Nick Cave
Kaum hatten Nick Cave & The Bad Seeds angekündigt, an zwei Abenden ihre Lieder vom Tod in der Brixton Academy zu spielen, da waren die Tickets schon vergriffen. Das Album ‚Murder Ballads‘ brachte dem australischen Hohepriester der Düsternis und seiner Backingband den kommerziellen Durchbruch. Seitdem herrscht bei den Shows noch größerer Andrang als früher. Und für dieses Mal lockt auch noch eine ganz besondere Attraktion: Englische Musikgazetten hatten das Erscheinen von Caves Duettpartnerinnen Kylie Minogue und PJ Harvey gemeldet.
Los geht es erst mal mit schroff-zermürbendem Brachial-Blues, den die Bad Seeds nach zwölf Jahren Übungszeit mittlerweile im Schlaf beherrschen. ‚Stagger Lee‘, eine der Mordballaden, eröffnet den Abend. Cave stellt seinen grauen Anzug mit wilden Verrenkungen auf die Zerreißprobe, bringt seine schwarze Tolle im Nu aus der Fasson und stürmt wie von Sinnen an den Bühnenrand, um Kontakt mit dem Fußvolk aufzunehmen. Die Fans strecken ihm Arme entgegen, und mit dieser frühen Bezeugung gegenseitiger Zuneigung ist die Stimmung bereits im Lot. Der Sänger, früher ein morbider, exzentrischer Charakter, ist offener geworden. So offen, daß er stolz seinen am Bühnenrand ausharrenden Sohn Luke vorstellt. Doch während der Frontmann über die Bühne wirbelt, sind die Bad Seeds intensiv und konzentriert ins Spiel vertieft. Blixa Bargeld, unter einem breitkrempigen Hut kaum zu erkennen, malträtiert die Gitarre, Conway Savage starrt gebannt auf die Tasten, der ehemalige Triffids-Bassist Martyn Casey und Die Haut-Schlagzeuger Thomas Wydler bringen Groove ins Spiel, den Mick Harvey an der Rhythmusgitarre und Jim Sclavunos an den Drums weiter ausfüllen. Sie beherrschen alle Elemente mulmiger Musik, seien es Totengräber-Marsch, Galeeren-Shanty oder ein verzerrtes Morricone-Spaghetti-Western-Klangmotiv. Meistens klingt es aufwühlend, bedrohlich und apokalyptisch.
Dann kündigt sich die erhoffte Beigabe an. Cave und die Band interpretieren den von PJ Harvey geschriebenen Song ‚Black Road‘ -— ohne PJ. Im Publikum werden hysterische „We want Kylie!“-Rufe laut. Mit Erfolg. Wenige Minuten später erscheint sie tatsächlich unter tosendem Jubel, um mit Cave den Hit ‚Where The Wild Roses Grow‘ zu singen. Es ist ein magischer Konzertmoment, der einem die Gänsehaut über den Rücken laufen läßt. Erstaunlich, mit welcher Souveränität Kylie Minogue sich dem für sie fremden Publikum präsentiert. Allein ihre Ausstrahlung verändert schon die Grundstimmung des Konzerts und entkrampft die Männerwirtschaft auf der Bühne.
Die Gruft-Atmosphäre ist für fünf Minuten verdrängt und weicht einem Hauch von Las Vegas. Es sieht unbeholfen aus, wie Kylie —- klein, freundlich dreinschauend, sexy —- und Cave —- hager, mürrisch und großgewachsen —- sich gegenüberstehen. Doch die Sängerin zieht den unsicher umherwankenden Kollegen entschieden zu sich heran, woraufhin er bei der Zeile „She was more beautiful than any woman I’d seen“ charmant auf sie zeigt. Ein großartiges Showelement von einem Mann, der sonst nichts mehr haßt als Posen. Doch Cave genießt die Popularität und den Reiz dieses ungewöhnlichen Duetts sichtlich. In dieser Situation den richtigen Übergang zu fin-I den, ist nicht einfach, doch mit dem ‚Weeping Song‘ haben Nick Cave & The Bad Seeds einen ihrer beliebtesten Songs ausgewählt, da kann nichts schiefgehen. Denn Publikum ist komplett aus dem Häuschen.