu ihren Lieblingen wie Aretha Franklin, Billie Holiday, Bessie Smith. „Und Disco liebte ich, die Bee Gees und Diana Ross!“ Statt zu rebellieren, saugte Carla die Einflüsse ihres Elternhauses in sich auf.
„Ich hab‘ meinem Vater The Clash vorgespielt. Er hat gesagt: ,Das ist ja die reinste Stammesmusik! Hör dir lieber gleich die Afrikaner an!‘ Für ihn war Rock’n Roll Musik, die auf sexueller Trance basierte.“
Dass auch die Musik seiner Tochter eine gehörige Portion sexueller Energie enthält, lässt sich beim besten Willen nicht verleugnen. Womit wir wieder bei ihrer Stimme wären. Dem Murmeln, Flüstern und Schnurren. Dem Leben, das in dieser rauen Stimme zittert, kratzt und schnarrt. „Ja. Die kleinen Fehler. Auf dem neuen Album sind auch wieder ganz viele drauf. Die Gedichte werden dadurch ein bisschen leichter, und ich eigne mir die Texte auf diese Weise auch an. Als Frau, die das einfach nur singt. Wir haben uns bei den Aufnahmen oft kaputtgelacht. Vielleicht gerade, weil diese Texte so bedeutsam sind.“
Im nächsten Winter werden sie dann wohl auch zu Brunis neuen Liedern übers Eis kreiseln. Dann ist wieder Raureif an den Bäumen. Und da ist Raureif auf diesen Liedern, den Gedichten. Den hat Carla Bruni draufgehaucht. >»www.carlabruni.com —