Offen für alles


Erst räumten sie in den Staaten ab, nun grassiert das Linkin Park-Fieber auch in Europa. Und schon brodelt die Gerüchteküche - was die Band aber nur spaßig findet.

Erfolg lockt Neider wie Abfall die Ratten. Im Falle von Linkin Park war es die Platin-Verleihung für ihr Debütalbum „Hybrid Theory“, die prompt für ein unschönes Gerücht in der Szene sorgte. Es hieß, das Sextett sei gecastet wie eine Boygroup. Über solch Geschwätz können die Nu-Metal-Überflieger jedoch nur lachen. „Am meisten muss ich über die Plattenkritiken grinsen“, schmunzelt Gitarrist Brad Delson (23), „entweder haben wir die brillanteste Scheibe aller Zeiten gemacht – oder wir sind die Backstreet Boys mit rosa Lack auf unseren überlangen Fingernägeln.“

Im Interview verweisen die Gipfelstürmer auf ihre langjährige Bandgeschichte, die Boygroups bekanntlich nicht vorzuweisen haben. Alle sechs mögen zwar erst Anfang zwanzig sein, über Nacht kam ihre Beliebtheit jedoch trotzdem nicht. Sänger Mike Shinoda (24) und Brad kennen sich seit ihrem dreizehnten Lebensjahr. Auf einem College in L.A. trafen die beiden dann die restlichen LP-Musiker. Anfangs nannten sie sich Xero und klangen ziemlich rap-lastig. „Deswegen wollten wir einen zweiten Frontmann, der melodisch singen kann“, erinnert sich Shinoda. Gemeinsame Freunde gaben darauf eine Xero-Demokassette an ehester Bennington (25) weiter. Der lebte damals in Arizona und hatte lange Zeit in einer Band namens Gray Days gesungen. Als er das Tape hörte, war ihm sofort klar: „Das ist die goldene Eintrittskarte zur Schokoladenfabrik.“ Erblies die Party zu seinem 23. Geburtstag ab und konzentrierte sich stattdessen auf das Schreiben von Texten und Melodien, um beim Vorsingen eine möglichst gute Figur zu machen.

Das war der Beginn eines Blitzaufstiegs. Xero benannten sich um, anfangs in Hybrid Theory, dann in Linkin Park, weil „es in jeder amerikanischen Stadt einen Lincoln Park gibt“, so Shinoda. Die Schreibweise mussten sie verändern, um die entsprechende Domain für ihre Internet-Homepage zu bekommen. Der abgelegte Bandname „Hybrid Theory“ passte indes wunderbar für ihr Album, ein genial verwobener Mix aus Rap, Metal und Pop. Nur wenige Wochen nach Unterzeichnung des Plattenvertrags lief die Single „One Step Closer“ schon landauf, landab im US-Radio. Anfang 2001 griff das Fieber auch auf Deutschland über, „Hybrid Theory“ stieg von Null auf Achtzehn in die Charts für die Neulinge wahrlich ein guter Grund, die Korken knallen zu lassen.

Ihr vielseitiger Sound sei mehr als nur eine wahllose Mischung, betonen die ambitionierten Jungs von Linkin Park und sehen sich als Botschafter des guten Geschmacks. In den Worten von Klampfer Delson klingt das so: „Wir erreichen mit unserer Mischung beispielsweise die Hip Hop-Fans. Aber wir rocken auch. Vielleicht kauft sich einer von denen daraufhin die Deftones. Oder ein Rocker besorgt sich die letzte Aphex Twin.“ Ihr Ziel sei, dem Publikum möglichst viele musikalische Erfahrungen zu vermitteln. „Wir wollen die Leute für Neues öffnen. e mehr verschiedene Eindrücke du sammelst, desto abgerundeter wird deine Persönlichkeit.“

Seit 1999 hat sich für ehester Bennington , den sein vielseitiger Gesang zwischen panischem Urschrei und sanftem Säuseln zum heimlichen Star der Band macht, viel geändert. Seine Kindheit beschreibt er als „nicht gerade unglücklich“, obwohl die Eltern sich scheiden ließen, als er elf lahre alt war. „Sie haben mich nicht geschlagen. Ich habe mich auch nie gehasst“, sagt er. Dennoch stellte sich irgendwann ein Gefühl der Leere ein, Musik und Drogen füllten das emotionale Vakuum. Depeche Mode und Ministry liefen bei ehester auf Dauer-Rotation, dazu nahm er Kokain und Methamphetamine, also Speed.

Ein Leben lang auf seine miese Kindheit als Entschuldigung zu verweisen liegt Bennington aber fern. „Klar, diese Dinge spielen eine Rolle, ich kenne kaum jemanden, der sagt, er habe seine Kindheit genossen. Es ist nun mal Teil des Erwachsenwerdens, dass du lernst, dich auszudrücken und den negativen Ballast abzuwerfen.“ Zum Ballast zählte ehester auch die Schule, in der er sich unterfordert sah. Da er keinerlei Klassen überspringen durfte, widmete er sich frustriert den Drogen und verließ die Penne vorzeitig. Um seinen Wissensdurst zu stillen, wurde er Gasthörer in Philosophie-Seminaren an der Uni von Arizona. Es waren schließlich Linkin Park, die Bennington halfen, sich von den Rauschmitteln zu trennen. „Wenn Leute während der Shows ausrasten, bekommst du ein Gefühl, das dir keine Droge geben kann. Dabei werden im Gehirn Adrenalin und Dopamin freigesetzt. Ich kenne die chemische Zusammensetzung dieser Hormon-Kombination nicht, aber es ist die beste Droge, die es gibt.“ -+ www.linkinpark.com