Nina Hagen – Chez Shiva


Neue Stadt, neuer Freund, neuer Plattenvertrag, neuer Produzent, neues Album - ein in jeder Hinsicht neuer Anfang. Im gerade bezogenen Pariser Domizil erklärte Nina Hagen ME/Sounds-Mitarbeiter Rolf Lenz, "daß jetzt alles noch viel schicker werden kann".

Kaum ein Wölkchen am Himmel, es ist drückend heiß, und Paris befindet sich fest in der Hand japanischer, deutscher und amerikanischer Touristen. Tapter halten die Franzosen mit ihren Landesfarben dagegen: blauweißrot, wohin das Auge blickt. Und vive la revolution! Die großen Feten liegen zwar schon ein paar Wochen zurück, aber Paris hat den Festschmuck der Revolutions-Feierlichkeiten noch nicht abgelegt.

Im 17. Arrondissement gibt man sich nicht gar so protzig wie rund um die Champs Elysees, hier reichen bunte Wimpel zwischen den Häusern. Nördlich des Boulevard des Batignolles trifft man auch noch mehr Pariser als Touristen, und die Preisschilder in den Schaufenstern wenden sich nicht bloß an Besitzer einer goldenen American Express-Karte.

„Seit drei Vollmonden“ sind sie in Paris und seit gestern wohnen sie hier im Viertel: Nina Hagen, Tochter Cosma und … Und wer? Auf dem handgeschriebenen Klingelschild steht Nina + Frank. „Frank ist mein neuer Boyfriend“, flötet Nina und rollt verzückt die Augen. Weil der Märchenprinz gerade nicht zu Hause ist, zeigt sie mir ein Foto in einem schaurigschön kitschigen Bildband mit modernen Heiligenbildern: Frank als Erzengel Michael. Wunderhübsch. „Mein Engel“, säuselt Nina und streicht zärtlich über das Bild.

Wo steckt der kleine Punk-Rotzlöffel, den sie vor zwei Jahren mit viel Getöse auf hoher See „geheiratet“ hat?

„Iroquois ist auf Ibiza und probt mit seiner Band Rebellion. Die haben einen tollen Sänger, der sich Eddy Rockroach nennt, und wollen weltberühmt werden, so Clash-mäßig …“

Weltberühmt ist sie schon, Nina-mäßig, und außerdem ein bißchen müde von nächtlichen Ausschweifungen. Nina läßt sich aufs Sofa fallen, räkelt sich, rückt dem Sandmann mit Kaffee und Marlboros zuleibe und ruft nach unten ins Kinderzimmer: „Cosma, kannste ma ’ne Stulle schmieren? Cosma kann, Mama kaut.

Nina geht’s prima, nicht nur ob des neuen Freundes und der neuen Wohnung. Sie hat auch erstmals seit Jahren wieder einen Plattenvertrag und ein neues, ihr sechstes Album. Im November ’88 begann die Produktion, und im März war die schlicht NINA HAGEN betitelte Platte fertig.

Von ihren früheren Mitstreitern war nur Gitarrist Billy Liesegang mit von der Partie, der Rest der Mannschaft rekrutierte sich in erster Linie aus dem Londoner Musikerteam, mit dem Produzent Zeus Held stammt ursprünglich ebenfalls aus Deutschland (war z. B. von 74 bis 78 Keyboarder bei Birth Control), trotzdem hat er mit Nina und Billy ein bis auf zwei Ausnahmen ganz zum Schluß durchgehend angloamerikanisches Album geschrieben und produziert. Die deutschen Ausnahmen sind Ninas moderne Version des „Ave Maria“ und ein herrlicher Rap an Michail Gorbatschow (Text: Wolf Biermann!), des weiteren gibt’s vier englische Nummern über Freaks, heiße Liebe, wüste Parties und verunsicherte 17jährige, sowie vier Cover-Versionen: „Move Over“ (Janis Joplin), „Hold Me“ (Mahalia Jackson), „Las Vegas“ (Elvis Presley) und „Dope Sucks“ (Herman Brood).

Insgesamt wirkt die neue Nina wesentlich straighter als das, was man vor vier, fünf Jahren von ihr hörte: Rein musikalisch läßt sich NINA HAGEN als gelungener ’89-Remix ihrer ersten beiden LPs beschreiben, und was den Stimm-Einsatz angeht, hält es Nina diesmal mit der alten Weisheit weniger ist mehr.

Wenn sie früher 26 bis 41 verschiedene Stimmen in ein einziges Lied packte, reichen ihr heute drei bis sieben Nuancen. „Ein Song kriegt immer das, was er braucht, da kommt rein, was reingehört, und mehr eben nicht …“ kommentiert sie salomonisch.

Angesprochen auf die Heavy Metal-Röhre, als die sie sich immer häufiger präsentiert, muß Nina kichern: “ Well, kind of… hihi.“

Erst als ich das kitschige „Love Heart Attack“ auf halbem Weg zwischen Sabrina und Lisa Dalbello einordnen will, mag sie mir nicht mehr folgen: „Nee, det find‘ ick übahaupt nich, det liegt mehr zwischen Jody Watley und Whitney Husten, schwarz, so detroitmäßig… Aber again: Es ist, what it is. “ Eben.

Fest steht, daß sie begnadet rappen kann, egal, ob deutsch oder englisch. Aus dieser Richtung wird auch noch mehr auf uns zukommen: In Paris hat Nina ein paar schwarze DJs aufgetan, mit denen sie Hip Hop-mäßiges im Schilde führt. Namen? Schall und Rauch!

Das gilt auch für ihre neue Tour-Band: „Alle aus New York: Der Bassist heißt John K., Tony an den Drums – God knows the Nachnamen. Wir verstehen uns eher auf der Basis von Verliebten: Da kann’s dir ja auch passieren, daß du mitten in der Nacht fragen mußt: , Oh, by the way, wie heißt’n du?‘ Anyway: Curtis an der Gitarre, Atticus an den Keyboards …“

… alles hochkarätige Jungs, die vorher mit Cyndi Lauper, Whitney Houston, Aretha Franklin oder Serge Gainsbourg unterwegs gewesen sein wollen. Im Herbst kommen sie mit Nina.

Dann steht auch der nächste UFO-Kongress an, auf dem Frau Hagen immer gern gesehener Gast ist. Ihre Ansichten sind gefragt, z.B. zu den sogenannten Sonnenwundern: „Da denken die Leute immer, die Sonne würde sich auf die Erde zubewegen, sich drehen und zwirbeln, dabei ist das ein Riesen-Raumschiff, mit dem die Maria kommt. Die Sonne kann sowas doch gar nicht machen, ich glaube, daß die das mit einem Raumschiff verwechseln, sich aber keiner zu sagen traut, daß die Maria mit’m Raumschiff kommt.

Shivas Armee, die Lichtarbeiter, benutzen halt Raumschiffe, und da ich in der glücklichen Lage bin, daß ich selber schon mal eins gesehen habe, dürfen die anderen ruhig über mich lachen, und ich selbst am allermeisten, weil ich mich so freue, daßich einsgesehen habe! Das war so umwerfend, die irrsten Farben und das absolute Glücksgefühl …“

Wendet sich Ninas „Ave Maria“ (letztes Stück, zweite Seite) an die Erscheinung der weiblichen Gottheit, beschäftigt sich „Live On Mars“ (letztes Stück, erste Seite) mit einem männlichen Pendant:

„1970 hat sich der ewige, sich immer wieder verkörpernde Babaji in einer Höhle im Himalaya einen neuen Körper geschaffen. Der Babaji ist der Meister der Meister und eine Inkarnation des Gottes Shiva, der sich speziell in Zeiten verkörpert, in denen es bergab geht, wenn seine Schöpfung Gefahr läuft, sich selbst zu vernichten.

Der Babaji hat uns einen Schlüssel zu unserer Rettung gegeben: Wir sollen einfache Leben führen, Liebe und Wahrheit leben, lieber mit Kerzenlicht. Solarenergie und Lehmbauweise natürlich leben, anstatt hier alles abzufacken mit Radioaktivität und so. Er hat uns auch ein Mantra gegeben, das Schöpfungs-Mantra ,Om Namaha Shivaya‘. Das bedeutet soviel wie ,Gottes Wille geschehe‘. Dieses und andere Mantren sind in dem Song immer wieder zu hören. „

Noch Fragen? Ja Eine ganz dumme: Was soll das alles?

Nina spitzt die Lippen: „Ick hoffe basically, circa, quasi, um’s auf einen Punkt zufokussieren, daß die Hörer und Leserschaft es schafft, Freude zu empfinden, und sich gewisse ekstatisch religiöse Gefühle entwickeln können!“

Und wenn sie sich nur den Arsch abtanzen? „Das ist überhaupt das Geilste, was man zu der Platte veranstalten kann. „